Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 4. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860.Cassiquiare, einen Arm des Orinoko, verbunden, und diese Das Gesetz des Steigens und Fallens des Orinoko ist Caſſiquiare, einen Arm des Orinoko, verbunden, und dieſe Das Geſetz des Steigens und Fallens des Orinoko iſt <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0183" n="175"/> Caſſiquiare, einen Arm des Orinoko, verbunden, und dieſe<lb/> Verbindung bildet zwiſchen zwei großen Flußbecken eine ſchiff-<lb/> bare Linie, über welche der Aequator läuft. Der Amazonen-<lb/> ſtrom hält nach Angaben, die mir an den Ufern desſelben<lb/> gemacht worden, die Epochen des Steigens und Fallens lange<lb/> nicht ſo regelmäßig ein als der Orinoko; indeſſen fängt er<lb/> meiſt im Dezember an zu ſteigen und erreicht ſein Maximum<lb/> im März. Mit dem Mai fällt er wieder und im Juli und<lb/> Auguſt, alſo zur Zeit, wo der untere Orinoko das Land weit<lb/> und breit überſchwemmt, iſt ſein Waſſerſtand im Minimum.<lb/> Da infolge der allgemeinen Bodenbildung kein ſüdamerikani-<lb/> ſcher Fluß von Süd nach Nord über den Aequator laufen<lb/> kann, ſo äußern die Ueberſchwemmungen des Orinoko Einfluß<lb/> auf den Amazonenſtrom, durch die des letzteren dagegen er-<lb/> leiden die Oszillationen des Orinoko keine Störung in ihrem<lb/> Gange. Aus dieſen Verhältniſſen ergibt ſich, daß beim Ama-<lb/> zonenſtrom und dem Orinoko die <hi rendition="#g">konkaven und die kon-<lb/> vexen Spitzen</hi> der Kurve, welche der ſteigende und fal-<lb/> lende Waſſerſtand beſchreibt, einander ſehr regelmäßig ent-<lb/> ſprechen, da ſie den ſechsmonatlichen Unterſchied bezeichnen,<lb/> der durch die Lage der Ströme in entgegengeſetzten Hemi-<lb/> ſphären bedingt wird. Nur dauert es beim Orinoko nicht<lb/> ſo lange, bis er zu ſteigen anfängt; er ſteigt merklich, ſobald<lb/> die Sonne über den Aequator gegangen iſt; der Amazonen-<lb/> ſtrom dagegen wächſt erſt zwei Monate nach dem Aequinok-<lb/> tium. Bekanntlich tritt in den Wäldern nördlich von der<lb/> Linie der Regen früher ein, als in den nicht ſo ſtark be-<lb/> waldeten Niederungen der ſüdlichen heißen Zone. Zu dieſer<lb/> örtlichen Urſache kommt eine andere, die vielleicht auch im<lb/> Spiele iſt, wenn der Nil ſo ſpät ſteigt. Der Amazonenſtrom<lb/> erhält einen großen Teil ſeiner Gewäſſer von der Kordillere<lb/> der Anden, wo, wie überall in den Gebirgen, die Jahres-<lb/> zeiten einen eigentümlichen, dem der Niederungen meiſt ent-<lb/> gegengeſetzten Typus haben.</p><lb/> <p>Das Geſetz des Steigens und Fallens des Orinoko iſt<lb/> in Bezug auf das räumliche Moment oder die Größe der<lb/> Schwankungen ſchwerer zu ermitteln als hinſichtlich des zeit-<lb/> lichen, des Eintretens der Maxima und Minima. Da meine<lb/> eigenen Meſſungen des Waſſerſtandes ſehr unvollſtändig ſind,<lb/> teile ich Schätzungen, die ſehr ſtark voneinander abweichen,<lb/> nur unter allem Vorbehalt mit. Die fremden Schiffen neh-<lb/> men an, daß der untere Orinoko gewöhnlich um 29,2 <hi rendition="#aq">m</hi><lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [175/0183]
Caſſiquiare, einen Arm des Orinoko, verbunden, und dieſe
Verbindung bildet zwiſchen zwei großen Flußbecken eine ſchiff-
bare Linie, über welche der Aequator läuft. Der Amazonen-
ſtrom hält nach Angaben, die mir an den Ufern desſelben
gemacht worden, die Epochen des Steigens und Fallens lange
nicht ſo regelmäßig ein als der Orinoko; indeſſen fängt er
meiſt im Dezember an zu ſteigen und erreicht ſein Maximum
im März. Mit dem Mai fällt er wieder und im Juli und
Auguſt, alſo zur Zeit, wo der untere Orinoko das Land weit
und breit überſchwemmt, iſt ſein Waſſerſtand im Minimum.
Da infolge der allgemeinen Bodenbildung kein ſüdamerikani-
ſcher Fluß von Süd nach Nord über den Aequator laufen
kann, ſo äußern die Ueberſchwemmungen des Orinoko Einfluß
auf den Amazonenſtrom, durch die des letzteren dagegen er-
leiden die Oszillationen des Orinoko keine Störung in ihrem
Gange. Aus dieſen Verhältniſſen ergibt ſich, daß beim Ama-
zonenſtrom und dem Orinoko die konkaven und die kon-
vexen Spitzen der Kurve, welche der ſteigende und fal-
lende Waſſerſtand beſchreibt, einander ſehr regelmäßig ent-
ſprechen, da ſie den ſechsmonatlichen Unterſchied bezeichnen,
der durch die Lage der Ströme in entgegengeſetzten Hemi-
ſphären bedingt wird. Nur dauert es beim Orinoko nicht
ſo lange, bis er zu ſteigen anfängt; er ſteigt merklich, ſobald
die Sonne über den Aequator gegangen iſt; der Amazonen-
ſtrom dagegen wächſt erſt zwei Monate nach dem Aequinok-
tium. Bekanntlich tritt in den Wäldern nördlich von der
Linie der Regen früher ein, als in den nicht ſo ſtark be-
waldeten Niederungen der ſüdlichen heißen Zone. Zu dieſer
örtlichen Urſache kommt eine andere, die vielleicht auch im
Spiele iſt, wenn der Nil ſo ſpät ſteigt. Der Amazonenſtrom
erhält einen großen Teil ſeiner Gewäſſer von der Kordillere
der Anden, wo, wie überall in den Gebirgen, die Jahres-
zeiten einen eigentümlichen, dem der Niederungen meiſt ent-
gegengeſetzten Typus haben.
Das Geſetz des Steigens und Fallens des Orinoko iſt
in Bezug auf das räumliche Moment oder die Größe der
Schwankungen ſchwerer zu ermitteln als hinſichtlich des zeit-
lichen, des Eintretens der Maxima und Minima. Da meine
eigenen Meſſungen des Waſſerſtandes ſehr unvollſtändig ſind,
teile ich Schätzungen, die ſehr ſtark voneinander abweichen,
nur unter allem Vorbehalt mit. Die fremden Schiffen neh-
men an, daß der untere Orinoko gewöhnlich um 29,2 m
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