Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 3. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860.reizte. Es waren Vachacos, große Ameisen, deren Hinter- Da der Regen in Strömen herabgoß, mußten wir in Wir verließen die Insel Dapa lange vor der Morgen- reizte. Es waren Vachacos, große Ameiſen, deren Hinter- Da der Regen in Strömen herabgoß, mußten wir in Wir verließen die Inſel Dapa lange vor der Morgen- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0285" n="277"/> reizte. Es waren <hi rendition="#g">Vachacos</hi>, große Ameiſen, deren Hinter-<lb/> teil einem Fettknopf gleicht. Sie waren am Feuer getrocknet<lb/> und vom Rauch geſchwärzt. Wir ſahen mehrere Säcke voll<lb/> über dem Feuer hängen. Die guten Leute achteten wenig<lb/> auf uns, und doch lagen in der engen Hütte mehr als vier-<lb/> zehn Menſchen ganz nackt in Hängematten übereinander. Als<lb/> aber Pater Zea erſchien, wurde er mit großen Freudenbezei-<lb/> gungen empfangen. Am Rio Negro ſtehen wegen der Grenz-<lb/> wache mehr Soldaten als am Orinoko, und überall, wo Sol-<lb/> daten und Mönche ſich die Herrſchaft über die Indianer<lb/> ſtreitig machen, haben dieſe mehr Zuneigung zu den Mönchen.<lb/> Zwei junge Weiber ſtiegen aus den Hängematten, um uns<lb/> Caſavekuchen zu bereiten. Man fragte ſie durch einen Dol-<lb/> metſcher, ob der Boden der Inſel fruchtbar ſei; ſie erwiderten,<lb/> der Maniok gerate ſchlecht, dagegen ſei es ein <hi rendition="#g">gutes Amei-<lb/> ſenland</hi>, man habe gut zu leben. Dieſe <hi rendition="#g">Vachacos</hi> dienen<lb/> den Indianern am Rio Negro wirklich zur Nahrung. Man<lb/> ißt die Ameiſen nicht aus Leckerei, ſondern weil, wie die<lb/> Miſſionäre ſagen, das <hi rendition="#g">Ameiſenfett</hi> (der weiße Teil des<lb/> Unterleibs) ſehr nahrhaft iſt. Als die Caſavekuchen fertig<lb/> waren, ließ ſich Pater Zea, bei dem das Fieber die Eßluſt<lb/> viel mehr zu reizen als zu ſchwächen ſchien, einen kleinen Sack<lb/> voll geräucherter Vachacos geben. Er miſchte die zerdrückten<lb/> Inſekten mit Maniokmehl und ließ nicht nach, bis wir davon<lb/> koſteten. Es ſchmeckte ungefähr wie ranzige Butter, mit Brot-<lb/> krumen geknetet. Der Maniok ſchmeckte nicht ſauer, es klebte<lb/> uns aber noch ſo viel europäiſches Vorurteil an, daß wir<lb/> mit dem guten Miſſionär, wenn er das Ding eine vor-<lb/> treffliche <hi rendition="#g">Ameiſenpaſtete</hi> nannte, nicht einverſtanden ſein<lb/> konnten.</p><lb/> <p>Da der Regen in Strömen herabgoß, mußten wir in<lb/> der überfüllten Hütte übernachten. Die Indianer ſchliefen<lb/> nur von acht bis zwei Uhr; die übrige Zeit ſchwatzten ſie in<lb/> ihren Hängematten, bereiteten ihr bitteres Getränk Cupana,<lb/> ſchürten das Feuer und klagten über die Kälte, obgleich die<lb/> Lufttemperatur 21° war. Dieſe Sitte, vier, fünf Stunden<lb/> vor Sonnenaufgang wach, ja auf den Beinen zu ſein, herrſcht<lb/> bei den Indianern in Guyana allgemein. Wenn man daher<lb/> bei den „Entradas“ die Eingeborenen überraſchen will, wählt<lb/> man dazu die Zeit, wo ſie im erſten Schlafe liegen, von neun<lb/> Uhr bis Mitternacht.</p><lb/> <p>Wir verließen die Inſel Dapa lange vor der Morgen-<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [277/0285]
reizte. Es waren Vachacos, große Ameiſen, deren Hinter-
teil einem Fettknopf gleicht. Sie waren am Feuer getrocknet
und vom Rauch geſchwärzt. Wir ſahen mehrere Säcke voll
über dem Feuer hängen. Die guten Leute achteten wenig
auf uns, und doch lagen in der engen Hütte mehr als vier-
zehn Menſchen ganz nackt in Hängematten übereinander. Als
aber Pater Zea erſchien, wurde er mit großen Freudenbezei-
gungen empfangen. Am Rio Negro ſtehen wegen der Grenz-
wache mehr Soldaten als am Orinoko, und überall, wo Sol-
daten und Mönche ſich die Herrſchaft über die Indianer
ſtreitig machen, haben dieſe mehr Zuneigung zu den Mönchen.
Zwei junge Weiber ſtiegen aus den Hängematten, um uns
Caſavekuchen zu bereiten. Man fragte ſie durch einen Dol-
metſcher, ob der Boden der Inſel fruchtbar ſei; ſie erwiderten,
der Maniok gerate ſchlecht, dagegen ſei es ein gutes Amei-
ſenland, man habe gut zu leben. Dieſe Vachacos dienen
den Indianern am Rio Negro wirklich zur Nahrung. Man
ißt die Ameiſen nicht aus Leckerei, ſondern weil, wie die
Miſſionäre ſagen, das Ameiſenfett (der weiße Teil des
Unterleibs) ſehr nahrhaft iſt. Als die Caſavekuchen fertig
waren, ließ ſich Pater Zea, bei dem das Fieber die Eßluſt
viel mehr zu reizen als zu ſchwächen ſchien, einen kleinen Sack
voll geräucherter Vachacos geben. Er miſchte die zerdrückten
Inſekten mit Maniokmehl und ließ nicht nach, bis wir davon
koſteten. Es ſchmeckte ungefähr wie ranzige Butter, mit Brot-
krumen geknetet. Der Maniok ſchmeckte nicht ſauer, es klebte
uns aber noch ſo viel europäiſches Vorurteil an, daß wir
mit dem guten Miſſionär, wenn er das Ding eine vor-
treffliche Ameiſenpaſtete nannte, nicht einverſtanden ſein
konnten.
Da der Regen in Strömen herabgoß, mußten wir in
der überfüllten Hütte übernachten. Die Indianer ſchliefen
nur von acht bis zwei Uhr; die übrige Zeit ſchwatzten ſie in
ihren Hängematten, bereiteten ihr bitteres Getränk Cupana,
ſchürten das Feuer und klagten über die Kälte, obgleich die
Lufttemperatur 21° war. Dieſe Sitte, vier, fünf Stunden
vor Sonnenaufgang wach, ja auf den Beinen zu ſein, herrſcht
bei den Indianern in Guyana allgemein. Wenn man daher
bei den „Entradas“ die Eingeborenen überraſchen will, wählt
man dazu die Zeit, wo ſie im erſten Schlafe liegen, von neun
Uhr bis Mitternacht.
Wir verließen die Inſel Dapa lange vor der Morgen-
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