Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 3. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860.Laufe fließender Gewässer gleich außerordentliche Erscheinungen Laufe fließender Gewäſſer gleich außerordentliche Erſcheinungen <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0264" n="256"/> Laufe fließender Gewäſſer gleich außerordentliche Erſcheinungen<lb/> vorkommen, daß aber dieſe Erſcheinungen vermöge ihres un-<lb/> bedeutenden Umfanges den Reiſenden weniger aufgefallen ſind.<lb/> Wenn ungeheure Ströme betrachtet werden können als aus<lb/> mehreren, untereinander parallelen, aber ungleich tiefen Rinnen<lb/> beſtehend, wenn dieſe Ströme nicht in Thäler eingeſchloſſen<lb/> ſind, und wenn das Innere eines großen Feſtlandes ſo eben<lb/> iſt als bei uns das Meeresufer, ſo müſſen die Verzweigungen,<lb/> die Gabelungen, die netzförmigen Verſchlingungen ſich ins Un-<lb/> endliche häufen. Nach allem, was wir vom Gleichgewicht der<lb/> Meere wiſſen, kann ich nicht glauben, daß die Neue Welt<lb/> ſpäter als die Alte dem Schoße des Waſſers entſtiegen, daß<lb/> das organiſche Leben in ihr jünger, friſcher ſein ſollte; wenn<lb/> man aber auch keine Gegenſätze zwiſchen den zwei Halbkugeln<lb/> desſelben Planeten gelten läßt, ſo begreift ſich doch, daß auf<lb/> derjenigen, welche die größte Waſſerfülle hat, die verſchiedenen<lb/> Flußſyſteme längere Zeit gebraucht haben, ſich voneinander<lb/> zu ſcheiden, ſich gegenſeitig völlig unabhängig zu machen. Die<lb/> Anſchwemmungen, die ſich überall bilden, wo fließendes Waſſer<lb/> an Geſchwindigkeit abnimmt, tragen allerdings dazu bei, die<lb/> großen Strombetten zu erhöhen und die Ueberſchwemmungen<lb/> ſtärker zu machen; aber auf die Länge werden die Flußarme<lb/> und ſchmalen Kanäle, welche benachbarte Flüſſe miteinander<lb/> verbinden, durch dieſe Anſchwemmungen ganz verſtopft. Was<lb/> das Regenwaſſer zuſammenſpült, bildet, indem es ſich auf-<lb/> häuft, Schwellen, <hi rendition="#aq">isthmes d’attérissement,</hi> Waſſerſcheiden,<lb/> die zuvor nicht vorhanden waren. Die Folge davon iſt, daß<lb/> die natürlichen, urſprünglichen Verbindungskanäle nach und<lb/> nach in zwei Waſſerläufe zerfallen, und durch die Aufhöhung<lb/> des Bodens in der Quere zwei Gefälle nach entgegengeſetzten<lb/> Richtungen erhalten. Ein Teil ihres Waſſers fällt in den<lb/> Hauptwaſſerbehälter zurück, und zwiſchen zwei parallelen Becken<lb/> erhebt ſich eine Böſchung, ſo daß die ehemalige Verbindung<lb/> ſpurlos verſchwindet. Sofort beſtehen zwiſchen verſchiedenen<lb/> Flußſyſtemen keine Gabelungen mehr, und wo ſie zur Zeit<lb/> der großen Ueberſchwemmungen noch immer vorhanden ſind,<lb/> tritt das Waſſer vom Hauptbehälter nur weg, um nach größeren<lb/> oder kleineren Umwegen wieder dahin zurückzukehren. Die<lb/> Gebiete, deren Grenzen anfangs ſchwankend durcheinander<lb/> liefen, ſchließen ſich nach und nach ab, und im Laufe der<lb/> Jahrhunderte wirkt alles, was an der Erdoberfläche beweglich<lb/> iſt, Waſſer, Schwemmung und Sand zuſammen, um die<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [256/0264]
Laufe fließender Gewäſſer gleich außerordentliche Erſcheinungen
vorkommen, daß aber dieſe Erſcheinungen vermöge ihres un-
bedeutenden Umfanges den Reiſenden weniger aufgefallen ſind.
Wenn ungeheure Ströme betrachtet werden können als aus
mehreren, untereinander parallelen, aber ungleich tiefen Rinnen
beſtehend, wenn dieſe Ströme nicht in Thäler eingeſchloſſen
ſind, und wenn das Innere eines großen Feſtlandes ſo eben
iſt als bei uns das Meeresufer, ſo müſſen die Verzweigungen,
die Gabelungen, die netzförmigen Verſchlingungen ſich ins Un-
endliche häufen. Nach allem, was wir vom Gleichgewicht der
Meere wiſſen, kann ich nicht glauben, daß die Neue Welt
ſpäter als die Alte dem Schoße des Waſſers entſtiegen, daß
das organiſche Leben in ihr jünger, friſcher ſein ſollte; wenn
man aber auch keine Gegenſätze zwiſchen den zwei Halbkugeln
desſelben Planeten gelten läßt, ſo begreift ſich doch, daß auf
derjenigen, welche die größte Waſſerfülle hat, die verſchiedenen
Flußſyſteme längere Zeit gebraucht haben, ſich voneinander
zu ſcheiden, ſich gegenſeitig völlig unabhängig zu machen. Die
Anſchwemmungen, die ſich überall bilden, wo fließendes Waſſer
an Geſchwindigkeit abnimmt, tragen allerdings dazu bei, die
großen Strombetten zu erhöhen und die Ueberſchwemmungen
ſtärker zu machen; aber auf die Länge werden die Flußarme
und ſchmalen Kanäle, welche benachbarte Flüſſe miteinander
verbinden, durch dieſe Anſchwemmungen ganz verſtopft. Was
das Regenwaſſer zuſammenſpült, bildet, indem es ſich auf-
häuft, Schwellen, isthmes d’attérissement, Waſſerſcheiden,
die zuvor nicht vorhanden waren. Die Folge davon iſt, daß
die natürlichen, urſprünglichen Verbindungskanäle nach und
nach in zwei Waſſerläufe zerfallen, und durch die Aufhöhung
des Bodens in der Quere zwei Gefälle nach entgegengeſetzten
Richtungen erhalten. Ein Teil ihres Waſſers fällt in den
Hauptwaſſerbehälter zurück, und zwiſchen zwei parallelen Becken
erhebt ſich eine Böſchung, ſo daß die ehemalige Verbindung
ſpurlos verſchwindet. Sofort beſtehen zwiſchen verſchiedenen
Flußſyſtemen keine Gabelungen mehr, und wo ſie zur Zeit
der großen Ueberſchwemmungen noch immer vorhanden ſind,
tritt das Waſſer vom Hauptbehälter nur weg, um nach größeren
oder kleineren Umwegen wieder dahin zurückzukehren. Die
Gebiete, deren Grenzen anfangs ſchwankend durcheinander
liefen, ſchließen ſich nach und nach ab, und im Laufe der
Jahrhunderte wirkt alles, was an der Erdoberfläche beweglich
iſt, Waſſer, Schwemmung und Sand zuſammen, um die
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