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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 4. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860.

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asiens bemächtigt hatten, und Griechenlands, des einst freien,
der verlassenen Wiege der Kultur unserer Väter.

Die Verwilderung der Völker ist eine Folge der Unter-
drückung durch einheimischen Despotismus oder durch einen
fremden Eroberer; mit ihr Hand in Hand geht immer stei-
gende Verarmung, Versiegung des öffentlichen Wohlstandes.
Freie, starke, den Interessen aller entsprechende Staatsformen
halten diese Gefahren fern, und die Zunahme der Kultur in
der Welt, die Mitwerbung in Arbeit und Austausch bringen
Staaten nicht herab, deren Gedeihen aus natürlicher Quelle
fließt. Das gewerbfleißige und handeltreibende Europa wird
aus der neuen Ordnung der Dinge, wie sie sich im spanischen
Amerika gestaltet, seinen Nutzen ziehen, wie ihm die Steige-
rung der Konsumtion zu gute käme, wenn der Weltlauf der
Barbarei in Griechenland, auf der Nordküste von Afrika und
in allen Ländern, auf denen die Tyrannei der Osmanen
lastet, ein Ende machte. Die einzige Gefahr, die den Wohl-
stand des alten Kontinents bedrohte, wäre, wenn die inneren
Zwiste kein Ende nähmen, welche die Produktion niederhalten
und die Zahl der Verzehrenden und zu gleicher Zeit deren
Bedürfnisse verringern. Im spanischen Amerika geht der
Kampf, der sechs Jahre, nachdem ich es verlassen, ausge-
brochen, allmählich seinem Ende entgegen. Bald werden wir
unabhängige, unter sehr verschiedenen Verfassungsformen
lebende, aber durch das Andenken gemeinsamer Herkunft,
durch dieselbe Sprache und durch die Bedürfnisse, wie sie
von selbst aus der Kultur entspringen, verknüpfte Völker
auf beiden Ufern des Atlantischen Ozeans wohnen sehen.
Man kann wohl sagen, durch die ungeheuren Fortschritte in
der Schiffahrtskunst sind die Meeresbecken enger geworden.
Schon jetzt erscheint unseren Blicken das Atlantische Meer
als ein schmaler Kanal, der die Neue Welt und die euro-
päischen Handelsstaaten nicht weiter auseinander hält, als in
der Kindheit der Schiffahrt das Mittelmeer die Griechen im
Peloponnes und die in Jonien, auf Sizilien und in Cyrenaika
auseinander hielt.

Allerdings wird noch manches Jahr vergehen, bis 17 Mil-
lionen, über eine Länderstrecke zerstreut, die um ein Fünftel
größer ist als ganz Europa, durch Selbstregierung zu einem
festen Gleichgewicht kommen. Der eigentlich kritische Zeit-
punkt ist der, wo es lange Zeit unterjochten Völkern auf
einmal in die Hand gegeben ist, ihr Leben nach den Erfor-

aſiens bemächtigt hatten, und Griechenlands, des einſt freien,
der verlaſſenen Wiege der Kultur unſerer Väter.

Die Verwilderung der Völker iſt eine Folge der Unter-
drückung durch einheimiſchen Deſpotismus oder durch einen
fremden Eroberer; mit ihr Hand in Hand geht immer ſtei-
gende Verarmung, Verſiegung des öffentlichen Wohlſtandes.
Freie, ſtarke, den Intereſſen aller entſprechende Staatsformen
halten dieſe Gefahren fern, und die Zunahme der Kultur in
der Welt, die Mitwerbung in Arbeit und Austauſch bringen
Staaten nicht herab, deren Gedeihen aus natürlicher Quelle
fließt. Das gewerbfleißige und handeltreibende Europa wird
aus der neuen Ordnung der Dinge, wie ſie ſich im ſpaniſchen
Amerika geſtaltet, ſeinen Nutzen ziehen, wie ihm die Steige-
rung der Konſumtion zu gute käme, wenn der Weltlauf der
Barbarei in Griechenland, auf der Nordküſte von Afrika und
in allen Ländern, auf denen die Tyrannei der Osmanen
laſtet, ein Ende machte. Die einzige Gefahr, die den Wohl-
ſtand des alten Kontinents bedrohte, wäre, wenn die inneren
Zwiſte kein Ende nähmen, welche die Produktion niederhalten
und die Zahl der Verzehrenden und zu gleicher Zeit deren
Bedürfniſſe verringern. Im ſpaniſchen Amerika geht der
Kampf, der ſechs Jahre, nachdem ich es verlaſſen, ausge-
brochen, allmählich ſeinem Ende entgegen. Bald werden wir
unabhängige, unter ſehr verſchiedenen Verfaſſungsformen
lebende, aber durch das Andenken gemeinſamer Herkunft,
durch dieſelbe Sprache und durch die Bedürfniſſe, wie ſie
von ſelbſt aus der Kultur entſpringen, verknüpfte Völker
auf beiden Ufern des Atlantiſchen Ozeans wohnen ſehen.
Man kann wohl ſagen, durch die ungeheuren Fortſchritte in
der Schiffahrtskunſt ſind die Meeresbecken enger geworden.
Schon jetzt erſcheint unſeren Blicken das Atlantiſche Meer
als ein ſchmaler Kanal, der die Neue Welt und die euro-
päiſchen Handelsſtaaten nicht weiter auseinander hält, als in
der Kindheit der Schiffahrt das Mittelmeer die Griechen im
Peloponnes und die in Jonien, auf Sizilien und in Cyrenaika
auseinander hielt.

Allerdings wird noch manches Jahr vergehen, bis 17 Mil-
lionen, über eine Länderſtrecke zerſtreut, die um ein Fünftel
größer iſt als ganz Europa, durch Selbſtregierung zu einem
feſten Gleichgewicht kommen. Der eigentlich kritiſche Zeit-
punkt iſt der, wo es lange Zeit unterjochten Völkern auf
einmal in die Hand gegeben iſt, ihr Leben nach den Erfor-

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[290/0298] aſiens bemächtigt hatten, und Griechenlands, des einſt freien, der verlaſſenen Wiege der Kultur unſerer Väter. Die Verwilderung der Völker iſt eine Folge der Unter- drückung durch einheimiſchen Deſpotismus oder durch einen fremden Eroberer; mit ihr Hand in Hand geht immer ſtei- gende Verarmung, Verſiegung des öffentlichen Wohlſtandes. Freie, ſtarke, den Intereſſen aller entſprechende Staatsformen halten dieſe Gefahren fern, und die Zunahme der Kultur in der Welt, die Mitwerbung in Arbeit und Austauſch bringen Staaten nicht herab, deren Gedeihen aus natürlicher Quelle fließt. Das gewerbfleißige und handeltreibende Europa wird aus der neuen Ordnung der Dinge, wie ſie ſich im ſpaniſchen Amerika geſtaltet, ſeinen Nutzen ziehen, wie ihm die Steige- rung der Konſumtion zu gute käme, wenn der Weltlauf der Barbarei in Griechenland, auf der Nordküſte von Afrika und in allen Ländern, auf denen die Tyrannei der Osmanen laſtet, ein Ende machte. Die einzige Gefahr, die den Wohl- ſtand des alten Kontinents bedrohte, wäre, wenn die inneren Zwiſte kein Ende nähmen, welche die Produktion niederhalten und die Zahl der Verzehrenden und zu gleicher Zeit deren Bedürfniſſe verringern. Im ſpaniſchen Amerika geht der Kampf, der ſechs Jahre, nachdem ich es verlaſſen, ausge- brochen, allmählich ſeinem Ende entgegen. Bald werden wir unabhängige, unter ſehr verſchiedenen Verfaſſungsformen lebende, aber durch das Andenken gemeinſamer Herkunft, durch dieſelbe Sprache und durch die Bedürfniſſe, wie ſie von ſelbſt aus der Kultur entſpringen, verknüpfte Völker auf beiden Ufern des Atlantiſchen Ozeans wohnen ſehen. Man kann wohl ſagen, durch die ungeheuren Fortſchritte in der Schiffahrtskunſt ſind die Meeresbecken enger geworden. Schon jetzt erſcheint unſeren Blicken das Atlantiſche Meer als ein ſchmaler Kanal, der die Neue Welt und die euro- päiſchen Handelsſtaaten nicht weiter auseinander hält, als in der Kindheit der Schiffahrt das Mittelmeer die Griechen im Peloponnes und die in Jonien, auf Sizilien und in Cyrenaika auseinander hielt. Allerdings wird noch manches Jahr vergehen, bis 17 Mil- lionen, über eine Länderſtrecke zerſtreut, die um ein Fünftel größer iſt als ganz Europa, durch Selbſtregierung zu einem feſten Gleichgewicht kommen. Der eigentlich kritiſche Zeit- punkt iſt der, wo es lange Zeit unterjochten Völkern auf einmal in die Hand gegeben iſt, ihr Leben nach den Erfor-

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 4. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860, S. 290. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial04_1859/298>, abgerufen am 22.11.2024.