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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 4. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860.

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allein zum Schmuck und zu Amuletten, sondern auch in ge-
wissen Fällen als Tauschmittel. Es erscheint daher ganz
natürlich, daß das Gold an den Küsten von Paria und bei
den Völkern am Orinoko verschwunden ist, seit der Verkehr
mit dem Inneren durch die Europäer abgeschnitten wurde.
Die unabhängig gebliebenen Eingeborenen sind gegenwärtig
unzweifelhaft elender, träger und versunkener als vor der
Eroberung. Der König von Morequito, derselbe, dessen Sohn
Ralegh nach England mitgenommen hatte, war im Jahre
1594 nach Cumana gekommen, um gegen eine große Menge
massiver Goldbilder eiserne Geräte und europäische Waren
einzutauschen. Dieses unerwartete Auftreten eines indiani-
schen Häuptlings steigerte noch den Ruf der Schätze des
Orinoko. Man stellte sich vor, der Dorado müsse nicht weit
vom Lande sein, aus dem der König von Morequito gekom-
men; und da das Land dort häufig unter Wasser stand und
die Flüsse die allgemeinen Namen "großes Meer", "großes
Wasserstück" führten, so mußte sich der Dorado am Ufer
eines Sees befinden. Man dachte nicht daran, daß das Gold,
das die Kariben und andere Handelsvölker mitbrachten, so
wenig ein Erzeugnis ihres Bodens war, als die brasilianischen
und ostindischen Diamanten Erzeugnisse der europäischen Län-
der sind, wo sie sich am meisten zusammenhäufen. Berrios
Expedition, die, während die Schiffe in Cumana, bei Mar-
garita und Trinidad anlegten, sehr stark an Mannschaft ge-
worden war, ging über Morequito (bei Vieja Guyana) dem
Rio Paragua, einem Nebenfluß des Carony, zu; aber Krank-
heiten, der wilde Mut der Eingeborenen und der Mangel an
Lebensmitteln setzten dem Zug der Spanier unübersteigliche
Hindernisse entgegen. Alle gingen zu Grunde bis auf dreißig,
welche im kläglichsten Zustand zum Posten Santo Tome
zurückkamen.

Diese Unfälle kühlten den Eifer, mit dem bis zur Mitte
des 17. Jahrhunderts der Dorado aufgesucht wurde, keines-
wegs ab. Der Statthalter von Trinidad, Antonio de Berrio,
wurde von Sir Walter Ralegh gefangen genommen, als
dieser im Jahr 1595 den vielberufenen Einfall auf die Küste
von Venezuela und an die Mündungen des Orinoko machte.
Von Berrio und anderen Gefangenen, die Kapitän Preston
bei der Einnahme von Caracas gemacht, konnte Ralegh alles
in Erfahrung bringen, was man damals von den Ländern
südwärts von Vieja Guyana wußte. Er glaubte an die

allein zum Schmuck und zu Amuletten, ſondern auch in ge-
wiſſen Fällen als Tauſchmittel. Es erſcheint daher ganz
natürlich, daß das Gold an den Küſten von Paria und bei
den Völkern am Orinoko verſchwunden iſt, ſeit der Verkehr
mit dem Inneren durch die Europäer abgeſchnitten wurde.
Die unabhängig gebliebenen Eingeborenen ſind gegenwärtig
unzweifelhaft elender, träger und verſunkener als vor der
Eroberung. Der König von Morequito, derſelbe, deſſen Sohn
Ralegh nach England mitgenommen hatte, war im Jahre
1594 nach Cumana gekommen, um gegen eine große Menge
maſſiver Goldbilder eiſerne Geräte und europäiſche Waren
einzutauſchen. Dieſes unerwartete Auftreten eines indiani-
ſchen Häuptlings ſteigerte noch den Ruf der Schätze des
Orinoko. Man ſtellte ſich vor, der Dorado müſſe nicht weit
vom Lande ſein, aus dem der König von Morequito gekom-
men; und da das Land dort häufig unter Waſſer ſtand und
die Flüſſe die allgemeinen Namen „großes Meer“, „großes
Waſſerſtück“ führten, ſo mußte ſich der Dorado am Ufer
eines Sees befinden. Man dachte nicht daran, daß das Gold,
das die Kariben und andere Handelsvölker mitbrachten, ſo
wenig ein Erzeugnis ihres Bodens war, als die braſilianiſchen
und oſtindiſchen Diamanten Erzeugniſſe der europäiſchen Län-
der ſind, wo ſie ſich am meiſten zuſammenhäufen. Berrios
Expedition, die, während die Schiffe in Cumana, bei Mar-
garita und Trinidad anlegten, ſehr ſtark an Mannſchaft ge-
worden war, ging über Morequito (bei Vieja Guyana) dem
Rio Paragua, einem Nebenfluß des Carony, zu; aber Krank-
heiten, der wilde Mut der Eingeborenen und der Mangel an
Lebensmitteln ſetzten dem Zug der Spanier unüberſteigliche
Hinderniſſe entgegen. Alle gingen zu Grunde bis auf dreißig,
welche im kläglichſten Zuſtand zum Poſten Santo Tome
zurückkamen.

Dieſe Unfälle kühlten den Eifer, mit dem bis zur Mitte
des 17. Jahrhunderts der Dorado aufgeſucht wurde, keines-
wegs ab. Der Statthalter von Trinidad, Antonio de Berrio,
wurde von Sir Walter Ralegh gefangen genommen, als
dieſer im Jahr 1595 den vielberufenen Einfall auf die Küſte
von Venezuela und an die Mündungen des Orinoko machte.
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[210/0218] allein zum Schmuck und zu Amuletten, ſondern auch in ge- wiſſen Fällen als Tauſchmittel. Es erſcheint daher ganz natürlich, daß das Gold an den Küſten von Paria und bei den Völkern am Orinoko verſchwunden iſt, ſeit der Verkehr mit dem Inneren durch die Europäer abgeſchnitten wurde. Die unabhängig gebliebenen Eingeborenen ſind gegenwärtig unzweifelhaft elender, träger und verſunkener als vor der Eroberung. Der König von Morequito, derſelbe, deſſen Sohn Ralegh nach England mitgenommen hatte, war im Jahre 1594 nach Cumana gekommen, um gegen eine große Menge maſſiver Goldbilder eiſerne Geräte und europäiſche Waren einzutauſchen. Dieſes unerwartete Auftreten eines indiani- ſchen Häuptlings ſteigerte noch den Ruf der Schätze des Orinoko. Man ſtellte ſich vor, der Dorado müſſe nicht weit vom Lande ſein, aus dem der König von Morequito gekom- men; und da das Land dort häufig unter Waſſer ſtand und die Flüſſe die allgemeinen Namen „großes Meer“, „großes Waſſerſtück“ führten, ſo mußte ſich der Dorado am Ufer eines Sees befinden. Man dachte nicht daran, daß das Gold, das die Kariben und andere Handelsvölker mitbrachten, ſo wenig ein Erzeugnis ihres Bodens war, als die braſilianiſchen und oſtindiſchen Diamanten Erzeugniſſe der europäiſchen Län- der ſind, wo ſie ſich am meiſten zuſammenhäufen. Berrios Expedition, die, während die Schiffe in Cumana, bei Mar- garita und Trinidad anlegten, ſehr ſtark an Mannſchaft ge- worden war, ging über Morequito (bei Vieja Guyana) dem Rio Paragua, einem Nebenfluß des Carony, zu; aber Krank- heiten, der wilde Mut der Eingeborenen und der Mangel an Lebensmitteln ſetzten dem Zug der Spanier unüberſteigliche Hinderniſſe entgegen. Alle gingen zu Grunde bis auf dreißig, welche im kläglichſten Zuſtand zum Poſten Santo Tome zurückkamen. Dieſe Unfälle kühlten den Eifer, mit dem bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts der Dorado aufgeſucht wurde, keines- wegs ab. Der Statthalter von Trinidad, Antonio de Berrio, wurde von Sir Walter Ralegh gefangen genommen, als dieſer im Jahr 1595 den vielberufenen Einfall auf die Küſte von Venezuela und an die Mündungen des Orinoko machte. Von Berrio und anderen Gefangenen, die Kapitän Preſton bei der Einnahme von Caracas gemacht, konnte Ralegh alles in Erfahrung bringen, was man damals von den Ländern ſüdwärts von Vieja Guyana wußte. Er glaubte an die

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 4. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860, S. 210. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial04_1859/218>, abgerufen am 18.05.2024.