besonders alles Denken und Empfinden verböte; denn man kann den Leuten wohl das Reden ver- wehren, aber nicht das Zähneknirschen, und dies soll weit gefährlicher seyn, als das erstere.
Die Geistlichkeit, der man so viel Herrliches und Schönes verdankt, führte zwar, um den übeln Wirkungen der, durch die Buchdruckerkunst so sehr erleichterten Gedankenmittheilung vorzubeugen, die Censur oder den Geisterzwang ein, der mit Fausts Höllenzwang manche Aehnlichkeit hatte. Allein man beherzigte nicht, daß sich auch ohne alle schriftliche Mittheilung, blos durch mündliche Be- sprechung über das, was ist, und was seyn sollte, ein Jdeenreich ausbilden kann, welches um so gefährlicher ist, da es unmittelbar aus der Em- pfindung und dem Anschauen der Verhältnisse her- vorgeht, und nicht von todten Buchstaben, sondern von der lebendigen Rede, von Mienen, Geberden, zurückgehaltenen Seufzern und Thränen verbreitet und unterstützt wird. Was die Schriftsteller, mit Ausschluß solcher, wie die Herren Haller, Pilat, Beckedorf u. s. w. in ihren Werken über öffentliche Angelegenheiten vortragen, ist gewöhnlich blos der dumpfe Wiederhall des laut ausgesprochenen Jdeen- reichs oder der Stimme der Völker, und gerade der Umstand, daß Jeder das, was er bereits selbst gedacht oder empfunden hat, in diesen Schriften wieder
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beſonders alles Denken und Empfinden verboͤte; denn man kann den Leuten wohl das Reden ver- wehren, aber nicht das Zaͤhneknirſchen, und dies ſoll weit gefaͤhrlicher ſeyn, als das erſtere.
Die Geiſtlichkeit, der man ſo viel Herrliches und Schoͤnes verdankt, fuͤhrte zwar, um den uͤbeln Wirkungen der, durch die Buchdruckerkunſt ſo ſehr erleichterten Gedankenmittheilung vorzubeugen, die Cenſur oder den Geiſterzwang ein, der mit Fauſts Hoͤllenzwang manche Aehnlichkeit hatte. Allein man beherzigte nicht, daß ſich auch ohne alle ſchriftliche Mittheilung, blos durch muͤndliche Be- ſprechung uͤber das, was iſt, und was ſeyn ſollte, ein Jdeenreich ausbilden kann, welches um ſo gefaͤhrlicher iſt, da es unmittelbar aus der Em- pfindung und dem Anſchauen der Verhaͤltniſſe her- vorgeht, und nicht von todten Buchſtaben, ſondern von der lebendigen Rede, von Mienen, Geberden, zuruͤckgehaltenen Seufzern und Thraͤnen verbreitet und unterſtuͤtzt wird. Was die Schriftſteller, mit Ausſchluß ſolcher, wie die Herren Haller, Pilat, Beckedorf u. ſ. w. in ihren Werken uͤber oͤffentliche Angelegenheiten vortragen, iſt gewoͤhnlich blos der dumpfe Wiederhall des laut ausgeſprochenen Jdeen- reichs oder der Stimme der Voͤlker, und gerade der Umſtand, daß Jeder das, was er bereits ſelbſt gedacht oder empfunden hat, in dieſen Schriften wieder
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beſonders alles Denken und Empfinden verboͤte;
denn man kann den Leuten wohl das Reden ver-
wehren, aber nicht das Zaͤhneknirſchen, und dies
ſoll weit gefaͤhrlicher ſeyn, als das erſtere.
Die Geiſtlichkeit, der man ſo viel Herrliches
und Schoͤnes verdankt, fuͤhrte zwar, um den uͤbeln
Wirkungen der, durch die Buchdruckerkunſt ſo ſehr
erleichterten Gedankenmittheilung vorzubeugen, die
Cenſur oder den Geiſterzwang ein, der mit
Fauſts Hoͤllenzwang manche Aehnlichkeit hatte.
Allein man beherzigte nicht, daß ſich auch ohne alle
ſchriftliche Mittheilung, blos durch muͤndliche Be-
ſprechung uͤber das, was iſt, und was ſeyn
ſollte, ein Jdeenreich ausbilden kann, welches um
ſo gefaͤhrlicher iſt, da es unmittelbar aus der Em-
pfindung und dem Anſchauen der Verhaͤltniſſe her-
vorgeht, und nicht von todten Buchſtaben, ſondern
von der lebendigen Rede, von Mienen, Geberden,
zuruͤckgehaltenen Seufzern und Thraͤnen verbreitet
und unterſtuͤtzt wird. Was die Schriftſteller, mit
Ausſchluß ſolcher, wie die Herren Haller, Pilat,
Beckedorf u. ſ. w. in ihren Werken uͤber oͤffentliche
Angelegenheiten vortragen, iſt gewoͤhnlich blos der
dumpfe Wiederhall des laut ausgeſprochenen Jdeen-
reichs oder der Stimme der Voͤlker, und gerade der
Umſtand, daß Jeder das, was er bereits ſelbſt gedacht
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Hundt-Radowsky, Hartwig: Die Judenschule, oder gründliche Anleitung, in kurzer Zeit ein vollkommener schwarzer oder weißer Jude zu werden. Bd. 3. Jerusalem [i. e. Aarau], 1823, S. 115. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hundtradowsky_judenschule03_1823/115>, abgerufen am 23.11.2024.
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