und man kann sich leicht denken, daß in einer weiten Ebene, wo nur zwei oder drei Baumarten wachsen, der Chaparro, der Schatten gibt, für ein sehr wertvolles Gewächs gilt. Der Corypha ist in den Llanos von Caracas von der Mesa de Paja bis an den Guayaval verbreitet; weiter nach Nord und Nordwest, am Guanare und San Carlos, tritt eine andere Art derselben Gattung mit gleichfalls handförmigen, aber größeren Blättern an seine Stelle. Sie heißt Palma real de los Llanos. Südlich vom Guayaval herrschen andere Palmen, namentlich der Piritu mit gefiederten Blättern und der Murichi (Moriche), den Pater Gumilla als arbol de la vida so hoch preist. Es ist dies der Sagobaum Amerikas; er liefert "victum et amictum",1 Mehl, Wein, Faden zum Verfertigen der Hängematten, Körbe, Netze und Kleider. Seine tannenzapfenförmigen, mit Schuppen bedeckten Früchte gleichen ganz denen des Calamus Rotang; sie schmecken etwas wie Aepfel; reif sind sie innen gelb, außen rot. Die Brüllaffen sind sehr lüstern danach, und die Völkerschaft der Guaraunen, deren Existenz fast ganz an die Murichipalme geknüpft ist, bereitet daraus ein gegorenes, säuerliches, sehr erfrischendes Getränk. Diese Palme mit großen, glänzenden, fächerförmig gefalteten Blättern bleibt auch in der dürrsten Jahreszeit leb- haft grün. Schon ihr Anblick gibt das Gefühl angenehmer Kühlung, und die mit ihren schuppigen Früchten behangene Murichipalme bildet einen auffallenden Kontrast mit der trüb- seligen Palma de Cobija, deren Laub immer grau und mit Staub bedeckt ist. Die Llaneros glauben, ersterer Baum ziehe die Feuchtigkeit der Luft an sich, und deshalb finde man in einer gewissen Tiefe immer Wasser um seinen Stamm, wenn man den Boden aufgräbt. Man verwechselt hier Wirkung und Ursache. Der Murichi wächst vorzugsweise an feuchten Stellen, und richtiger sagte man, das Wasser ziehe den Baum an. Es ist eine ähnliche Schlußfolge, wenn die Eingeborenen am Orinoko behaupten, die großen Schlangen helfen einen Landstrich feucht erhalten. Ein alter Indianer in Javita sagte uns mit großer Wichtigkeit: "Vergeblich suche man Wasser- schlangen, wo es keine Sümpfe gibt; denn es sammelt sich kein Wasser, wenn man die Schlangen, die es anziehen, un- vorsichtigerweise umbringt."
1Plinius L. XII, c. VII.
und man kann ſich leicht denken, daß in einer weiten Ebene, wo nur zwei oder drei Baumarten wachſen, der Chaparro, der Schatten gibt, für ein ſehr wertvolles Gewächs gilt. Der Corypha iſt in den Llanos von Caracas von der Meſa de Paja bis an den Guayaval verbreitet; weiter nach Nord und Nordweſt, am Guanare und San Carlos, tritt eine andere Art derſelben Gattung mit gleichfalls handförmigen, aber größeren Blättern an ſeine Stelle. Sie heißt Palma real de los Llanos. Südlich vom Guayaval herrſchen andere Palmen, namentlich der Piritu mit gefiederten Blättern und der Murichi (Moriche), den Pater Gumilla als arbol de la vida ſo hoch preiſt. Es iſt dies der Sagobaum Amerikas; er liefert „victum et amictum“,1 Mehl, Wein, Faden zum Verfertigen der Hängematten, Körbe, Netze und Kleider. Seine tannenzapfenförmigen, mit Schuppen bedeckten Früchte gleichen ganz denen des Calamus Rotang; ſie ſchmecken etwas wie Aepfel; reif ſind ſie innen gelb, außen rot. Die Brüllaffen ſind ſehr lüſtern danach, und die Völkerſchaft der Guaraunen, deren Exiſtenz faſt ganz an die Murichipalme geknüpft iſt, bereitet daraus ein gegorenes, ſäuerliches, ſehr erfriſchendes Getränk. Dieſe Palme mit großen, glänzenden, fächerförmig gefalteten Blättern bleibt auch in der dürrſten Jahreszeit leb- haft grün. Schon ihr Anblick gibt das Gefühl angenehmer Kühlung, und die mit ihren ſchuppigen Früchten behangene Murichipalme bildet einen auffallenden Kontraſt mit der trüb- ſeligen Palma de Cobija, deren Laub immer grau und mit Staub bedeckt iſt. Die Llaneros glauben, erſterer Baum ziehe die Feuchtigkeit der Luft an ſich, und deshalb finde man in einer gewiſſen Tiefe immer Waſſer um ſeinen Stamm, wenn man den Boden aufgräbt. Man verwechſelt hier Wirkung und Urſache. Der Murichi wächſt vorzugsweiſe an feuchten Stellen, und richtiger ſagte man, das Waſſer ziehe den Baum an. Es iſt eine ähnliche Schlußfolge, wenn die Eingeborenen am Orinoko behaupten, die großen Schlangen helfen einen Landſtrich feucht erhalten. Ein alter Indianer in Javita ſagte uns mit großer Wichtigkeit: „Vergeblich ſuche man Waſſer- ſchlangen, wo es keine Sümpfe gibt; denn es ſammelt ſich kein Waſſer, wenn man die Schlangen, die es anziehen, un- vorſichtigerweiſe umbringt.“
1Plinius L. XII, c. VII.
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und man kann ſich leicht denken, daß in einer weiten Ebene,
wo nur zwei oder drei Baumarten wachſen, der Chaparro, der
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Corypha iſt in den Llanos von Caracas von der Meſa de
Paja bis an den Guayaval verbreitet; weiter nach Nord und
Nordweſt, am Guanare und San Carlos, tritt eine andere
Art derſelben Gattung mit gleichfalls handförmigen, aber
größeren Blättern an ſeine Stelle. Sie heißt Palma real
de los Llanos. Südlich vom Guayaval herrſchen andere
Palmen, namentlich der Piritu mit gefiederten Blättern und
der Murichi (Moriche), den Pater Gumilla als arbol de
la vida ſo hoch preiſt. Es iſt dies der Sagobaum Amerikas;
er liefert „victum et amictum“, 1 Mehl, Wein, Faden zum
Verfertigen der Hängematten, Körbe, Netze und Kleider. Seine
tannenzapfenförmigen, mit Schuppen bedeckten Früchte gleichen
ganz denen des Calamus Rotang; ſie ſchmecken etwas wie
Aepfel; reif ſind ſie innen gelb, außen rot. Die Brüllaffen
ſind ſehr lüſtern danach, und die Völkerſchaft der Guaraunen,
deren Exiſtenz faſt ganz an die Murichipalme geknüpft iſt,
bereitet daraus ein gegorenes, ſäuerliches, ſehr erfriſchendes
Getränk. Dieſe Palme mit großen, glänzenden, fächerförmig
gefalteten Blättern bleibt auch in der dürrſten Jahreszeit leb-
haft grün. Schon ihr Anblick gibt das Gefühl angenehmer
Kühlung, und die mit ihren ſchuppigen Früchten behangene
Murichipalme bildet einen auffallenden Kontraſt mit der trüb-
ſeligen Palma de Cobija, deren Laub immer grau und mit
Staub bedeckt iſt. Die Llaneros glauben, erſterer Baum ziehe
die Feuchtigkeit der Luft an ſich, und deshalb finde man in
einer gewiſſen Tiefe immer Waſſer um ſeinen Stamm, wenn
man den Boden aufgräbt. Man verwechſelt hier Wirkung
und Urſache. Der Murichi wächſt vorzugsweiſe an feuchten
Stellen, und richtiger ſagte man, das Waſſer ziehe den Baum
an. Es iſt eine ähnliche Schlußfolge, wenn die Eingeborenen
am Orinoko behaupten, die großen Schlangen helfen einen
Landſtrich feucht erhalten. Ein alter Indianer in Javita ſagte
uns mit großer Wichtigkeit: „Vergeblich ſuche man Waſſer-
ſchlangen, wo es keine Sümpfe gibt; denn es ſammelt ſich
kein Waſſer, wenn man die Schlangen, die es anziehen, un-
vorſichtigerweiſe umbringt.“
1 Plinius L. XII, c. VII.
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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 2. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1859, S. 288. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial02_1859/296>, abgerufen am 22.06.2024.
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