Humboldt, Alexander von: Vorwort von Alexander von Humboldt. In: Möllhausen, Balduin: Tagebuch einer Reise vom Mississippi nach den Küsten der Südsee. Leipzig, 1858, S. [I]-VIII.
rung der Vereinigten Staaten veranstaltet wurde veröffentlicht ein Tagebuch in Die Nähe nordamerikanischer und europäischer Ansiedler gereicht den unab-
rung der Vereinigten Staaten veranstaltet wurde veröffentlicht ein Tagebuch in Die Nähe nordamerikanischer und europäischer Ansiedler gereicht den unab- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><hi rendition="#g"><pb facs="#f0004" n="II"/> rung der Vereinigten Staaten</hi> veranstaltet wurde veröffentlicht ein Tagebuch in<lb/> dem er gleichsam als Commentar zu seinen landschaftlichen Aufnahmen und historischen<lb/> Skizzen, empfangene lebensfrische Natureindrücke wiedergiebt. Überall, wo die Dar-<lb/> stellung des Reisenden das Resultat einer sicheren und gewissenhaften Anschauung<lb/> der <hi rendition="#g">Gegenwart</hi> ist, gewährt sie eben dadurch schon und besonders in dem, was die<lb/> Zustände der Eingeborenen auf den verschiedenen Stufen ihrer Uncultur betrifft, ein<lb/> wichtiges, rein menschliches Interesse.</p><lb/> <p>Die Nähe nordamerikanischer und europäischer Ansiedler gereicht den unab-<lb/> hängigen Stämmen, wie eine traurige Erfahrung fast in allen Zonen lehrt, zum Verder-<lb/> ben. Allmälig auf engere Räume zusammengedrängt und, wo der nahe Contact Beute<lb/> verheisst, an Verwilderung zunehmend, reiben sie sich meistentheils in ungleichen<lb/> Kämpfen auf. Wenn im frühesten Anfange des Inca-Reiches von Peru, in den Cordilleren<lb/> von Quito, auf der Hochebene von Neu-Granada dem alten Cundinamarca und in dem<lb/> mexicanischen Anahuac, südlich von dem 28sten Parallelkreise, die alte indianische Be-<lb/> völkerung sich erhalten, ja sogar an einigen Punkten ansehnlich vermehrt hat, so ist<lb/> die Ursache davon grösstentheils darin zu suchen, dass viele Jahrhunderte lang vor der<lb/> spanischen <hi rendition="#i">Conquista</hi> die Bevölkerung dort aus friedlichen ackerbauenden Stämmen be-<lb/> stand. Alles, was sich in Herrn <hi rendition="#g">Möllhausen's</hi> Reisebericht auf Ethnographie und<lb/> auf die physischen und sittlichen Verhältnisse der, selten kupferfarbigen, häutiger mehr<lb/> braunrothen, Ureinwohner zwischen dem Missouri und den <hi rendition="#i">Rocky Mountains</hi>, zwischen<lb/> dem Rio Colorado und dem Littoral der Südsee bezieht, ist auf zwiefache Weise anzieh-<lb/> end. Es berührt entweder <hi rendition="#g">allgemeine</hi> Betrachtungen über die bald fortschreitende,<lb/> bald in ihrem Fortschritt gehemmte Cultur: oder <hi rendition="#g">besondere</hi>, locale, mit historischen<lb/> Erinnerungen zusammenhängende Verhältnisse. Bei Verallgemeinerung der Ansicht<lb/> reizen die mannichfaltigen Stufen unentwickelter Intelligenz in dem Urzustande der Hor-<lb/> den, welche man so unbestimmt und oft so unpassend <hi rendition="#g">Wilde</hi> <hi rendition="#i">(Indios bravos)</hi> nennt,<lb/> die Einbildungskraft dazu an, aus der eng begrenzten Räumlichkeit der Gegenwart zu<lb/> einer geheimnissvollen Vergangenheit, zu der Zeit aufzusteigen, wo ein grosser Theil<lb/> des Menschengeschlechts, der jetzt sich einer hohen Blüthe der Cultur, in Wissenschaft<lb/> und bildender Kunst, erfreut, in eben solcher Rohheit der Sitte lebte. Wie oft habe ich<lb/> selbst die lebendigste Anregung zu diesen Betrachtungen erfahren auf einer Fluss-<lb/> schifffahrt von mehr als 380 deutschen Meilen in den Wildnissen des Orinoco, südlich<lb/> von den Cataracten von Atures, auf dem Atabapo, Cassiquiare und Rio Negro: Aber<lb/> auch in den Zuständen der Ungesittung erkennt man hier und da mit Erstaunen ein-<lb/> zelne Spuren des Erwachens selbstthätiger Geisteskraft: man erkennt sie in dem gleich-<lb/> zeitigen, den Verkehr zwischen nahen Stämmen erleichternden Besitze mehrerer Spra-<lb/> chen: „in Ahnungen von einer überirdischen, furcht- oder freudebringenden Zukunft<lb/> in traditionellen Sagen, die kühn bis zur Entstehung des Menschen und seines Wohn-<lb/> sitzes aufsteigen.“</p><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [II/0004]
rung der Vereinigten Staaten veranstaltet wurde veröffentlicht ein Tagebuch in
dem er gleichsam als Commentar zu seinen landschaftlichen Aufnahmen und historischen
Skizzen, empfangene lebensfrische Natureindrücke wiedergiebt. Überall, wo die Dar-
stellung des Reisenden das Resultat einer sicheren und gewissenhaften Anschauung
der Gegenwart ist, gewährt sie eben dadurch schon und besonders in dem, was die
Zustände der Eingeborenen auf den verschiedenen Stufen ihrer Uncultur betrifft, ein
wichtiges, rein menschliches Interesse.
Die Nähe nordamerikanischer und europäischer Ansiedler gereicht den unab-
hängigen Stämmen, wie eine traurige Erfahrung fast in allen Zonen lehrt, zum Verder-
ben. Allmälig auf engere Räume zusammengedrängt und, wo der nahe Contact Beute
verheisst, an Verwilderung zunehmend, reiben sie sich meistentheils in ungleichen
Kämpfen auf. Wenn im frühesten Anfange des Inca-Reiches von Peru, in den Cordilleren
von Quito, auf der Hochebene von Neu-Granada dem alten Cundinamarca und in dem
mexicanischen Anahuac, südlich von dem 28sten Parallelkreise, die alte indianische Be-
völkerung sich erhalten, ja sogar an einigen Punkten ansehnlich vermehrt hat, so ist
die Ursache davon grösstentheils darin zu suchen, dass viele Jahrhunderte lang vor der
spanischen Conquista die Bevölkerung dort aus friedlichen ackerbauenden Stämmen be-
stand. Alles, was sich in Herrn Möllhausen's Reisebericht auf Ethnographie und
auf die physischen und sittlichen Verhältnisse der, selten kupferfarbigen, häutiger mehr
braunrothen, Ureinwohner zwischen dem Missouri und den Rocky Mountains, zwischen
dem Rio Colorado und dem Littoral der Südsee bezieht, ist auf zwiefache Weise anzieh-
end. Es berührt entweder allgemeine Betrachtungen über die bald fortschreitende,
bald in ihrem Fortschritt gehemmte Cultur: oder besondere, locale, mit historischen
Erinnerungen zusammenhängende Verhältnisse. Bei Verallgemeinerung der Ansicht
reizen die mannichfaltigen Stufen unentwickelter Intelligenz in dem Urzustande der Hor-
den, welche man so unbestimmt und oft so unpassend Wilde (Indios bravos) nennt,
die Einbildungskraft dazu an, aus der eng begrenzten Räumlichkeit der Gegenwart zu
einer geheimnissvollen Vergangenheit, zu der Zeit aufzusteigen, wo ein grosser Theil
des Menschengeschlechts, der jetzt sich einer hohen Blüthe der Cultur, in Wissenschaft
und bildender Kunst, erfreut, in eben solcher Rohheit der Sitte lebte. Wie oft habe ich
selbst die lebendigste Anregung zu diesen Betrachtungen erfahren auf einer Fluss-
schifffahrt von mehr als 380 deutschen Meilen in den Wildnissen des Orinoco, südlich
von den Cataracten von Atures, auf dem Atabapo, Cassiquiare und Rio Negro: Aber
auch in den Zuständen der Ungesittung erkennt man hier und da mit Erstaunen ein-
zelne Spuren des Erwachens selbstthätiger Geisteskraft: man erkennt sie in dem gleich-
zeitigen, den Verkehr zwischen nahen Stämmen erleichternden Besitze mehrerer Spra-
chen: „in Ahnungen von einer überirdischen, furcht- oder freudebringenden Zukunft
in traditionellen Sagen, die kühn bis zur Entstehung des Menschen und seines Wohn-
sitzes aufsteigen.“
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Weitere Informationen:Eine weitere Fassung dieses Textes finden Sie in der Ausgabe Sämtliche Schriften digital (2021 ff.) der Universität Bern.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |