Humboldt, Alexander von: Kosmos. Entwurf einer physischen Weltbeschreibung. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1847.berei anregend, verdächtigt. Dieser Umgang schien eben so gefahrbringend wie dem Tertullian, dem Clemens von Alexandrien und fast allen älteren Kirchenvätern die Pflege der plastischen Künste. In dem zwölften und dreizehnten Jahrhunderte untersagten Kirchenversammlungen zu Tours (1163) und zu Paris (1209) den Mönchen das sündhafte Lesen physikalischer Schriften.51 Erst durch Albert den Großen und Roger Bacon wurden die Geistesfesseln muthvoll gebrochen, die "Natur entsündigt" und in ihre alten Rechte eingesetzt. Wir haben bisher die Contraste geschildert, die bei Griechen und Römern, in zwei so nahe mit einander verwandten Litteraturen, sich nach Verschiedenheit der Zeitepochen offenbarten. Aber nicht die Zeit allein, d. h. die Weltbegebenheiten, welche Regierungsform, Sitten und religiöse Anschauungen unaufhaltsam umwandeln, bringen diese Contraste in der Gefühlsweise hervor; noch auffallender sind die, welche die Stammverschiedenheit der Menschen und ihre geistigen Anlagen erzeugen. Wie ganz anders zeigen sich uns Lebendigkeit des Naturgefühls und dichterische Färbung der Naturschilderungen bei den Hellenen, den Germanen des Nordens, den semitischen Stämmen, den Persern und Indern! Es ist eine vielfach geäußerte Meinung, daß bei den nordischen Völkern die Freude an der Natur, eine alte Sehnsucht nach den anmuthigen Gefilden von Italien und Griechenland, nach der wundervollen Ueppigkeit der Tropen-Vegetation hauptsächlich einer langen winterlichen Entbehrung alles Naturgenusses zuzuschreiben sei. Wir läugnen nicht, daß die Sehnsucht nach dem Palmenklima abnimmt, je nachdem man sich dem mittäglichen Frankreich berei anregend, verdächtigt. Dieser Umgang schien eben so gefahrbringend wie dem Tertullian, dem Clemens von Alexandrien und fast allen älteren Kirchenvätern die Pflege der plastischen Künste. In dem zwölften und dreizehnten Jahrhunderte untersagten Kirchenversammlungen zu Tours (1163) und zu Paris (1209) den Mönchen das sündhafte Lesen physikalischer Schriften.51 Erst durch Albert den Großen und Roger Bacon wurden die Geistesfesseln muthvoll gebrochen, die „Natur entsündigt" und in ihre alten Rechte eingesetzt. Wir haben bisher die Contraste geschildert, die bei Griechen und Römern, in zwei so nahe mit einander verwandten Litteraturen, sich nach Verschiedenheit der Zeitepochen offenbarten. Aber nicht die Zeit allein, d. h. die Weltbegebenheiten, welche Regierungsform, Sitten und religiöse Anschauungen unaufhaltsam umwandeln, bringen diese Contraste in der Gefühlsweise hervor; noch auffallender sind die, welche die Stammverschiedenheit der Menschen und ihre geistigen Anlagen erzeugen. Wie ganz anders zeigen sich uns Lebendigkeit des Naturgefühls und dichterische Färbung der Naturschilderungen bei den Hellenen, den Germanen des Nordens, den semitischen Stämmen, den Persern und Indern! Es ist eine vielfach geäußerte Meinung, daß bei den nordischen Völkern die Freude an der Natur, eine alte Sehnsucht nach den anmuthigen Gefilden von Italien und Griechenland, nach der wundervollen Ueppigkeit der Tropen-Vegetation hauptsächlich einer langen winterlichen Entbehrung alles Naturgenusses zuzuschreiben sei. Wir läugnen nicht, daß die Sehnsucht nach dem Palmenklima abnimmt, je nachdem man sich dem mittäglichen Frankreich <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0036" n="31"/> berei anregend, verdächtigt. Dieser Umgang schien eben so gefahrbringend wie dem Tertullian, dem Clemens von Alexandrien und fast allen älteren Kirchenvätern die Pflege der plastischen Künste. In dem zwölften und dreizehnten Jahrhunderte untersagten Kirchenversammlungen zu Tours (1163) und zu Paris (1209) den Mönchen das sündhafte Lesen physikalischer Schriften.<note xml:id="ftn50" next="#ftn50-text" place="end" n="51"/> Erst durch Albert den Großen und Roger Bacon wurden die Geistesfesseln muthvoll gebrochen, die „Natur entsündigt" und in ihre alten Rechte eingesetzt.</p> <p>Wir haben bisher die Contraste geschildert, die bei Griechen und Römern, in zwei so nahe mit einander verwandten Litteraturen, sich nach Verschiedenheit der Zeitepochen offenbarten. Aber nicht die Zeit allein, d. h. die Weltbegebenheiten, welche Regierungsform, Sitten und religiöse Anschauungen unaufhaltsam umwandeln, bringen diese Contraste in der Gefühlsweise hervor; noch auffallender sind die, welche die Stammverschiedenheit der Menschen und ihre geistigen Anlagen erzeugen. Wie ganz anders zeigen sich uns Lebendigkeit des Naturgefühls und dichterische Färbung der Naturschilderungen bei den Hellenen, den Germanen des Nordens, den semitischen Stämmen, den Persern und Indern! Es ist eine vielfach geäußerte Meinung, daß bei den nordischen Völkern die Freude an der Natur, eine alte Sehnsucht nach den anmuthigen Gefilden von Italien und Griechenland, nach der wundervollen Ueppigkeit der Tropen-Vegetation hauptsächlich einer langen winterlichen Entbehrung alles Naturgenusses zuzuschreiben sei. Wir läugnen nicht, daß die Sehnsucht nach dem Palmenklima abnimmt, je nachdem man sich dem mittäglichen Frankreich </p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [31/0036]
berei anregend, verdächtigt. Dieser Umgang schien eben so gefahrbringend wie dem Tertullian, dem Clemens von Alexandrien und fast allen älteren Kirchenvätern die Pflege der plastischen Künste. In dem zwölften und dreizehnten Jahrhunderte untersagten Kirchenversammlungen zu Tours (1163) und zu Paris (1209) den Mönchen das sündhafte Lesen physikalischer Schriften.
⁵¹
Erst durch Albert den Großen und Roger Bacon wurden die Geistesfesseln muthvoll gebrochen, die „Natur entsündigt" und in ihre alten Rechte eingesetzt.
Wir haben bisher die Contraste geschildert, die bei Griechen und Römern, in zwei so nahe mit einander verwandten Litteraturen, sich nach Verschiedenheit der Zeitepochen offenbarten. Aber nicht die Zeit allein, d. h. die Weltbegebenheiten, welche Regierungsform, Sitten und religiöse Anschauungen unaufhaltsam umwandeln, bringen diese Contraste in der Gefühlsweise hervor; noch auffallender sind die, welche die Stammverschiedenheit der Menschen und ihre geistigen Anlagen erzeugen. Wie ganz anders zeigen sich uns Lebendigkeit des Naturgefühls und dichterische Färbung der Naturschilderungen bei den Hellenen, den Germanen des Nordens, den semitischen Stämmen, den Persern und Indern! Es ist eine vielfach geäußerte Meinung, daß bei den nordischen Völkern die Freude an der Natur, eine alte Sehnsucht nach den anmuthigen Gefilden von Italien und Griechenland, nach der wundervollen Ueppigkeit der Tropen-Vegetation hauptsächlich einer langen winterlichen Entbehrung alles Naturgenusses zuzuschreiben sei. Wir läugnen nicht, daß die Sehnsucht nach dem Palmenklima abnimmt, je nachdem man sich dem mittäglichen Frankreich
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Posner Collection: Bereitstellung der Bilddigitalisate
(2013-01-09T11:04:31Z)
Moritz Bodner: Erstellung bzw. Korrektur der griechischen Textpassagen
(2013-04-18T11:04:31Z)
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |