ten und Tausenden, wie mit Einheiten spielen? Und wenn wir erst in der Ge- schichte eines Stammvaters das Schick- sal seines Geschlechts, wie es sich Jahr- hunderte hinab allmählig fort entwickelt hat, schon anticipirt finden, und er zu befehlen und zu weissagen scheint, wozu erst Zeit und individuelle Lage dasselbe bestimmen konnten: dann staunen wir, und denken selten, daß es Zeitbedürfniß war, an Einen Namen anzuketten, was sich irgend an ihn hängen ließ, nur um dem Gedächtniß seine Lasten zu erleich- tern, nicht um zu lügen und die Nachwelt zu betrügen*). So urtheilt ein geistreicher, tief in Geschichte und Sprache der Vorwelt einge- weihter Mann, und gehen wir von diesen vernünf- tigen Grundsätzen aus, so wird uns Manches, was uns sehr wunderbar und abentheuerlich dünkt, äus- serst einfach und natürlich erscheinen. Uebrigens hatte, wie Eichhorn und andere große Männer be- wiesen haben, das alte Testament das traurige Schicksal der meisten Bucher des neuen. Es ward durch fremde spätere Zusätze und Weglassungen von den Juden häufig entstellt. Unter dem Vorwande, veraltete und unverständliche Worte mit zeitgemäs- sern und verständlichern zu vertauschen, schob man oft einen ganz andern, von dem ursprünglichen wesentlich verschiedenen Jnhalt in den Grundtext, und im Laufe der Zeit schlichen sich auch die Rand- glossen der Abschreiber mit hinein. Auf solche Weise kam viel Wundervolles, Unglaubliches und Alber- nes in diese heiligen Bücher, von dem sie früher gar nichts enthielten. Daß dies kein leeres Vor- geben jener Männer sey, zeigt die große Verschie-
*) M. s. Eichhorns Einleitung in das alte Testament, 2te Aufl. Leipzig 1787. Theil 2. S. 259.
ten und Tauſenden, wie mit Einheiten ſpielen? Und wenn wir erſt in der Ge- ſchichte eines Stammvaters das Schick- ſal ſeines Geſchlechts, wie es ſich Jahr- hunderte hinab allmaͤhlig fort entwickelt hat, ſchon anticipirt finden, und er zu befehlen und zu weiſſagen ſcheint, wozu erſt Zeit und individuelle Lage daſſelbe beſtimmen konnten: dann ſtaunen wir, und denken ſelten, daß es Zeitbeduͤrfniß war, an Einen Namen anzuketten, was ſich irgend an ihn haͤngen ließ, nur um dem Gedaͤchtniß ſeine Laſten zu erleich- tern, nicht um zu luͤgen und die Nachwelt zu betruͤgen*). So urtheilt ein geiſtreicher, tief in Geſchichte und Sprache der Vorwelt einge- weihter Mann, und gehen wir von dieſen vernuͤnf- tigen Grundſaͤtzen aus, ſo wird uns Manches, was uns ſehr wunderbar und abentheuerlich duͤnkt, aͤuſ- ſerſt einfach und natuͤrlich erſcheinen. Uebrigens hatte, wie Eichhorn und andere große Maͤnner be- wieſen haben, das alte Teſtament das traurige Schickſal der meiſten Bucher des neuen. Es ward durch fremde ſpaͤtere Zuſaͤtze und Weglaſſungen von den Juden haͤufig entſtellt. Unter dem Vorwande, veraltete und unverſtaͤndliche Worte mit zeitgemaͤſ- ſern und verſtaͤndlichern zu vertauſchen, ſchob man oft einen ganz andern, von dem urſpruͤnglichen weſentlich verſchiedenen Jnhalt in den Grundtext, und im Laufe der Zeit ſchlichen ſich auch die Rand- gloſſen der Abſchreiber mit hinein. Auf ſolche Weiſe kam viel Wundervolles, Unglaubliches und Alber- nes in dieſe heiligen Buͤcher, von dem ſie fruͤher gar nichts enthielten. Daß dies kein leeres Vor- geben jener Maͤnner ſey, zeigt die große Verſchie-
*) M. ſ. Eichhorns Einleitung in das alte Teſtament, 2te Aufl. Leipzig 1787. Theil 2. S. 259.
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ten und Tauſenden, wie mit Einheiten
ſpielen? Und wenn wir erſt in der Ge-
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ſal ſeines Geſchlechts, wie es ſich Jahr-
hunderte hinab allmaͤhlig fort entwickelt
hat, ſchon anticipirt finden, und er zu
befehlen und zu weiſſagen ſcheint, wozu
erſt Zeit und individuelle Lage daſſelbe
beſtimmen konnten: dann ſtaunen wir,
und denken ſelten, daß es Zeitbeduͤrfniß
war, an Einen Namen anzuketten, was
ſich irgend an ihn haͤngen ließ, nur um
dem Gedaͤchtniß ſeine Laſten zu erleich-
tern, nicht um zu luͤgen und die Nachwelt
zu betruͤgen *). So urtheilt ein geiſtreicher,
tief in Geſchichte und Sprache der Vorwelt einge-
weihter Mann, und gehen wir von dieſen vernuͤnf-
tigen Grundſaͤtzen aus, ſo wird uns Manches, was
uns ſehr wunderbar und abentheuerlich duͤnkt, aͤuſ-
ſerſt einfach und natuͤrlich erſcheinen. Uebrigens
hatte, wie Eichhorn und andere große Maͤnner be-
wieſen haben, das alte Teſtament das traurige
Schickſal der meiſten Bucher des neuen. Es ward
durch fremde ſpaͤtere Zuſaͤtze und Weglaſſungen von
den Juden haͤufig entſtellt. Unter dem Vorwande,
veraltete und unverſtaͤndliche Worte mit zeitgemaͤſ-
ſern und verſtaͤndlichern zu vertauſchen, ſchob man
oft einen ganz andern, von dem urſpruͤnglichen
weſentlich verſchiedenen Jnhalt in den Grundtext,
und im Laufe der Zeit ſchlichen ſich auch die Rand-
gloſſen der Abſchreiber mit hinein. Auf ſolche Weiſe
kam viel Wundervolles, Unglaubliches und Alber-
nes in dieſe heiligen Buͤcher, von dem ſie fruͤher
gar nichts enthielten. Daß dies kein leeres Vor-
geben jener Maͤnner ſey, zeigt die große Verſchie-
*) M. ſ. Eichhorns Einleitung in das alte Teſtament,
2te Aufl. Leipzig 1787. Theil 2. S. 259.
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Hundt-Radowsky, Hartwig: Die Judenschule, oder gründliche Anleitung, in kurzer Zeit ein vollkommener schwarzer oder weißer Jude zu werden. Bd. 1. Jerusalem [i. e. Aarau], 1822, S. 325. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hundtradowsky_judenschule01_1822/359>, abgerufen am 16.02.2025.
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