er war bis zur Schanze am Rio Negro gekommen, er ver- stand Spanisch und die Sprache der Macos, und dünkte sich weit erhaben über die Leute seines Stammes; wie hätte er da nicht ein Mädchen vergessen sollen, das im Walde auf- gewachsen?
Am 31. Mai fuhren wir über die Stromschnellen der Guahibos und bei Garcita. Die Inseln mitten im Strome glänzten im herrlichsten Grün. Der winterliche Regen hatte die Blumenscheiden der Vadgiaipalmen entwickelt, deren Blätter gerade himmelan stehen. Man wird nicht müde, Punkte zu betrachten, wo Baum und Fels der Landschaft den großartigen, ernsten Charakter geben, den man auf dem Hintergrunde von Tizians und Poussins Bildern bewundert. Kurz vor Sonnenuntergang stiegen wir am östlichen Ufer des Orinoko, beim Puerto de la Expedicion, ans Land, und zwar um die Höhle von Ataruipe zu besuchen, von der oben die Rede war, und wo ein ganzer ausgestorbener Volksstamm seine Grabstätte zu haben scheint. Ich versuche diese bei den Eingeborenen vielberufene Höhle zu beschreiben.
Man ersteigt mühsam und nicht ganz gefahrlos einen steilen, völlig kahlen Granitfelsberg. Man könnte auf der glatten, stark geneigten Fläche fast unmöglich Fuß fassen, wenn nicht große Feldspatkristalle, welche nicht so leicht verwittern, hervorstünden und Anhaltspunkte böten. Auf dem Gipfel des Berges angelangt, erstaunten wir über den außer- ordentlichen Anblick des Landes in der Runde. Ein Archipel mit Palmen bewachsener Inseln füllt das schäumende Strom- bett. Westwärts, am linken Ufer des Orinoko, breiten sich die Savannen am Meta und Casanare hin, wie eine grüne See, deren dunstiger Horizont von der untergehenden Sonne beleuchtet war. Das Gestirn, das wie ein Feuerball über der Ebene hing, der einzeln stehende Spitzberg Uniana, der um so höher erschien, da seine Umrisse im Dunst verschwam- men; alles wirkte zusammen, die großartige Szenerie noch erhabener zu machen. Wir sahen zunächst in ein tiefes, ringsum geschlossenes Thal hinunter. Raubvögel und Ziegenmelker schwirrten einzeln durch den unzugänglichen Zirkus. Mit Vergnügen verfolgten wir ihre flüchtigen Schatten, wie sie langsam an den Felswänden hinglitten.
Ueber einen schmalen Grat gelangten wir auf einen be- nachbarten Berg, auf dessen abgerundetem Gipfel ungeheure Granitblöcke lagen. Diese Massen haben 13 bis 16 m Durch-
er war bis zur Schanze am Rio Negro gekommen, er ver- ſtand Spaniſch und die Sprache der Macos, und dünkte ſich weit erhaben über die Leute ſeines Stammes; wie hätte er da nicht ein Mädchen vergeſſen ſollen, das im Walde auf- gewachſen?
Am 31. Mai fuhren wir über die Stromſchnellen der Guahibos und bei Garcita. Die Inſeln mitten im Strome glänzten im herrlichſten Grün. Der winterliche Regen hatte die Blumenſcheiden der Vadgiaipalmen entwickelt, deren Blätter gerade himmelan ſtehen. Man wird nicht müde, Punkte zu betrachten, wo Baum und Fels der Landſchaft den großartigen, ernſten Charakter geben, den man auf dem Hintergrunde von Tizians und Pouſſins Bildern bewundert. Kurz vor Sonnenuntergang ſtiegen wir am öſtlichen Ufer des Orinoko, beim Puerto de la Expedicion, ans Land, und zwar um die Höhle von Ataruipe zu beſuchen, von der oben die Rede war, und wo ein ganzer ausgeſtorbener Volksſtamm ſeine Grabſtätte zu haben ſcheint. Ich verſuche dieſe bei den Eingeborenen vielberufene Höhle zu beſchreiben.
Man erſteigt mühſam und nicht ganz gefahrlos einen ſteilen, völlig kahlen Granitfelsberg. Man könnte auf der glatten, ſtark geneigten Fläche faſt unmöglich Fuß faſſen, wenn nicht große Feldſpatkriſtalle, welche nicht ſo leicht verwittern, hervorſtünden und Anhaltspunkte böten. Auf dem Gipfel des Berges angelangt, erſtaunten wir über den außer- ordentlichen Anblick des Landes in der Runde. Ein Archipel mit Palmen bewachſener Inſeln füllt das ſchäumende Strom- bett. Weſtwärts, am linken Ufer des Orinoko, breiten ſich die Savannen am Meta und Caſanare hin, wie eine grüne See, deren dunſtiger Horizont von der untergehenden Sonne beleuchtet war. Das Geſtirn, das wie ein Feuerball über der Ebene hing, der einzeln ſtehende Spitzberg Uniana, der um ſo höher erſchien, da ſeine Umriſſe im Dunſt verſchwam- men; alles wirkte zuſammen, die großartige Szenerie noch erhabener zu machen. Wir ſahen zunächſt in ein tiefes, ringsum geſchloſſenes Thal hinunter. Raubvögel und Ziegenmelker ſchwirrten einzeln durch den unzugänglichen Zirkus. Mit Vergnügen verfolgten wir ihre flüchtigen Schatten, wie ſie langſam an den Felswänden hinglitten.
Ueber einen ſchmalen Grat gelangten wir auf einen be- nachbarten Berg, auf deſſen abgerundetem Gipfel ungeheure Granitblöcke lagen. Dieſe Maſſen haben 13 bis 16 m Durch-
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er war bis zur Schanze am Rio Negro gekommen, er ver-
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ſich weit erhaben über die Leute ſeines Stammes; wie hätte
er da nicht ein Mädchen vergeſſen ſollen, das im Walde auf-
gewachſen?
Am 31. Mai fuhren wir über die Stromſchnellen der
Guahibos und bei Garcita. Die Inſeln mitten im Strome
glänzten im herrlichſten Grün. Der winterliche Regen hatte
die Blumenſcheiden der Vadgiaipalmen entwickelt, deren
Blätter gerade himmelan ſtehen. Man wird nicht müde,
Punkte zu betrachten, wo Baum und Fels der Landſchaft den
großartigen, ernſten Charakter geben, den man auf dem
Hintergrunde von Tizians und Pouſſins Bildern bewundert.
Kurz vor Sonnenuntergang ſtiegen wir am öſtlichen Ufer des
Orinoko, beim Puerto de la Expedicion, ans Land, und
zwar um die Höhle von Ataruipe zu beſuchen, von der oben
die Rede war, und wo ein ganzer ausgeſtorbener Volksſtamm
ſeine Grabſtätte zu haben ſcheint. Ich verſuche dieſe bei den
Eingeborenen vielberufene Höhle zu beſchreiben.
Man erſteigt mühſam und nicht ganz gefahrlos einen
ſteilen, völlig kahlen Granitfelsberg. Man könnte auf der
glatten, ſtark geneigten Fläche faſt unmöglich Fuß faſſen,
wenn nicht große Feldſpatkriſtalle, welche nicht ſo leicht
verwittern, hervorſtünden und Anhaltspunkte böten. Auf dem
Gipfel des Berges angelangt, erſtaunten wir über den außer-
ordentlichen Anblick des Landes in der Runde. Ein Archipel
mit Palmen bewachſener Inſeln füllt das ſchäumende Strom-
bett. Weſtwärts, am linken Ufer des Orinoko, breiten ſich
die Savannen am Meta und Caſanare hin, wie eine grüne
See, deren dunſtiger Horizont von der untergehenden Sonne
beleuchtet war. Das Geſtirn, das wie ein Feuerball über
der Ebene hing, der einzeln ſtehende Spitzberg Uniana, der
um ſo höher erſchien, da ſeine Umriſſe im Dunſt verſchwam-
men; alles wirkte zuſammen, die großartige Szenerie noch
erhabener zu machen. Wir ſahen zunächſt in ein tiefes, ringsum
geſchloſſenes Thal hinunter. Raubvögel und Ziegenmelker
ſchwirrten einzeln durch den unzugänglichen Zirkus. Mit
Vergnügen verfolgten wir ihre flüchtigen Schatten, wie ſie
langſam an den Felswänden hinglitten.
Ueber einen ſchmalen Grat gelangten wir auf einen be-
nachbarten Berg, auf deſſen abgerundetem Gipfel ungeheure
Granitblöcke lagen. Dieſe Maſſen haben 13 bis 16 m Durch-
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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 4. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860, S. 110. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial04_1859/118>, abgerufen am 16.02.2025.
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