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Ichenhaeuser, Eliza: Frauenziele. Berlin, 1913.

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ternationale Kongreß für Hygiene im Jahre 1900
hat infolgedessen auch die These aufgestellt, daß
jede Arbeiterin Anspruch auf Ruhe während der
letzten drei Monate ihrer Schwangerschaft habe,
und der Kongreß für Geburtshilfe und Frauen-
heilkunde, der ein Jahr später in Nantes tagte, hat
diese Forderung ebenfalls zu der seinen gemacht.

Die Sozialpolitiker aber glaubten vielfach dem
Übel durch ein Verbot der Fabrikarbeit ver-
heirateter Frauen abhelfen zu können. Dieses
Mittel hat sich als unmöglich erwiesen, weil, wie
bereits in einem vorhergehenden Abschnitt gezeigt
wurde, der Verdienst der Ehefrauen eine Existenz-
frage für die Familie bedeutet. Außerdem hätte
ein solches Verbot die Ehefrauen auf die noch schäd-
lichere Heimarbeit verwiesen und die ledigen
Mütter gar nicht erfaßt.

Man mußte also immer mehr zu der Einsicht
gelangen, daß hier generelle Verbote gar nicht und
partielle nur, wenn sie mit sozialen Reformen ver-
bunden sind, etwas auszurichten vermögen.

Den Anfang hierzu hat die Deutsche Gewerbe-
ordnung 1878 gemacht durch die Bestimmung, daß
Wöchnerinnen während drei Wochen nach ihrer
Niederkunft nicht beschäftigt werden dürfen. Das
Krankenversicherungsgesetz von 1883 sicherte ihnen
alsdann für die Dauer von drei Wochen eine Unter-

ternationale Kongreß für Hygiene im Jahre 1900
hat infolgedessen auch die These aufgestellt, daß
jede Arbeiterin Anspruch auf Ruhe während der
letzten drei Monate ihrer Schwangerschaft habe,
und der Kongreß für Geburtshilfe und Frauen-
heilkunde, der ein Jahr später in Nantes tagte, hat
diese Forderung ebenfalls zu der seinen gemacht.

Die Sozialpolitiker aber glaubten vielfach dem
Übel durch ein Verbot der Fabrikarbeit ver-
heirateter Frauen abhelfen zu können. Dieses
Mittel hat sich als unmöglich erwiesen, weil, wie
bereits in einem vorhergehenden Abschnitt gezeigt
wurde, der Verdienst der Ehefrauen eine Existenz-
frage für die Familie bedeutet. Außerdem hätte
ein solches Verbot die Ehefrauen auf die noch schäd-
lichere Heimarbeit verwiesen und die ledigen
Mütter gar nicht erfaßt.

Man mußte also immer mehr zu der Einsicht
gelangen, daß hier generelle Verbote gar nicht und
partielle nur, wenn sie mit sozialen Reformen ver-
bunden sind, etwas auszurichten vermögen.

Den Anfang hierzu hat die Deutsche Gewerbe-
ordnung 1878 gemacht durch die Bestimmung, daß
Wöchnerinnen während drei Wochen nach ihrer
Niederkunft nicht beschäftigt werden dürfen. Das
Krankenversicherungsgesetz von 1883 sicherte ihnen
alsdann für die Dauer von drei Wochen eine Unter-

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[196/0200] ternationale Kongreß für Hygiene im Jahre 1900 hat infolgedessen auch die These aufgestellt, daß jede Arbeiterin Anspruch auf Ruhe während der letzten drei Monate ihrer Schwangerschaft habe, und der Kongreß für Geburtshilfe und Frauen- heilkunde, der ein Jahr später in Nantes tagte, hat diese Forderung ebenfalls zu der seinen gemacht. Die Sozialpolitiker aber glaubten vielfach dem Übel durch ein Verbot der Fabrikarbeit ver- heirateter Frauen abhelfen zu können. Dieses Mittel hat sich als unmöglich erwiesen, weil, wie bereits in einem vorhergehenden Abschnitt gezeigt wurde, der Verdienst der Ehefrauen eine Existenz- frage für die Familie bedeutet. Außerdem hätte ein solches Verbot die Ehefrauen auf die noch schäd- lichere Heimarbeit verwiesen und die ledigen Mütter gar nicht erfaßt. Man mußte also immer mehr zu der Einsicht gelangen, daß hier generelle Verbote gar nicht und partielle nur, wenn sie mit sozialen Reformen ver- bunden sind, etwas auszurichten vermögen. Den Anfang hierzu hat die Deutsche Gewerbe- ordnung 1878 gemacht durch die Bestimmung, daß Wöchnerinnen während drei Wochen nach ihrer Niederkunft nicht beschäftigt werden dürfen. Das Krankenversicherungsgesetz von 1883 sicherte ihnen alsdann für die Dauer von drei Wochen eine Unter-

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Zitationshilfe: Ichenhaeuser, Eliza: Frauenziele. Berlin, 1913, S. 196. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ichenhaeuser_frauenziele_1913/200>, abgerufen am 28.04.2024.