einen so ungeheuren Landstrich mit ihrem Schattendach über- wölben konnten. Der Ursprung kahler, von Wäldern um- schlossener Savannen ist noch schwerer zu erklären, als die Thatsache, daß Wälder und Savannen, gerade wie Festländer und Meere, in ihren alten Grenzen verharren.
In Calabozo wurden wir im Hause des Verwalters der Real Hacienda Don Miguel Cousin, aufs gastfreund- lichste aufgenommen. Die Stadt, zwischen den Flüssen Guarico und Uritucu gelegen, hatte damals nur 5000 Einwohner, aber ihr Wohlstand war sichtbar im Steigen. Der Reichtum der meisten Einwohner besteht in Herden, die von Pächtern be- sorgt werden, von sogenannten Hateros, von Hato, was im Spanischen ein Haus oder einen Hof im Weideland bedeutet. Die über die Llanos zerstreute Bevölkerung drängt sich an gewissen Punkten, namentlich in der Nähe der Städte, enger zusammen, und so hat Calabozo in seiner Umgebung bereits fünf Dörfer oder Missionen. Man berechnet das Vieh, das auf den Weiden in der Nähe der Stadt läuft, auf 98000 Stücke. Die Herden auf den Llanos von Caracas, Barcelona, Cu- mana und des spanischen Guyana sind sehr schwer genau zu schätzen. Depons, der sich länger als ich in Caracas aufge- halten hat, und dessen statistische Angaben im ganzen genau sind, rechnet auf den weiten Ebenen von den Mündungen des Orinoko bis zum See Maracaybo 1200000 Rinder, 180000 Pferde und 90000 Maultiere. Den Ertrag der Herden schätzt er auf 5 Millionen Franken, wobei neben der Ausfuhr auch der Wert der im Lande konsumierten Häute in Anschlag gebracht ist. In den Pampas von Buenos Ayres sollen 12 Millionen Rinder und 3 Millionen Pferde laufen, ungeachtet das Vieh, das für herrenlos gilt.
Ich lasse mich nicht auf solche allgemeine Schätzungen ein, die der Natur der Sache nach sehr unzuverlässig sind; ich bemerke nur, daß die Besitzer der großen Hatos in den Llanos von Caracas selbst gar nicht wissen, wie viel Stücke Vieh sie besitzen. Sie wissen nur, wie viele junge Tiere jährlich mit dem Buchstaben oder der Figur, wodurch die Herden sich unterscheiden, gezeichnet werden. Die reichsten Viehbesitzer zeichnen gegen 14000 im Jahr und verkaufen 5000 bis 6000. Nach den offiziellen Angaben belief sich die Ausfuhr an Häuten aus der ganzen Capitania general jährlich nur nach den An- tillen auf 174000 Rindshäute und 11500 Ziegenhäute. Be- denkt man nun, daß diese Angaben sich nur auf die Zoll-
einen ſo ungeheuren Landſtrich mit ihrem Schattendach über- wölben konnten. Der Urſprung kahler, von Wäldern um- ſchloſſener Savannen iſt noch ſchwerer zu erklären, als die Thatſache, daß Wälder und Savannen, gerade wie Feſtländer und Meere, in ihren alten Grenzen verharren.
In Calabozo wurden wir im Hauſe des Verwalters der Real Hacienda Don Miguel Couſin, aufs gaſtfreund- lichſte aufgenommen. Die Stadt, zwiſchen den Flüſſen Guarico und Uritucu gelegen, hatte damals nur 5000 Einwohner, aber ihr Wohlſtand war ſichtbar im Steigen. Der Reichtum der meiſten Einwohner beſteht in Herden, die von Pächtern be- ſorgt werden, von ſogenannten Hateros, von Hato, was im Spaniſchen ein Haus oder einen Hof im Weideland bedeutet. Die über die Llanos zerſtreute Bevölkerung drängt ſich an gewiſſen Punkten, namentlich in der Nähe der Städte, enger zuſammen, und ſo hat Calabozo in ſeiner Umgebung bereits fünf Dörfer oder Miſſionen. Man berechnet das Vieh, das auf den Weiden in der Nähe der Stadt läuft, auf 98000 Stücke. Die Herden auf den Llanos von Caracas, Barcelona, Cu- mana und des ſpaniſchen Guyana ſind ſehr ſchwer genau zu ſchätzen. Depons, der ſich länger als ich in Caracas aufge- halten hat, und deſſen ſtatiſtiſche Angaben im ganzen genau ſind, rechnet auf den weiten Ebenen von den Mündungen des Orinoko bis zum See Maracaybo 1200000 Rinder, 180000 Pferde und 90000 Maultiere. Den Ertrag der Herden ſchätzt er auf 5 Millionen Franken, wobei neben der Ausfuhr auch der Wert der im Lande konſumierten Häute in Anſchlag gebracht iſt. In den Pampas von Buenos Ayres ſollen 12 Millionen Rinder und 3 Millionen Pferde laufen, ungeachtet das Vieh, das für herrenlos gilt.
Ich laſſe mich nicht auf ſolche allgemeine Schätzungen ein, die der Natur der Sache nach ſehr unzuverläſſig ſind; ich bemerke nur, daß die Beſitzer der großen Hatos in den Llanos von Caracas ſelbſt gar nicht wiſſen, wie viel Stücke Vieh ſie beſitzen. Sie wiſſen nur, wie viele junge Tiere jährlich mit dem Buchſtaben oder der Figur, wodurch die Herden ſich unterſcheiden, gezeichnet werden. Die reichſten Viehbeſitzer zeichnen gegen 14000 im Jahr und verkaufen 5000 bis 6000. Nach den offiziellen Angaben belief ſich die Ausfuhr an Häuten aus der ganzen Capitania general jährlich nur nach den An- tillen auf 174000 Rindshäute und 11500 Ziegenhäute. Be- denkt man nun, daß dieſe Angaben ſich nur auf die Zoll-
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einen ſo ungeheuren Landſtrich mit ihrem Schattendach über-
wölben konnten. Der Urſprung kahler, von Wäldern um-
ſchloſſener Savannen iſt noch ſchwerer zu erklären, als die
Thatſache, daß Wälder und Savannen, gerade wie Feſtländer
und Meere, in ihren alten Grenzen verharren.
In Calabozo wurden wir im Hauſe des Verwalters
der Real Hacienda Don Miguel Couſin, aufs gaſtfreund-
lichſte aufgenommen. Die Stadt, zwiſchen den Flüſſen Guarico
und Uritucu gelegen, hatte damals nur 5000 Einwohner, aber
ihr Wohlſtand war ſichtbar im Steigen. Der Reichtum der
meiſten Einwohner beſteht in Herden, die von Pächtern be-
ſorgt werden, von ſogenannten Hateros, von Hato, was im
Spaniſchen ein Haus oder einen Hof im Weideland bedeutet.
Die über die Llanos zerſtreute Bevölkerung drängt ſich an
gewiſſen Punkten, namentlich in der Nähe der Städte, enger
zuſammen, und ſo hat Calabozo in ſeiner Umgebung bereits
fünf Dörfer oder Miſſionen. Man berechnet das Vieh, das auf
den Weiden in der Nähe der Stadt läuft, auf 98000 Stücke.
Die Herden auf den Llanos von Caracas, Barcelona, Cu-
mana und des ſpaniſchen Guyana ſind ſehr ſchwer genau zu
ſchätzen. Depons, der ſich länger als ich in Caracas aufge-
halten hat, und deſſen ſtatiſtiſche Angaben im ganzen genau
ſind, rechnet auf den weiten Ebenen von den Mündungen
des Orinoko bis zum See Maracaybo 1200000 Rinder,
180000 Pferde und 90000 Maultiere. Den Ertrag der
Herden ſchätzt er auf 5 Millionen Franken, wobei neben der
Ausfuhr auch der Wert der im Lande konſumierten Häute in
Anſchlag gebracht iſt. In den Pampas von Buenos Ayres
ſollen 12 Millionen Rinder und 3 Millionen Pferde laufen,
ungeachtet das Vieh, das für herrenlos gilt.
Ich laſſe mich nicht auf ſolche allgemeine Schätzungen
ein, die der Natur der Sache nach ſehr unzuverläſſig ſind; ich
bemerke nur, daß die Beſitzer der großen Hatos in den Llanos
von Caracas ſelbſt gar nicht wiſſen, wie viel Stücke Vieh ſie
beſitzen. Sie wiſſen nur, wie viele junge Tiere jährlich mit
dem Buchſtaben oder der Figur, wodurch die Herden ſich
unterſcheiden, gezeichnet werden. Die reichſten Viehbeſitzer
zeichnen gegen 14000 im Jahr und verkaufen 5000 bis 6000.
Nach den offiziellen Angaben belief ſich die Ausfuhr an Häuten
aus der ganzen Capitania general jährlich nur nach den An-
tillen auf 174000 Rindshäute und 11500 Ziegenhäute. Be-
denkt man nun, daß dieſe Angaben ſich nur auf die Zoll-
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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 2. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1859, S. 290. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial02_1859/298>, abgerufen am 21.06.2024.
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