Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Humboldt, Alexander von: Vorwort von Alexander v. Humboldt. In: Humboldt, Wilhelm von: Sonette. Berlin, 1853, S. [III]-XVI.

Bild:
<< vorherige Seite

melsgewölbes das ernste, erhabene Bild der Unend-
lichkeit dar.

Aber Reichthum in der Welt der Gedanken wie
in der Welt der Gefühle ist nur Stoff, nur das
Material zu idealer dichterischer Gestaltung. Jn der
Dichtung müssen, nach dem alten Ausspruche Schil-
ler's*) "Stoff und Form, selbst die äußere, in-
nigst zusammenhangen." Ein langer Aufenthalt in
Rom, und vielleicht ein lebhaftes Jnteresse für ge-
wisse Epochen des italiänischen Dichterlebens schei-
nen meinem Bruder eine besondere Vorliebe für eine
kleine lyrische Form eingeflößt zu haben, welche dem
Gedanken (soll der Wohlklang nicht aufgeopfert wer-
den) enge Fesseln anlegt, die er aber mit bewußter
Freiheit behandelte. Wenn nun der Dichter nach sei-
ner realen Eigenheit und Jndividualität am lebhaf-
testen das Bedürfniß fühlte, alles was der Empfin-
dung entquillt, mit Jdeen zu verweben; wenn es
ihm an Muße und augenblicklich auch an Neigung
fehlte in das tiefe Geheimniß von dem Verhältniß
des Rhythmus zu dem Gedanken einzudringen: so

*) Schiller im Briefwechsel mit Göthe Theil 3.
S. 327.

melsgewölbes das ernſte, erhabene Bild der Unend-
lichkeit dar.

Aber Reichthum in der Welt der Gedanken wie
in der Welt der Gefühle iſt nur Stoff, nur das
Material zu idealer dichteriſcher Geſtaltung. Jn der
Dichtung müſſen, nach dem alten Ausſpruche Schil-
ler's*)Stoff und Form, ſelbſt die äußere, in-
nigſt zuſammenhangen.“ Ein langer Aufenthalt in
Rom, und vielleicht ein lebhaftes Jntereſſe für ge-
wiſſe Epochen des italiäniſchen Dichterlebens ſchei-
nen meinem Bruder eine beſondere Vorliebe für eine
kleine lyriſche Form eingeflößt zu haben, welche dem
Gedanken (ſoll der Wohlklang nicht aufgeopfert wer-
den) enge Feſſeln anlegt, die er aber mit bewußter
Freiheit behandelte. Wenn nun der Dichter nach ſei-
ner realen Eigenheit und Jndividualität am lebhaf-
teſten das Bedürfniß fühlte, alles was der Empfin-
dung entquillt, mit Jdeen zu verweben; wenn es
ihm an Muße und augenblicklich auch an Neigung
fehlte in das tiefe Geheimniß von dem Verhältniß
des Rhythmus zu dem Gedanken einzudringen: ſo

*) Schiller im Briefwechſel mit Göthe Theil 3.
S. 327.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="preface">
        <p><pb facs="#f0007" n="VI"/>
melsgewölbes das ern&#x017F;te, erhabene Bild der Unend-<lb/>
lichkeit dar.</p><lb/>
        <p>Aber Reichthum in der Welt der Gedanken wie<lb/>
in der Welt der Gefühle i&#x017F;t nur <hi rendition="#g">Stoff</hi>, nur das<lb/>
Material zu idealer dichteri&#x017F;cher Ge&#x017F;taltung. Jn der<lb/>
Dichtung mü&#x017F;&#x017F;en, nach dem alten Aus&#x017F;pruche Schil-<lb/>
ler's<note place="foot" n="*)"><hi rendition="#g">Schiller</hi> im <hi rendition="#g">Briefwech&#x017F;el mit Göthe</hi> Theil 3.<lb/>
S. 327.</note> &#x201E;<hi rendition="#g">Stoff</hi> und <hi rendition="#g">Form</hi>, &#x017F;elb&#x017F;t die äußere, in-<lb/>
nig&#x017F;t zu&#x017F;ammenhangen.&#x201C; Ein langer Aufenthalt in<lb/>
Rom, und vielleicht ein lebhaftes Jntere&#x017F;&#x017F;e für ge-<lb/>
wi&#x017F;&#x017F;e Epochen des italiäni&#x017F;chen Dichterlebens &#x017F;chei-<lb/>
nen meinem Bruder eine be&#x017F;ondere Vorliebe für eine<lb/>
kleine lyri&#x017F;che Form eingeflößt zu haben, welche dem<lb/>
Gedanken (&#x017F;oll der Wohlklang nicht aufgeopfert wer-<lb/>
den) enge Fe&#x017F;&#x017F;eln anlegt, die er aber mit bewußter<lb/>
Freiheit behandelte. Wenn nun der Dichter nach &#x017F;ei-<lb/>
ner realen Eigenheit und Jndividualität am lebhaf-<lb/>
te&#x017F;ten das Bedürfniß fühlte, alles was der Empfin-<lb/>
dung entquillt, mit <hi rendition="#g">Jdeen</hi> zu verweben; wenn es<lb/>
ihm an Muße und augenblicklich auch an Neigung<lb/>
fehlte in das tiefe Geheimniß von dem Verhältniß<lb/>
des Rhythmus zu dem Gedanken einzudringen: &#x017F;o<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[VI/0007] melsgewölbes das ernſte, erhabene Bild der Unend- lichkeit dar. Aber Reichthum in der Welt der Gedanken wie in der Welt der Gefühle iſt nur Stoff, nur das Material zu idealer dichteriſcher Geſtaltung. Jn der Dichtung müſſen, nach dem alten Ausſpruche Schil- ler's *) „Stoff und Form, ſelbſt die äußere, in- nigſt zuſammenhangen.“ Ein langer Aufenthalt in Rom, und vielleicht ein lebhaftes Jntereſſe für ge- wiſſe Epochen des italiäniſchen Dichterlebens ſchei- nen meinem Bruder eine beſondere Vorliebe für eine kleine lyriſche Form eingeflößt zu haben, welche dem Gedanken (ſoll der Wohlklang nicht aufgeopfert wer- den) enge Feſſeln anlegt, die er aber mit bewußter Freiheit behandelte. Wenn nun der Dichter nach ſei- ner realen Eigenheit und Jndividualität am lebhaf- teſten das Bedürfniß fühlte, alles was der Empfin- dung entquillt, mit Jdeen zu verweben; wenn es ihm an Muße und augenblicklich auch an Neigung fehlte in das tiefe Geheimniß von dem Verhältniß des Rhythmus zu dem Gedanken einzudringen: ſo *) Schiller im Briefwechſel mit Göthe Theil 3. S. 327.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Weitere Informationen:

Eine weitere Fassung dieses Textes finden Sie in der Ausgabe Sämtliche Schriften digital (2021 ff.) der Universität Bern.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_vorwort_1853
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_vorwort_1853/7
Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Vorwort von Alexander v. Humboldt. In: Humboldt, Wilhelm von: Sonette. Berlin, 1853, S. [III]-XVI, S. VI. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_vorwort_1853/7>, abgerufen am 16.10.2024.