Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hundt-Radowsky, Hartwig: Die Judenschule, oder gründliche Anleitung, in kurzer Zeit ein vollkommener schwarzer oder weißer Jude zu werden. Bd. 2. Jerusalem [i. e. Aarau], 1822.

Bild:
<< vorherige Seite



das Ansehen giebt, als hätten sie gar keinen Reiz
für ihn. Als Frankfurt von den Franzosen bela-
gert ward, ermahnte man einen dortigen Rabbiner,
sein gefährlich gelegenes Zimmer zu verlassen, weil
die Stadt beschossen würde. Was kümmert mich
das? erwiederte der heilige Mann und las weiter
im Talmud, in welchem er schon seit vierzig Jah-
ren studierte. Ein anderer, noch junger Rabbiner
saß bereits seit fünf Jahren bei einem talmudischen
Buche, ohne darin weiter zu kommen, als bis zum
Titelkupfer. Einst fragte man ihn, was er denn
in der ganzen langen Zeit gelernt habe? "Main,
antwortete er, sich die Stirne reibend, do thu ich
mich zerbrechen mai Kopf über den Mauses hier.
Wenn es wor Winter, worüm hat denn der Mau-
ses nicht an kein Schuh? Und wenn es wor Som-
mer, worüm hat der Mauses denn oof ä Pelzmütz?
Jm Traktat Beza (das Ei des Festtages) wird
die wichtige Frage verhandelt: ob man ein Ei, wel-
ches von einer Henne am Festtage gelegt worden,
essen dürfe oder nicht? Der Oberrabbi Hillel mein-
te: wenn man nur nicht wüßte, daß das Ei am
Schabbas gelegt sey, so könne man es, ohne zu
sündigen, wohl essen. Sein Gegner Schammai
behauptete hingegen, man mache sich durch das Es-
sen des Eies der Sünde des Huhns, welches den
Sabbath entheiliget habe, gleichfalls theilhaftig.
Dieser Streit beschäftigte zwei hohe Schulen und

dar-



das Anſehen giebt, als haͤtten ſie gar keinen Reiz
fuͤr ihn. Als Frankfurt von den Franzoſen bela-
gert ward, ermahnte man einen dortigen Rabbiner,
ſein gefaͤhrlich gelegenes Zimmer zu verlaſſen, weil
die Stadt beſchoſſen wuͤrde. Was kuͤmmert mich
das? erwiederte der heilige Mann und las weiter
im Talmud, in welchem er ſchon ſeit vierzig Jah-
ren ſtudierte. Ein anderer, noch junger Rabbiner
ſaß bereits ſeit fuͤnf Jahren bei einem talmudiſchen
Buche, ohne darin weiter zu kommen, als bis zum
Titelkupfer. Einſt fragte man ihn, was er denn
in der ganzen langen Zeit gelernt habe? »Main,
antwortete er, ſich die Stirne reibend, do thu ich
mich zerbrechen mai Kopf uͤber den Mauſes hier.
Wenn es wor Winter, woruͤm hat denn der Mau-
ſes nicht an kein Schuh? Und wenn es wor Som-
mer, woruͤm hat der Mauſes denn oof aͤ Pelzmuͤtz?
Jm Traktat Beza (das Ei des Feſttages) wird
die wichtige Frage verhandelt: ob man ein Ei, wel-
ches von einer Henne am Feſttage gelegt worden,
eſſen duͤrfe oder nicht? Der Oberrabbi Hillel mein-
te: wenn man nur nicht wuͤßte, daß das Ei am
Schabbas gelegt ſey, ſo koͤnne man es, ohne zu
ſuͤndigen, wohl eſſen. Sein Gegner Schammai
behauptete hingegen, man mache ſich durch das Eſ-
ſen des Eies der Suͤnde des Huhns, welches den
Sabbath entheiliget habe, gleichfalls theilhaftig.
Dieſer Streit beſchaͤftigte zwei hohe Schulen und

dar-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0096" n="96"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
das An&#x017F;ehen giebt, als ha&#x0364;tten &#x017F;ie gar keinen Reiz<lb/>
fu&#x0364;r ihn. Als Frankfurt von den Franzo&#x017F;en bela-<lb/>
gert ward, ermahnte man einen dortigen Rabbiner,<lb/>
&#x017F;ein gefa&#x0364;hrlich gelegenes Zimmer zu verla&#x017F;&#x017F;en, weil<lb/>
die Stadt be&#x017F;cho&#x017F;&#x017F;en wu&#x0364;rde. Was ku&#x0364;mmert mich<lb/>
das? erwiederte der heilige Mann und las weiter<lb/>
im Talmud, in welchem er &#x017F;chon &#x017F;eit vierzig Jah-<lb/>
ren &#x017F;tudierte. Ein anderer, noch junger Rabbiner<lb/>
&#x017F;aß bereits &#x017F;eit fu&#x0364;nf Jahren bei einem talmudi&#x017F;chen<lb/>
Buche, ohne darin weiter zu kommen, als bis zum<lb/>
Titelkupfer. Ein&#x017F;t fragte man ihn, was er denn<lb/>
in der ganzen langen Zeit gelernt habe? »Main,<lb/>
antwortete er, &#x017F;ich die Stirne reibend, do thu ich<lb/>
mich zerbrechen mai Kopf u&#x0364;ber den Mau&#x017F;es hier.<lb/>
Wenn es wor Winter, woru&#x0364;m hat denn der Mau-<lb/>
&#x017F;es nicht an kein Schuh? Und wenn es wor Som-<lb/>
mer, woru&#x0364;m hat der Mau&#x017F;es denn oof a&#x0364; Pelzmu&#x0364;tz?<lb/>
Jm Traktat <hi rendition="#g">Beza</hi> (das Ei des Fe&#x017F;ttages) wird<lb/>
die wichtige Frage verhandelt: ob man ein Ei, wel-<lb/>
ches von einer Henne am Fe&#x017F;ttage gelegt worden,<lb/>
e&#x017F;&#x017F;en du&#x0364;rfe oder nicht? Der Oberrabbi Hillel mein-<lb/>
te: wenn man nur nicht wu&#x0364;ßte, daß das Ei am<lb/>
Schabbas gelegt &#x017F;ey, &#x017F;o ko&#x0364;nne man es, ohne zu<lb/>
&#x017F;u&#x0364;ndigen, wohl e&#x017F;&#x017F;en. Sein Gegner Schammai<lb/>
behauptete hingegen, man mache &#x017F;ich durch das E&#x017F;-<lb/>
&#x017F;en des Eies der Su&#x0364;nde des Huhns, welches den<lb/>
Sabbath entheiliget habe, gleichfalls theilhaftig.<lb/>
Die&#x017F;er Streit be&#x017F;cha&#x0364;ftigte zwei hohe Schulen und<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">dar-</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[96/0096] das Anſehen giebt, als haͤtten ſie gar keinen Reiz fuͤr ihn. Als Frankfurt von den Franzoſen bela- gert ward, ermahnte man einen dortigen Rabbiner, ſein gefaͤhrlich gelegenes Zimmer zu verlaſſen, weil die Stadt beſchoſſen wuͤrde. Was kuͤmmert mich das? erwiederte der heilige Mann und las weiter im Talmud, in welchem er ſchon ſeit vierzig Jah- ren ſtudierte. Ein anderer, noch junger Rabbiner ſaß bereits ſeit fuͤnf Jahren bei einem talmudiſchen Buche, ohne darin weiter zu kommen, als bis zum Titelkupfer. Einſt fragte man ihn, was er denn in der ganzen langen Zeit gelernt habe? »Main, antwortete er, ſich die Stirne reibend, do thu ich mich zerbrechen mai Kopf uͤber den Mauſes hier. Wenn es wor Winter, woruͤm hat denn der Mau- ſes nicht an kein Schuh? Und wenn es wor Som- mer, woruͤm hat der Mauſes denn oof aͤ Pelzmuͤtz? Jm Traktat Beza (das Ei des Feſttages) wird die wichtige Frage verhandelt: ob man ein Ei, wel- ches von einer Henne am Feſttage gelegt worden, eſſen duͤrfe oder nicht? Der Oberrabbi Hillel mein- te: wenn man nur nicht wuͤßte, daß das Ei am Schabbas gelegt ſey, ſo koͤnne man es, ohne zu ſuͤndigen, wohl eſſen. Sein Gegner Schammai behauptete hingegen, man mache ſich durch das Eſ- ſen des Eies der Suͤnde des Huhns, welches den Sabbath entheiliget habe, gleichfalls theilhaftig. Dieſer Streit beſchaͤftigte zwei hohe Schulen und dar-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hundtradowsky_judenschule02_1822
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hundtradowsky_judenschule02_1822/96
Zitationshilfe: Hundt-Radowsky, Hartwig: Die Judenschule, oder gründliche Anleitung, in kurzer Zeit ein vollkommener schwarzer oder weißer Jude zu werden. Bd. 2. Jerusalem [i. e. Aarau], 1822, S. 96. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hundtradowsky_judenschule02_1822/96>, abgerufen am 18.05.2024.