Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 4. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860.sehr biegsamen Talkes, und eine Nahrung, an welche ihre Wenn einmal infolge der Aenderungen, welche der Ver- 1 Diese Steinbutter ist nicht zu verwechseln mit der
Bergbutter, einer salzigen Substanz, die aus der Zersetzung des Alaunschiefers entsteht. ſehr biegſamen Talkes, und eine Nahrung, an welche ihre Wenn einmal infolge der Aenderungen, welche der Ver- 1 Dieſe Steinbutter iſt nicht zu verwechſeln mit der
Bergbutter, einer ſalzigen Subſtanz, die aus der Zerſetzung des Alaunſchiefers entſteht. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0138" n="130"/> ſehr biegſamen Talkes, und eine Nahrung, an welche ihre<lb/> Organe ſo gar nicht gewöhnt waren, verurſachte ihnen keine<lb/> Beſchwerde. Bekanntlich werden im Orient Bolus und Siegel-<lb/> erde von Lemnos, die Thon mit Eiſenoxyd ſind, noch jetzt<lb/> ſtark gebraucht. In Deutſchland ſtreichen die Arbeiter in den<lb/> Sandſteinbrüchen am Kyffhäuſer ſtatt der Butter einen ſehr<lb/> feinen Thon, den ſie <hi rendition="#g">Steinbutter</hi> <note place="foot" n="1">Dieſe <hi rendition="#g">Steinbutter</hi> iſt nicht zu verwechſeln mit der<lb/><hi rendition="#g">Bergbutter</hi>, einer ſalzigen Subſtanz, die aus der Zerſetzung<lb/> des Alaunſchiefers entſteht.</note> nennen, auf ihr Brot.<lb/> Derſelbe gilt bei ihnen für ſehr ſättigend und leicht verdaulich.</p><lb/> <p>Wenn einmal infolge der Aenderungen, welche der Ver-<lb/> faſſung der ſpaniſchen Kolonieen bevorſtehen, die Miſſionen<lb/> am Orinoko häufiger von unterrichteten Reiſenden beſucht<lb/> werden, ſo wird man genau ermitteln, wie viele Tage die<lb/> Otomaken leben können, ohne neben der Erde wirklichen tie-<lb/> riſchen oder vegetabiliſchen Nahrungsſtoff zu ſich zu nehmen.<lb/> Es iſt eine bedeutende Menge Magenſaft und Saft der Bauch-<lb/> ſpeicheldrüſe erforderlich, um eine ſolche Maſſe Thon zu ver-<lb/> dauen oder vielmehr einzuhüllen und mit dem Kot auszu-<lb/> treiben. Daß die Abſonderung dieſer Säfte, welche beſtimmt<lb/> ſind, ſich mit dem Chymus zu verbinden, durch den Thon im<lb/> Magen und im Darm geſteigert wird, iſt leicht zu begreifen;<lb/> wie kommt es aber, daß eine ſo reichliche Sekretion, die dem<lb/> Körper keineswegs neue Beſtandteile zuführt, ſondern nur<lb/> Beſtandteile, die auf anderen Wegen bereits da ſind, anders-<lb/> wohin ſchafft, auf die Länge kein Gefühl der Erſchöpfung zur<lb/> Folge hat? Die vollkommene Geſundheit, deren die Otomaken<lb/> genießen, ſolange ſie ſich wenig Bewegung machen und ſich<lb/> auf ſo ungewöhnliche Weiſe nähren, iſt eine ſchwer zu erklä-<lb/> rende Erſcheinung. Man kann ſie nur einer durch lange Ge-<lb/> ſchlechtsfolge erworbenen Gewöhnung zuſchreiben. Der Ver-<lb/> dauungsapparat iſt ſehr verſchieden gebaut, je nachdem die<lb/> Tiere ausſchließlich von Fleiſch oder Pflanzenſtoff leben; wahr-<lb/> ſcheinlich iſt auch der Magenſaft verſchieden, je nachdem er<lb/> tieriſche oder vegetabiliſche Subſtanzen zu verdauen hat, und<lb/> doch bringt man es allmählich dahin, daß Pflanzenfreſſer und<lb/> Fleiſchfreſſer ihre Koſt vertauſchen, daß jene Fleiſch, dieſe<lb/> Körner freſſen. Der Menſch kann ſich daran gewöhnen, un-<lb/> gemein wenig Nahrung zu ſich zu nehmen, und zwar ohne<lb/> Schmerzgefühl, wenn er toniſche oder reizende Mittel an-<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [130/0138]
ſehr biegſamen Talkes, und eine Nahrung, an welche ihre
Organe ſo gar nicht gewöhnt waren, verurſachte ihnen keine
Beſchwerde. Bekanntlich werden im Orient Bolus und Siegel-
erde von Lemnos, die Thon mit Eiſenoxyd ſind, noch jetzt
ſtark gebraucht. In Deutſchland ſtreichen die Arbeiter in den
Sandſteinbrüchen am Kyffhäuſer ſtatt der Butter einen ſehr
feinen Thon, den ſie Steinbutter 1 nennen, auf ihr Brot.
Derſelbe gilt bei ihnen für ſehr ſättigend und leicht verdaulich.
Wenn einmal infolge der Aenderungen, welche der Ver-
faſſung der ſpaniſchen Kolonieen bevorſtehen, die Miſſionen
am Orinoko häufiger von unterrichteten Reiſenden beſucht
werden, ſo wird man genau ermitteln, wie viele Tage die
Otomaken leben können, ohne neben der Erde wirklichen tie-
riſchen oder vegetabiliſchen Nahrungsſtoff zu ſich zu nehmen.
Es iſt eine bedeutende Menge Magenſaft und Saft der Bauch-
ſpeicheldrüſe erforderlich, um eine ſolche Maſſe Thon zu ver-
dauen oder vielmehr einzuhüllen und mit dem Kot auszu-
treiben. Daß die Abſonderung dieſer Säfte, welche beſtimmt
ſind, ſich mit dem Chymus zu verbinden, durch den Thon im
Magen und im Darm geſteigert wird, iſt leicht zu begreifen;
wie kommt es aber, daß eine ſo reichliche Sekretion, die dem
Körper keineswegs neue Beſtandteile zuführt, ſondern nur
Beſtandteile, die auf anderen Wegen bereits da ſind, anders-
wohin ſchafft, auf die Länge kein Gefühl der Erſchöpfung zur
Folge hat? Die vollkommene Geſundheit, deren die Otomaken
genießen, ſolange ſie ſich wenig Bewegung machen und ſich
auf ſo ungewöhnliche Weiſe nähren, iſt eine ſchwer zu erklä-
rende Erſcheinung. Man kann ſie nur einer durch lange Ge-
ſchlechtsfolge erworbenen Gewöhnung zuſchreiben. Der Ver-
dauungsapparat iſt ſehr verſchieden gebaut, je nachdem die
Tiere ausſchließlich von Fleiſch oder Pflanzenſtoff leben; wahr-
ſcheinlich iſt auch der Magenſaft verſchieden, je nachdem er
tieriſche oder vegetabiliſche Subſtanzen zu verdauen hat, und
doch bringt man es allmählich dahin, daß Pflanzenfreſſer und
Fleiſchfreſſer ihre Koſt vertauſchen, daß jene Fleiſch, dieſe
Körner freſſen. Der Menſch kann ſich daran gewöhnen, un-
gemein wenig Nahrung zu ſich zu nehmen, und zwar ohne
Schmerzgefühl, wenn er toniſche oder reizende Mittel an-
1 Dieſe Steinbutter iſt nicht zu verwechſeln mit der
Bergbutter, einer ſalzigen Subſtanz, die aus der Zerſetzung
des Alaunſchiefers entſteht.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |