welche dem kalten und darum hier allemal unfeinen Verstande entgehen würden, und soll das Recht geniessen, dem Menschen -- dem es nicht verwehrt ist, die mit der Tugend so eng ver- schwisterte Glückseligkeit zu empfangen, sondern nur mit der Tugend gleichsam um diese Glückseligkeit zu handlen -- die süssesten Gefühle zu gewähren. Je mehr ich überhaupt über diesen Gegenstand nachdenken mag, desto weniger scheint mir der Unterschied, den ich eben bemerkte, blos subtil, und viel- leicht schwärmerisch zu sein. Wie strebend der Mensch nach Genuss ist, wie sehr er sich Tugend und Glückseligkeit ewig, auch unter den ungünstigsten Umständen, vereint denken möchte; so ist doch auch seine Seele für die Grösse des mora- lischen Gesetzes empfänglich. Sie kann sich der Gewalt nicht erwehren, mit welcher diese Grösse sie zu handeln nöthigt, und, nur von diesem Gefühle durchdrungen, handelt sie schon darum ohne Rücksicht auf Genuss, weil sie nie das volle Bewusst- sein verliert, dass die Vorstellung jedes Unglücks ihr kein andres Betragen abnöthigen würde.
Allein diese Stärke gewinnt die Seele freilich nur auf einem, dem ähnlichen Wege, von welchem ich im Vorigen rede; nur durch mächtigen inneren Drang und mannigfaltigen äussern Streit. Alle Stärke -- gleichsam die Materie -- stammt aus der Sinnlichkeit, und, wie weit entfernt von dem Stamme, ist sie doch noch immer, wenn ich so sagen darf, auf ihm ruhend. Wer nun seine Kräfte unaufhörlich zu erhöhen, und durch häufigen Genuss zu verjüngen sucht, wer die Stärke seines Charakters oft braucht, seine Unabhängigkeit vor der Sinn- lichkeit zu behaupten, wer so diese Unabhängigkeit mit der höchsten Reizbarkeit zu vereinen bemüht ist, wessen gerader und tiefer Sinn der Wahrheit unermüdet nachforscht, wessen richtiges und feines Schönheitsgefühl keine reizende Gestalt unbemerkt lässt, wessen Drang, das ausser sich Empfundene in sich aufzunehmen und das in sich Aufgenommene zu neuen
welche dem kalten und darum hier allemal unfeinen Verstande entgehen würden, und soll das Recht geniessen, dem Menschen — dem es nicht verwehrt ist, die mit der Tugend so eng ver- schwisterte Glückseligkeit zu empfangen, sondern nur mit der Tugend gleichsam um diese Glückseligkeit zu handlen — die süssesten Gefühle zu gewähren. Je mehr ich überhaupt über diesen Gegenstand nachdenken mag, desto weniger scheint mir der Unterschied, den ich eben bemerkte, blos subtil, und viel- leicht schwärmerisch zu sein. Wie strebend der Mensch nach Genuss ist, wie sehr er sich Tugend und Glückseligkeit ewig, auch unter den ungünstigsten Umständen, vereint denken möchte; so ist doch auch seine Seele für die Grösse des mora- lischen Gesetzes empfänglich. Sie kann sich der Gewalt nicht erwehren, mit welcher diese Grösse sie zu handeln nöthigt, und, nur von diesem Gefühle durchdrungen, handelt sie schon darum ohne Rücksicht auf Genuss, weil sie nie das volle Bewusst- sein verliert, dass die Vorstellung jedes Unglücks ihr kein andres Betragen abnöthigen würde.
Allein diese Stärke gewinnt die Seele freilich nur auf einem, dem ähnlichen Wege, von welchem ich im Vorigen rede; nur durch mächtigen inneren Drang und mannigfaltigen äussern Streit. Alle Stärke — gleichsam die Materie — stammt aus der Sinnlichkeit, und, wie weit entfernt von dem Stamme, ist sie doch noch immer, wenn ich so sagen darf, auf ihm ruhend. Wer nun seine Kräfte unaufhörlich zu erhöhen, und durch häufigen Genuss zu verjüngen sucht, wer die Stärke seines Charakters oft braucht, seine Unabhängigkeit vor der Sinn- lichkeit zu behaupten, wer so diese Unabhängigkeit mit der höchsten Reizbarkeit zu vereinen bemüht ist, wessen gerader und tiefer Sinn der Wahrheit unermüdet nachforscht, wessen richtiges und feines Schönheitsgefühl keine reizende Gestalt unbemerkt lässt, wessen Drang, das ausser sich Empfundene in sich aufzunehmen und das in sich Aufgenommene zu neuen
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welche dem kalten und darum hier allemal unfeinen Verstande
entgehen würden, und soll das Recht geniessen, dem Menschen
— dem es nicht verwehrt ist, die mit der Tugend so eng ver-
schwisterte Glückseligkeit zu empfangen, sondern nur mit der
Tugend gleichsam um diese Glückseligkeit zu handlen — die
süssesten Gefühle zu gewähren. Je mehr ich überhaupt über
diesen Gegenstand nachdenken mag, desto weniger scheint mir
der Unterschied, den ich eben bemerkte, blos subtil, und viel-
leicht schwärmerisch zu sein. Wie strebend der Mensch nach
Genuss ist, wie sehr er sich Tugend und Glückseligkeit ewig,
auch unter den ungünstigsten Umständen, vereint denken
möchte; so ist doch auch seine Seele für die Grösse des mora-
lischen Gesetzes empfänglich. Sie kann sich der Gewalt nicht
erwehren, mit welcher diese Grösse sie zu handeln nöthigt,
und, nur von diesem Gefühle durchdrungen, handelt sie schon
darum ohne Rücksicht auf Genuss, weil sie nie das volle Bewusst-
sein verliert, dass die Vorstellung jedes Unglücks ihr kein
andres Betragen abnöthigen würde.
Allein diese Stärke gewinnt die Seele freilich nur auf einem,
dem ähnlichen Wege, von welchem ich im Vorigen rede; nur
durch mächtigen inneren Drang und mannigfaltigen äussern
Streit. Alle Stärke — gleichsam die Materie — stammt aus
der Sinnlichkeit, und, wie weit entfernt von dem Stamme, ist
sie doch noch immer, wenn ich so sagen darf, auf ihm ruhend.
Wer nun seine Kräfte unaufhörlich zu erhöhen, und durch
häufigen Genuss zu verjüngen sucht, wer die Stärke seines
Charakters oft braucht, seine Unabhängigkeit vor der Sinn-
lichkeit zu behaupten, wer so diese Unabhängigkeit mit der
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Wilhelm von Humboldt schrieb seine 'Ideen zu eine… [mehr]
Wilhelm von Humboldt schrieb seine 'Ideen zu einem Versuch, die Gränzen der Wirksamkeit des Staats zu bestimmen' zwischen März und Mai des Jahres 1792 nieder. Einzelne Abschnitte wurden im selben Jahr in Friedrich Schillers Thalia bzw. in der Berlinischen Monatsschrift gedruckt. Der gesamte Text wurde jedoch erst postum, 1851, aus dem Nachlass publiziert (Wilhelm von Humboldt † 8. April 1835). Gemäß den Richtlinien des DTA wurde diese Ausgabe digitalisiert.
Humboldt, Wilhelm von: Ideen zu einem Versuch, die Gränzen der Wirksamkeit des Staats zu bestimmen. Breslau, 1851, S. 95. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_grenzen_1851/131>, abgerufen am 16.02.2025.
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