Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 2. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1859.diejenigen, die sich wie von innen heraus organisch entwickeln, Lassen wir aber auch für die Sprachen keinen durch- Betrachtet man den eigentümlichen Bau der amerikanischen 1 Wilhelm v. Humboldt.
diejenigen, die ſich wie von innen heraus organiſch entwickeln, Laſſen wir aber auch für die Sprachen keinen durch- Betrachtet man den eigentümlichen Bau der amerikaniſchen 1 Wilhelm v. Humboldt.
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0040" n="32"/> diejenigen, die ſich wie von innen heraus organiſch entwickeln,<lb/> kennen gar keinen äußerlichen Zuwachs durch <hi rendition="#g">Suffixe</hi> und<lb/><hi rendition="#g">Affixe</hi>, welchen Zuwachs wir ſchon öfters als Agglutination<lb/> oder Inkorporation bezeichnet haben. Viele Formen, die wir<lb/> jetzt für Flexionen der Wurzel halten, waren vielleicht ur-<lb/> ſprünglich Affixe, von denen nur ein oder zwei Konſonanten<lb/> übrig geblieben ſind. Es iſt mit den Sprachen wie mit allem<lb/> Organiſchen in der Natur; nichts ſteht ganz für ſich, nichts<lb/> iſt dem anderen völlig unähnlich. Je weiter man in ihren<lb/> inneren Bau eindringt, deſto mehr ſchwinden die Kontraſte,<lb/> die auffallenden Eigentümlichkeiten. „Es iſt damit wie mit<lb/> den Wolken, die nur von weitem ſcharf umriſſen ſcheinen.“ <note place="foot" n="1">Wilhelm v. Humboldt.</note></p><lb/> <p>Laſſen wir aber auch für die Sprachen keinen durch-<lb/> greifenden Einteilungsgrund gelten, ſo iſt doch vollkommen<lb/> zuzugeben, daß im gegenwärtigen Zuſtande die einen mehr<lb/> Neigung haben zur Flexion, die anderen zur äußerlichen Aggre-<lb/> gation. Zu den erſteren gehören bekanntlich die Sprachen<lb/> des indiſchen, pelasgiſchen und germaniſchen Sprachſtammes,<lb/> zu den letzteren die amerikaniſchen Sprachen, das Koptiſche<lb/> oder Altägyptiſche und in gewiſſem Grade die ſemitiſchen<lb/> Sprachen und das Baskiſche. Schon das Wenige, das wir<lb/> vom Idiom der Chaymas oben mitgeteilt, zeigt deutlich die<lb/> durchgehende Neigung zur Inkorporation oder Aggregation<lb/> gewiſſer Formen, die ſich abtrennen laſſen, wobei aber ein<lb/> ziemlich entwickeltes Gefühl für Wohllaut ein paar Buchſtaben<lb/> wegwirft oder aber zuſetzt. Durch dieſe Affixe im Auslaut<lb/> der Worte werden die mannigfaltigſten Zahl-, Zeit- und<lb/> Raumverhältniſſe bezeichnet.</p><lb/> <p>Betrachtet man den eigentümlichen Bau der amerikaniſchen<lb/> Sprachen näher, ſo glaubt man zu erraten, woher die alte,<lb/> in allen Miſſionen verbreitete Anſicht rührt, daß die ameri-<lb/> kaniſchen Sprachen Aehnlichkeit mit dem Hebräiſchen und dem<lb/> Baskiſchen haben. Ueberall, im Kloſter Caripe wie am Orinoko,<lb/> in Peru wie in Mexiko, hörte ich dieſen Gedanken äußern,<lb/> beſonders Geiſtliche, die vom Hebräiſchen und Baskiſchen einige<lb/> oberflächliche Kenntnis hatten. Liegen etwa religiöſe Rück-<lb/> ſichten einer ſo ſeltſamen Annahme zu Grunde? In Nord-<lb/> amerika, bei den Chokta und Chikaſa, haben etwas leicht-<lb/> gläubige Reiſende, das Hallelujah der Hebräer ſingen hören,<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [32/0040]
diejenigen, die ſich wie von innen heraus organiſch entwickeln,
kennen gar keinen äußerlichen Zuwachs durch Suffixe und
Affixe, welchen Zuwachs wir ſchon öfters als Agglutination
oder Inkorporation bezeichnet haben. Viele Formen, die wir
jetzt für Flexionen der Wurzel halten, waren vielleicht ur-
ſprünglich Affixe, von denen nur ein oder zwei Konſonanten
übrig geblieben ſind. Es iſt mit den Sprachen wie mit allem
Organiſchen in der Natur; nichts ſteht ganz für ſich, nichts
iſt dem anderen völlig unähnlich. Je weiter man in ihren
inneren Bau eindringt, deſto mehr ſchwinden die Kontraſte,
die auffallenden Eigentümlichkeiten. „Es iſt damit wie mit
den Wolken, die nur von weitem ſcharf umriſſen ſcheinen.“ 1
Laſſen wir aber auch für die Sprachen keinen durch-
greifenden Einteilungsgrund gelten, ſo iſt doch vollkommen
zuzugeben, daß im gegenwärtigen Zuſtande die einen mehr
Neigung haben zur Flexion, die anderen zur äußerlichen Aggre-
gation. Zu den erſteren gehören bekanntlich die Sprachen
des indiſchen, pelasgiſchen und germaniſchen Sprachſtammes,
zu den letzteren die amerikaniſchen Sprachen, das Koptiſche
oder Altägyptiſche und in gewiſſem Grade die ſemitiſchen
Sprachen und das Baskiſche. Schon das Wenige, das wir
vom Idiom der Chaymas oben mitgeteilt, zeigt deutlich die
durchgehende Neigung zur Inkorporation oder Aggregation
gewiſſer Formen, die ſich abtrennen laſſen, wobei aber ein
ziemlich entwickeltes Gefühl für Wohllaut ein paar Buchſtaben
wegwirft oder aber zuſetzt. Durch dieſe Affixe im Auslaut
der Worte werden die mannigfaltigſten Zahl-, Zeit- und
Raumverhältniſſe bezeichnet.
Betrachtet man den eigentümlichen Bau der amerikaniſchen
Sprachen näher, ſo glaubt man zu erraten, woher die alte,
in allen Miſſionen verbreitete Anſicht rührt, daß die ameri-
kaniſchen Sprachen Aehnlichkeit mit dem Hebräiſchen und dem
Baskiſchen haben. Ueberall, im Kloſter Caripe wie am Orinoko,
in Peru wie in Mexiko, hörte ich dieſen Gedanken äußern,
beſonders Geiſtliche, die vom Hebräiſchen und Baskiſchen einige
oberflächliche Kenntnis hatten. Liegen etwa religiöſe Rück-
ſichten einer ſo ſeltſamen Annahme zu Grunde? In Nord-
amerika, bei den Chokta und Chikaſa, haben etwas leicht-
gläubige Reiſende, das Hallelujah der Hebräer ſingen hören,
1 Wilhelm v. Humboldt.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |