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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 4. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860.

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Aufguß, indem man Wasser an den faserigen Stoff, die ge-
stoßene Rinde des Mavacure, gießt. Mehrere Stunden lang
tropft ein gelbliches Wasser vom Embudo, dem Blatttrichter,
ab. Dieses durchsickernde Wasser ist die giftige Flüssigkeit;
sie erhält aber die gehörige Kraft erst dadurch, daß man sie
wie die Melasse in einem großen thönernen Gefäß abdampft.
Der Indianer forderte uns von Zeit zu Zeit auf, die Flüssig-
keit zu kosten; nach dem mehr oder minder bitteren Geschmack
beurteilt man, ob der Saft eingedickt genug ist. Dabei ist
keine Gefahr, da das Curare nur dann tödlich wirkt, wenn
es unmittelbar mit dem Blute in Berührung kommt. Des-
halb sind auch, was auch die Missionare am Orinoko in dieser
Beziehung gesagt haben mögen, die Dämpfe vom Kessel nicht
schädlich. Fontana hat durch seine schönen Versuche mit dem
Ticunagift am Amazonenstrome längst dargethan, daß die
Dämpfe, die das Gift entwickelt, wenn man es auf glühende
Kohle wirft, ohne Schaden eingeatmet werden, und daß es
unrichtig ist, wenn La Condamine behauptet, zum Tode ver-
urteilte indianische Weiber seien durch die Dämpfe des Ti-
cunagifts getötet worden.

Der noch so stark eingedickte Saft des Mavacure ist
nicht dick genug, um an den Pfeilen zu haften. Also bloß
um dem Gift Körper zu geben, setzt man dem eingedickten
Aufguß einen sehr klebrigen Pflanzensaft bei, der von einem
Baum mit großen Blättern, genannt Ciracaguero, kommt.
Da dieser Baum sehr weit von Esmeralda wächst, und er
damals so wenig als der Bejuco de Mavacure Blüten und
Früchte hatte, so können wir ihn botanisch nicht bestimmen.
Ich habe schon mehrmals davon gesprochen, wie oft ein eigenes
Mißgeschick die interessantesten Gewächse der Untersuchung der
Reisenden entzieht, während tausend andere, bei denen man
nichts von chemischen Eigenschaften weiß, voll Blüten und
Früchten hängen. Reist man schnell, so bekommt man selbst
unter den Tropen, wo die Blütezeit der holzigen Gewächse
so lange dauert, kaum an einem Achtteil der Gewächse die
Fruktifikationsorgane zu sehen. Die Wahrscheinlichkeit, daß
man, ich sage nicht die Familie, aber Gattung und Art be-
stimmen kann, ist demnach gleich 1 zu 8, und dieses nach-
teilige Verhältnis empfindet man begreiflich noch schwerer,
wenn man dadurch um die nähere Kenntnis von Gegenstän-
den kommt, die noch in anderer Hinsicht als nur für die be-
schreibende Botanik von Bedeutung sind.


Aufguß, indem man Waſſer an den faſerigen Stoff, die ge-
ſtoßene Rinde des Mavacure, gießt. Mehrere Stunden lang
tropft ein gelbliches Waſſer vom Embudo, dem Blatttrichter,
ab. Dieſes durchſickernde Waſſer iſt die giftige Flüſſigkeit;
ſie erhält aber die gehörige Kraft erſt dadurch, daß man ſie
wie die Melaſſe in einem großen thönernen Gefäß abdampft.
Der Indianer forderte uns von Zeit zu Zeit auf, die Flüſſig-
keit zu koſten; nach dem mehr oder minder bitteren Geſchmack
beurteilt man, ob der Saft eingedickt genug iſt. Dabei iſt
keine Gefahr, da das Curare nur dann tödlich wirkt, wenn
es unmittelbar mit dem Blute in Berührung kommt. Des-
halb ſind auch, was auch die Miſſionare am Orinoko in dieſer
Beziehung geſagt haben mögen, die Dämpfe vom Keſſel nicht
ſchädlich. Fontana hat durch ſeine ſchönen Verſuche mit dem
Ticunagift am Amazonenſtrome längſt dargethan, daß die
Dämpfe, die das Gift entwickelt, wenn man es auf glühende
Kohle wirft, ohne Schaden eingeatmet werden, und daß es
unrichtig iſt, wenn La Condamine behauptet, zum Tode ver-
urteilte indianiſche Weiber ſeien durch die Dämpfe des Ti-
cunagifts getötet worden.

Der noch ſo ſtark eingedickte Saft des Mavacure iſt
nicht dick genug, um an den Pfeilen zu haften. Alſo bloß
um dem Gift Körper zu geben, ſetzt man dem eingedickten
Aufguß einen ſehr klebrigen Pflanzenſaft bei, der von einem
Baum mit großen Blättern, genannt Ciracaguero, kommt.
Da dieſer Baum ſehr weit von Esmeralda wächſt, und er
damals ſo wenig als der Bejuco de Mavacure Blüten und
Früchte hatte, ſo können wir ihn botaniſch nicht beſtimmen.
Ich habe ſchon mehrmals davon geſprochen, wie oft ein eigenes
Mißgeſchick die intereſſanteſten Gewächſe der Unterſuchung der
Reiſenden entzieht, während tauſend andere, bei denen man
nichts von chemiſchen Eigenſchaften weiß, voll Blüten und
Früchten hängen. Reiſt man ſchnell, ſo bekommt man ſelbſt
unter den Tropen, wo die Blütezeit der holzigen Gewächſe
ſo lange dauert, kaum an einem Achtteil der Gewächſe die
Fruktifikationsorgane zu ſehen. Die Wahrſcheinlichkeit, daß
man, ich ſage nicht die Familie, aber Gattung und Art be-
ſtimmen kann, iſt demnach gleich 1 zu 8, und dieſes nach-
teilige Verhältnis empfindet man begreiflich noch ſchwerer,
wenn man dadurch um die nähere Kenntnis von Gegenſtän-
den kommt, die noch in anderer Hinſicht als nur für die be-
ſchreibende Botanik von Bedeutung ſind.


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[63/0071] Aufguß, indem man Waſſer an den faſerigen Stoff, die ge- ſtoßene Rinde des Mavacure, gießt. Mehrere Stunden lang tropft ein gelbliches Waſſer vom Embudo, dem Blatttrichter, ab. Dieſes durchſickernde Waſſer iſt die giftige Flüſſigkeit; ſie erhält aber die gehörige Kraft erſt dadurch, daß man ſie wie die Melaſſe in einem großen thönernen Gefäß abdampft. Der Indianer forderte uns von Zeit zu Zeit auf, die Flüſſig- keit zu koſten; nach dem mehr oder minder bitteren Geſchmack beurteilt man, ob der Saft eingedickt genug iſt. Dabei iſt keine Gefahr, da das Curare nur dann tödlich wirkt, wenn es unmittelbar mit dem Blute in Berührung kommt. Des- halb ſind auch, was auch die Miſſionare am Orinoko in dieſer Beziehung geſagt haben mögen, die Dämpfe vom Keſſel nicht ſchädlich. Fontana hat durch ſeine ſchönen Verſuche mit dem Ticunagift am Amazonenſtrome längſt dargethan, daß die Dämpfe, die das Gift entwickelt, wenn man es auf glühende Kohle wirft, ohne Schaden eingeatmet werden, und daß es unrichtig iſt, wenn La Condamine behauptet, zum Tode ver- urteilte indianiſche Weiber ſeien durch die Dämpfe des Ti- cunagifts getötet worden. Der noch ſo ſtark eingedickte Saft des Mavacure iſt nicht dick genug, um an den Pfeilen zu haften. Alſo bloß um dem Gift Körper zu geben, ſetzt man dem eingedickten Aufguß einen ſehr klebrigen Pflanzenſaft bei, der von einem Baum mit großen Blättern, genannt Ciracaguero, kommt. Da dieſer Baum ſehr weit von Esmeralda wächſt, und er damals ſo wenig als der Bejuco de Mavacure Blüten und Früchte hatte, ſo können wir ihn botaniſch nicht beſtimmen. Ich habe ſchon mehrmals davon geſprochen, wie oft ein eigenes Mißgeſchick die intereſſanteſten Gewächſe der Unterſuchung der Reiſenden entzieht, während tauſend andere, bei denen man nichts von chemiſchen Eigenſchaften weiß, voll Blüten und Früchten hängen. Reiſt man ſchnell, ſo bekommt man ſelbſt unter den Tropen, wo die Blütezeit der holzigen Gewächſe ſo lange dauert, kaum an einem Achtteil der Gewächſe die Fruktifikationsorgane zu ſehen. Die Wahrſcheinlichkeit, daß man, ich ſage nicht die Familie, aber Gattung und Art be- ſtimmen kann, iſt demnach gleich 1 zu 8, und dieſes nach- teilige Verhältnis empfindet man begreiflich noch ſchwerer, wenn man dadurch um die nähere Kenntnis von Gegenſtän- den kommt, die noch in anderer Hinſicht als nur für die be- ſchreibende Botanik von Bedeutung ſind.

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 4. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860, S. 63. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial04_1859/71>, abgerufen am 21.11.2024.