und gingen wieder drei Viertelstunden, ohne den Teich zu finden. Oft meinten wir, Feuer am Horizont zu sehen; es waren auf- gehende Sterne, deren Bild durch die Dünste vergrößert wurde. Nachdem wir lange in der Savanne umhergeirrt, beschlossen wir, unter einem Palmbaume, an einem recht trockenen, mit kurzem Gras bewachsenen Ort uns niederzusetzen; denn frisch angekommene Europäer fürchten sich immer mehr vor den Wasserschlangen als vor den Jaguaren. Wir durften nicht hoffen, daß unsere Führer, deren träge Gleichgültigkeit uns wohl bekannt war, uns in der Savanne suchen würden, bevor sie ihre Lebensmittel zubereitet und abgespeist hätten. Je bedenklicher unsere Lage war, desto freudiger überraschte uns ferner Hufschlag, der auf uns zukam. Es war ein mit einer Lanze bewaffneter Indianer, der vom "Rodeo" zurückkam, das heißt von der Streife, durch die man das Vieh auf einen be- stimmten Raum zusammentreibt. Beim Anblick zweier Weißen, die verirrt sein wollten, dachte er zuerst an irgend eine böse List von unserer Seite, und es kostete uns Mühe, ihm Ver- trauen einzuflößen. Endlich ließ er sich willig finden, uns zum Hof zu führen, ritt aber dabei in einem kurzen Trott weiter. Unsere Führer versicherten, "sie hätten bereits ange- fangen, besorgt um uns zu werden", und diese Besorgnis zu rechtfertigen, zählten sie eine Menge Leute her, die, in den Llanos verirrt, im Zustand völliger Erschöpfung gefunden worden. Die Gefahr kann begreiflich nur dann sehr groß sein, wenn man weit von jedem Wohnplatz abkommt, oder wenn man, wie es in den letzten Jahren vorgekommen ist, von Räubern geplündert und an Leib und Händen an einen Palmstamm gebunden wird.
Um von der Hitze am Tage weniger zu leiden, brachen wir schon um 2 Uhr in der Nacht auf und hofften vor Mittag Calabozo zu erreichen, eine kleine Stadt mit lebhaftem Handel, die mitten in den Llanos liegt. Das Bild der Land- schaft ist immer dasselbe. Der Mond schien nicht, aber die großen Haufen von Nebelsternen, die den südlichen Himmel schmücken, beleuchteten im Niedergang einen Teil des Land- horizonts. Das erhabene Schauspiel des Sternengewölbes in seiner unermeßlichen Ausdehnung, der frische Luftzug, der bei Nacht über die Ebene streicht, das Wogen des Grases, überall wo es eine gewisse Höhe erreicht -- alles erinnert uns an die hohe See. Vollends stark wurde die Täuschung (man kann es nicht oft genug sagen), als die Sonnenscheibe am
und gingen wieder drei Viertelſtunden, ohne den Teich zu finden. Oft meinten wir, Feuer am Horizont zu ſehen; es waren auf- gehende Sterne, deren Bild durch die Dünſte vergrößert wurde. Nachdem wir lange in der Savanne umhergeirrt, beſchloſſen wir, unter einem Palmbaume, an einem recht trockenen, mit kurzem Gras bewachſenen Ort uns niederzuſetzen; denn friſch angekommene Europäer fürchten ſich immer mehr vor den Waſſerſchlangen als vor den Jaguaren. Wir durften nicht hoffen, daß unſere Führer, deren träge Gleichgültigkeit uns wohl bekannt war, uns in der Savanne ſuchen würden, bevor ſie ihre Lebensmittel zubereitet und abgeſpeiſt hätten. Je bedenklicher unſere Lage war, deſto freudiger überraſchte uns ferner Hufſchlag, der auf uns zukam. Es war ein mit einer Lanze bewaffneter Indianer, der vom „Rodeo“ zurückkam, das heißt von der Streife, durch die man das Vieh auf einen be- ſtimmten Raum zuſammentreibt. Beim Anblick zweier Weißen, die verirrt ſein wollten, dachte er zuerſt an irgend eine böſe Liſt von unſerer Seite, und es koſtete uns Mühe, ihm Ver- trauen einzuflößen. Endlich ließ er ſich willig finden, uns zum Hof zu führen, ritt aber dabei in einem kurzen Trott weiter. Unſere Führer verſicherten, „ſie hätten bereits ange- fangen, beſorgt um uns zu werden“, und dieſe Beſorgnis zu rechtfertigen, zählten ſie eine Menge Leute her, die, in den Llanos verirrt, im Zuſtand völliger Erſchöpfung gefunden worden. Die Gefahr kann begreiflich nur dann ſehr groß ſein, wenn man weit von jedem Wohnplatz abkommt, oder wenn man, wie es in den letzten Jahren vorgekommen iſt, von Räubern geplündert und an Leib und Händen an einen Palmſtamm gebunden wird.
Um von der Hitze am Tage weniger zu leiden, brachen wir ſchon um 2 Uhr in der Nacht auf und hofften vor Mittag Calabozo zu erreichen, eine kleine Stadt mit lebhaftem Handel, die mitten in den Llanos liegt. Das Bild der Land- ſchaft iſt immer dasſelbe. Der Mond ſchien nicht, aber die großen Haufen von Nebelſternen, die den ſüdlichen Himmel ſchmücken, beleuchteten im Niedergang einen Teil des Land- horizonts. Das erhabene Schauſpiel des Sternengewölbes in ſeiner unermeßlichen Ausdehnung, der friſche Luftzug, der bei Nacht über die Ebene ſtreicht, das Wogen des Graſes, überall wo es eine gewiſſe Höhe erreicht — alles erinnert uns an die hohe See. Vollends ſtark wurde die Täuſchung (man kann es nicht oft genug ſagen), als die Sonnenſcheibe am
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und gingen wieder drei Viertelſtunden, ohne den Teich zu finden.
Oft meinten wir, Feuer am Horizont zu ſehen; es waren auf-
gehende Sterne, deren Bild durch die Dünſte vergrößert wurde.
Nachdem wir lange in der Savanne umhergeirrt, beſchloſſen
wir, unter einem Palmbaume, an einem recht trockenen, mit
kurzem Gras bewachſenen Ort uns niederzuſetzen; denn friſch
angekommene Europäer fürchten ſich immer mehr vor den
Waſſerſchlangen als vor den Jaguaren. Wir durften nicht
hoffen, daß unſere Führer, deren träge Gleichgültigkeit uns
wohl bekannt war, uns in der Savanne ſuchen würden, bevor
ſie ihre Lebensmittel zubereitet und abgeſpeiſt hätten. Je
bedenklicher unſere Lage war, deſto freudiger überraſchte uns
ferner Hufſchlag, der auf uns zukam. Es war ein mit einer
Lanze bewaffneter Indianer, der vom „Rodeo“ zurückkam, das
heißt von der Streife, durch die man das Vieh auf einen be-
ſtimmten Raum zuſammentreibt. Beim Anblick zweier Weißen,
die verirrt ſein wollten, dachte er zuerſt an irgend eine böſe
Liſt von unſerer Seite, und es koſtete uns Mühe, ihm Ver-
trauen einzuflößen. Endlich ließ er ſich willig finden, uns
zum Hof zu führen, ritt aber dabei in einem kurzen Trott
weiter. Unſere Führer verſicherten, „ſie hätten bereits ange-
fangen, beſorgt um uns zu werden“, und dieſe Beſorgnis zu
rechtfertigen, zählten ſie eine Menge Leute her, die, in den
Llanos verirrt, im Zuſtand völliger Erſchöpfung gefunden
worden. Die Gefahr kann begreiflich nur dann ſehr groß
ſein, wenn man weit von jedem Wohnplatz abkommt, oder
wenn man, wie es in den letzten Jahren vorgekommen iſt,
von Räubern geplündert und an Leib und Händen an einen
Palmſtamm gebunden wird.
Um von der Hitze am Tage weniger zu leiden, brachen
wir ſchon um 2 Uhr in der Nacht auf und hofften vor Mittag
Calabozo zu erreichen, eine kleine Stadt mit lebhaftem
Handel, die mitten in den Llanos liegt. Das Bild der Land-
ſchaft iſt immer dasſelbe. Der Mond ſchien nicht, aber die
großen Haufen von Nebelſternen, die den ſüdlichen Himmel
ſchmücken, beleuchteten im Niedergang einen Teil des Land-
horizonts. Das erhabene Schauſpiel des Sternengewölbes in
ſeiner unermeßlichen Ausdehnung, der friſche Luftzug, der bei
Nacht über die Ebene ſtreicht, das Wogen des Graſes, überall
wo es eine gewiſſe Höhe erreicht — alles erinnert uns an
die hohe See. Vollends ſtark wurde die Täuſchung (man
kann es nicht oft genug ſagen), als die Sonnenſcheibe am
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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 2. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1859, S. 283. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial02_1859/291>, abgerufen am 20.06.2024.
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