Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 4. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1860.bleiben alle stehen und machen kleine schwingende Bewegungen, In der Festhütte fanden wir verschiedene vegetabilische bleiben alle ſtehen und machen kleine ſchwingende Bewegungen, In der Feſthütte fanden wir verſchiedene vegetabiliſche <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0079" n="71"/> bleiben alle ſtehen und machen kleine ſchwingende Bewegungen,<lb/> indem ſie den Körper ſeitlich hin und her werfen. Jene in<lb/> eine Reihe geordneten und zuſammengebundenen Rohrſtücke<lb/> gleichen der Pansflöte, wie wir ſie bei bacchiſchen Aufzügen<lb/> auf großgriechiſchen Vaſen abgebildet ſehen. Es iſt ein höchſt<lb/> einfacher Gedanke, der allen Völkern kommen mußte, Rohre<lb/> von verſchiedener Länge zu vereinigen und ſie nacheinander,<lb/> während man ſie an den Lippen vorbeiführt, anzublaſen.<lb/> Nicht ohne Verwunderung ſahen wir, wie raſch junge In-<lb/> dianer, wenn ſie am Fluſſe Rohr (<hi rendition="#aq">carices</hi>) fanden, dergleichen<lb/> Pfeifen ſchnitten und ſtimmten. In allen Himmelsſtrichen<lb/> leiſten dieſe Gräſer mit hohem Halme den Menſchen im Na-<lb/> turzuſtande mancherlei Dienſte. Die Griechen ſagten mit Recht,<lb/> das Rohr ſei ein Mittel geweſen zur Unterjochung der Völker,<lb/> weil es Pfeile liefere, zur Milderung der Sitten durch den<lb/> Reiz der Muſik, zur Geiſtesentwickelung, weil es das erſte<lb/> Werkzeug geboten, mit dem man Buchſtaben geſchrieben. Dieſe<lb/> verſchiedenen Verwendungsarten des Rohres bezeichnen gleich-<lb/> ſam drei Abſchnitte im Leben der Völker. Die Horden am<lb/> Orinoko ſtehen unleugbar auf der unterſten Stufe einer be-<lb/> ginnenden Kulturentwickelung. Das Rohr dient ihnen nur<lb/> zu Krieg und Jagd und Pans Flöte ſind auf jenen fernen<lb/> Ufern noch keine Töne entlockt worden, die ſanfte, menſchliche<lb/> Empfindungen wecken können.</p><lb/> <p>In der Feſthütte fanden wir verſchiedene vegetabiliſche<lb/> Produkte, welche die Indianer aus den Bergen von Guanaya<lb/> mitgebracht und die unſere ganze Aufmerkſamkeit in Anſpruch<lb/> nahmen. Ich verweile hier nur bei der Frucht des <hi rendition="#g">Juvia</hi>,<lb/> bei den Rohren von ganz ungewöhnlicher Länge und bei den<lb/> Hemden aus der Rinde des <hi rendition="#g">Marimabaumes</hi>. Der <hi rendition="#g">Almen-<lb/> dron</hi> oder <hi rendition="#g">Juvia</hi>, einer der großartigſten Bäume in den<lb/> Wäldern der Neuen Welt, war vor unſerer Reiſe an den Rio<lb/> Negro ſo gut wie unbekannt. Vier Tagereiſen öſtlich von<lb/> Esmeralda, zwiſchen dem Padamo und dem Ocamo am Fuße<lb/> des Cerro Mapaya, am rechten Ufer des Orinoko, tritt er<lb/> nach und nach auf; noch häufiger iſt er auf dem linken Ufer<lb/> beim Cerro Guanaya zwiſchen dem Rio Amaguaca und dem<lb/> Gehete. Die Einwohner von Esmeralda verſicherten uns,<lb/> oberhalb des Gehete und des Chiguire werde der Juvia<lb/> und der Kakaobaum ſo gemein, daß die wilden Indianer (die<lb/> Guaicas und Guaharibos <hi rendition="#g">blancos</hi>) die Indianer aus den<lb/> Miſſionen ungeſtört die Früchte ſammeln laſſen. Sie miß-<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [71/0079]
bleiben alle ſtehen und machen kleine ſchwingende Bewegungen,
indem ſie den Körper ſeitlich hin und her werfen. Jene in
eine Reihe geordneten und zuſammengebundenen Rohrſtücke
gleichen der Pansflöte, wie wir ſie bei bacchiſchen Aufzügen
auf großgriechiſchen Vaſen abgebildet ſehen. Es iſt ein höchſt
einfacher Gedanke, der allen Völkern kommen mußte, Rohre
von verſchiedener Länge zu vereinigen und ſie nacheinander,
während man ſie an den Lippen vorbeiführt, anzublaſen.
Nicht ohne Verwunderung ſahen wir, wie raſch junge In-
dianer, wenn ſie am Fluſſe Rohr (carices) fanden, dergleichen
Pfeifen ſchnitten und ſtimmten. In allen Himmelsſtrichen
leiſten dieſe Gräſer mit hohem Halme den Menſchen im Na-
turzuſtande mancherlei Dienſte. Die Griechen ſagten mit Recht,
das Rohr ſei ein Mittel geweſen zur Unterjochung der Völker,
weil es Pfeile liefere, zur Milderung der Sitten durch den
Reiz der Muſik, zur Geiſtesentwickelung, weil es das erſte
Werkzeug geboten, mit dem man Buchſtaben geſchrieben. Dieſe
verſchiedenen Verwendungsarten des Rohres bezeichnen gleich-
ſam drei Abſchnitte im Leben der Völker. Die Horden am
Orinoko ſtehen unleugbar auf der unterſten Stufe einer be-
ginnenden Kulturentwickelung. Das Rohr dient ihnen nur
zu Krieg und Jagd und Pans Flöte ſind auf jenen fernen
Ufern noch keine Töne entlockt worden, die ſanfte, menſchliche
Empfindungen wecken können.
In der Feſthütte fanden wir verſchiedene vegetabiliſche
Produkte, welche die Indianer aus den Bergen von Guanaya
mitgebracht und die unſere ganze Aufmerkſamkeit in Anſpruch
nahmen. Ich verweile hier nur bei der Frucht des Juvia,
bei den Rohren von ganz ungewöhnlicher Länge und bei den
Hemden aus der Rinde des Marimabaumes. Der Almen-
dron oder Juvia, einer der großartigſten Bäume in den
Wäldern der Neuen Welt, war vor unſerer Reiſe an den Rio
Negro ſo gut wie unbekannt. Vier Tagereiſen öſtlich von
Esmeralda, zwiſchen dem Padamo und dem Ocamo am Fuße
des Cerro Mapaya, am rechten Ufer des Orinoko, tritt er
nach und nach auf; noch häufiger iſt er auf dem linken Ufer
beim Cerro Guanaya zwiſchen dem Rio Amaguaca und dem
Gehete. Die Einwohner von Esmeralda verſicherten uns,
oberhalb des Gehete und des Chiguire werde der Juvia
und der Kakaobaum ſo gemein, daß die wilden Indianer (die
Guaicas und Guaharibos blancos) die Indianer aus den
Miſſionen ungeſtört die Früchte ſammeln laſſen. Sie miß-
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