Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Humboldt, Wilhelm von: Ideen zu einem Versuch, die Gränzen der Wirksamkeit des Staats zu bestimmen. Breslau, 1851.

Bild:
<< vorherige Seite

Lectüre jener Schrift aufgedrängt haben. Auch ist Dalberg
weit entfernt, dem mit so grosser Präcision hingestellten und
mit so grosser Consequenz durchgeführten Grundprincipe Hum-
boldt's ein andres mit gleicher Schärfe entgegenzustellen.
Gründe der Nützlichkeit und Nothwendigkeit erscheinen neben
einander, Principien des Naturrechts neben einem ängstlichen
Respect vor dem historisch Gegebenen, Bruchstücke Rousseau'-
scher Staatsweisheit neben den Maximen des aufgeklärten wohl-
wollenden Despotismus eines Joseph II. Dabei tritt oft eine
erstaunliche Unbeholfenheit des Gedankens und des Ausdrucks
zu Tage. Im Ganzen kann man sagen, dass in dieser Schrift
das Raisonnement eines wohlmeinenden verständigen, leidlich
aufgeklärten und toleranten den verschiedensten die Zeit be-
wegenden Richtungen zugänglichen Mannes dem selbständigen
philosophisch geschulten Gedanken entgegentritt, und indem
sie so gleichsam das Niveau der vulgären politischen Bildung
jener Zeit bezeichnet, kann sie sehr passend dazu benutzt wer-
den, von ihr aus die Höhe zu ermessen, zu der sich Humboldt
erhoben hat.]

Trotz solcher Differenz war Humboldt zur Veröffentlichung
seines Aufsatzes entschlossen und sandte zu diesem Zwecke
eine Abschrift des Manuscripts nach Berlin. Allein der Gedanke,
ihn dort gedruckt zu sehn, musste sehr bald aufgegeben wer-
den. An einem Verleger zwar hätte es in Berlin nicht gefehlt.
Aber schon am 12. Septbr. schreibt Humboldt Schiller'n von
den Schwierigkeiten, die ihm die dortige Censur erregt habe.

"Der eine Censor verweigerte sein Imprimatur ganz, der
"andere hat es zwar ertheilt, allein nicht ohne Besorgniss, dass
"er deshalb noch künftig in Anspruch genommen werden könne.
"Da ich nun alle Weitläufigkeiten dieser Art in den Tod hasse,
"so bin ich entschlossen, die Schrift ausserhalb drucken zu
"lassen." Also noch immer die feste Absicht der Veröffent-
lichung. Schillers Hülfe wurde nun dafür in Anspruch genom-

Lectüre jener Schrift aufgedrängt haben. Auch ist Dalberg
weit entfernt, dem mit so grosser Präcision hingestellten und
mit so grosser Consequenz durchgeführten Grundprincipe Hum-
boldt’s ein andres mit gleicher Schärfe entgegenzustellen.
Gründe der Nützlichkeit und Nothwendigkeit erscheinen neben
einander, Principien des Naturrechts neben einem ängstlichen
Respect vor dem historisch Gegebenen, Bruchstücke Rousseau’-
scher Staatsweisheit neben den Maximen des aufgeklärten wohl-
wollenden Despotismus eines Joseph II. Dabei tritt oft eine
erstaunliche Unbeholfenheit des Gedankens und des Ausdrucks
zu Tage. Im Ganzen kann man sagen, dass in dieser Schrift
das Raisonnement eines wohlmeinenden verständigen, leidlich
aufgeklärten und toleranten den verschiedensten die Zeit be-
wegenden Richtungen zugänglichen Mannes dem selbständigen
philosophisch geschulten Gedanken entgegentritt, und indem
sie so gleichsam das Niveau der vulgären politischen Bildung
jener Zeit bezeichnet, kann sie sehr passend dazu benutzt wer-
den, von ihr aus die Höhe zu ermessen, zu der sich Humboldt
erhoben hat.]

Trotz solcher Differenz war Humboldt zur Veröffentlichung
seines Aufsatzes entschlossen und sandte zu diesem Zwecke
eine Abschrift des Manuscripts nach Berlin. Allein der Gedanke,
ihn dort gedruckt zu sehn, musste sehr bald aufgegeben wer-
den. An einem Verleger zwar hätte es in Berlin nicht gefehlt.
Aber schon am 12. Septbr. schreibt Humboldt Schiller’n von
den Schwierigkeiten, die ihm die dortige Censur erregt habe.

„Der eine Censor verweigerte sein Imprimatur ganz, der
„andere hat es zwar ertheilt, allein nicht ohne Besorgniss, dass
„er deshalb noch künftig in Anspruch genommen werden könne.
„Da ich nun alle Weitläufigkeiten dieser Art in den Tod hasse,
„so bin ich entschlossen, die Schrift ausserhalb drucken zu
„lassen.“ Also noch immer die feste Absicht der Veröffent-
lichung. Schillers Hülfe wurde nun dafür in Anspruch genom-

<TEI>
  <text>
    <front>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0013" n="V"/>
Lectüre jener Schrift aufgedrängt haben. Auch ist Dalberg<lb/>
weit entfernt, dem mit so grosser Präcision hingestellten und<lb/>
mit so grosser Consequenz durchgeführten Grundprincipe Hum-<lb/>
boldt&#x2019;s ein andres mit gleicher Schärfe entgegenzustellen.<lb/>
Gründe der Nützlichkeit und Nothwendigkeit erscheinen neben<lb/>
einander, Principien des Naturrechts neben einem ängstlichen<lb/>
Respect vor dem historisch Gegebenen, Bruchstücke Rousseau&#x2019;-<lb/>
scher Staatsweisheit neben den Maximen des aufgeklärten wohl-<lb/>
wollenden Despotismus eines Joseph II. Dabei tritt oft eine<lb/>
erstaunliche Unbeholfenheit des Gedankens und des Ausdrucks<lb/>
zu Tage. Im Ganzen kann man sagen, dass in dieser Schrift<lb/>
das Raisonnement eines wohlmeinenden verständigen, leidlich<lb/>
aufgeklärten und toleranten den verschiedensten die Zeit be-<lb/>
wegenden Richtungen zugänglichen Mannes dem selbständigen<lb/>
philosophisch geschulten Gedanken entgegentritt, und indem<lb/>
sie so gleichsam das Niveau der vulgären politischen Bildung<lb/>
jener Zeit bezeichnet, kann sie sehr passend dazu benutzt wer-<lb/>
den, von ihr aus die Höhe zu ermessen, zu der sich Humboldt<lb/>
erhoben hat.]</p><lb/>
        <p>Trotz solcher Differenz war Humboldt zur Veröffentlichung<lb/>
seines Aufsatzes entschlossen und sandte zu diesem Zwecke<lb/>
eine Abschrift des Manuscripts nach Berlin. Allein der Gedanke,<lb/>
ihn dort gedruckt zu sehn, musste sehr bald aufgegeben wer-<lb/>
den. An einem Verleger zwar hätte es in Berlin nicht gefehlt.<lb/>
Aber schon am 12. Septbr. schreibt Humboldt Schiller&#x2019;n von<lb/>
den Schwierigkeiten, die ihm die dortige Censur erregt habe.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Der eine Censor verweigerte sein Imprimatur ganz, der<lb/>
&#x201E;andere hat es zwar ertheilt, allein nicht ohne Besorgniss, dass<lb/>
&#x201E;er deshalb noch künftig in Anspruch genommen werden könne.<lb/>
&#x201E;Da ich nun alle Weitläufigkeiten dieser Art in den Tod hasse,<lb/>
&#x201E;so bin ich entschlossen, die Schrift ausserhalb drucken zu<lb/>
&#x201E;lassen.&#x201C; Also noch immer die feste Absicht der Veröffent-<lb/>
lichung. Schillers Hülfe wurde nun dafür in Anspruch genom-<lb/></p>
      </div>
    </front>
  </text>
</TEI>
[V/0013] Lectüre jener Schrift aufgedrängt haben. Auch ist Dalberg weit entfernt, dem mit so grosser Präcision hingestellten und mit so grosser Consequenz durchgeführten Grundprincipe Hum- boldt’s ein andres mit gleicher Schärfe entgegenzustellen. Gründe der Nützlichkeit und Nothwendigkeit erscheinen neben einander, Principien des Naturrechts neben einem ängstlichen Respect vor dem historisch Gegebenen, Bruchstücke Rousseau’- scher Staatsweisheit neben den Maximen des aufgeklärten wohl- wollenden Despotismus eines Joseph II. Dabei tritt oft eine erstaunliche Unbeholfenheit des Gedankens und des Ausdrucks zu Tage. Im Ganzen kann man sagen, dass in dieser Schrift das Raisonnement eines wohlmeinenden verständigen, leidlich aufgeklärten und toleranten den verschiedensten die Zeit be- wegenden Richtungen zugänglichen Mannes dem selbständigen philosophisch geschulten Gedanken entgegentritt, und indem sie so gleichsam das Niveau der vulgären politischen Bildung jener Zeit bezeichnet, kann sie sehr passend dazu benutzt wer- den, von ihr aus die Höhe zu ermessen, zu der sich Humboldt erhoben hat.] Trotz solcher Differenz war Humboldt zur Veröffentlichung seines Aufsatzes entschlossen und sandte zu diesem Zwecke eine Abschrift des Manuscripts nach Berlin. Allein der Gedanke, ihn dort gedruckt zu sehn, musste sehr bald aufgegeben wer- den. An einem Verleger zwar hätte es in Berlin nicht gefehlt. Aber schon am 12. Septbr. schreibt Humboldt Schiller’n von den Schwierigkeiten, die ihm die dortige Censur erregt habe. „Der eine Censor verweigerte sein Imprimatur ganz, der „andere hat es zwar ertheilt, allein nicht ohne Besorgniss, dass „er deshalb noch künftig in Anspruch genommen werden könne. „Da ich nun alle Weitläufigkeiten dieser Art in den Tod hasse, „so bin ich entschlossen, die Schrift ausserhalb drucken zu „lassen.“ Also noch immer die feste Absicht der Veröffent- lichung. Schillers Hülfe wurde nun dafür in Anspruch genom-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Wilhelm von Humboldt schrieb seine 'Ideen zu eine… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_grenzen_1851
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_grenzen_1851/13
Zitationshilfe: Humboldt, Wilhelm von: Ideen zu einem Versuch, die Gränzen der Wirksamkeit des Staats zu bestimmen. Breslau, 1851, S. V. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_grenzen_1851/13>, abgerufen am 21.11.2024.