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Ichenhaeuser, Eliza: Frauenziele. Berlin, 1913.

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Gegenwartsfrau nicht entspricht, und sie ver-
zichteten lieber auf Ehe- und Liebesglück, statt sich
mit solch "erbärmlichem Behagen zu zweien" zu
begnügen.

Diese schonungslose und konsequente Ver-
urteilung der modernen Ehe gab auch weiteren
Kreisen zu denken, und die sozial und ethisch Ge-
bildeten mußten schließlich zugeben, daß die Ehe der
Gegenwart tatsächlich in seltensten Fällen eine
wahrhaft sittliche Gemeinschaft darstellt, sondern
nur noch eine soziale Jnstitution, deren ethische
Werte mehr und mehr im Schwinden begriffen sind.

Man heiratet heute als Mann, um auf bequeme
Weise Vermögen zu erwerben, um durch Vetterli-
wirtschaft Stellungen zu erlangen, um eine
unkündbare Haushälterin zu bekommen, in
relativ seltenen Fällen aus reiner Liebe und
aus dem Wunsch nach Kindern. Die Motive
des Gros der Frauen sind auch nicht viel
bessere. Das Verhältnis in der Ehe dem-
entsprechend. Die ökonomische Abhängigkeit und
unwürdige, gesetzliche Stellung der Frau zeitigen
bei ihr Heuchelei, List und Würdelosigkeit, beim
Manne Überhebung und Egoismus. Die dauernde
geistige Abhängigkeit, die sich aus der Vor-
herrschaft des Mannes ergibt, verhindert ihre freie
Entwicklung. Jhre mangelnde sexuelle Erziehung
und das Gebot der ehelichen Pflicht liefern sie

Gegenwartsfrau nicht entspricht, und sie ver-
zichteten lieber auf Ehe- und Liebesglück, statt sich
mit solch „erbärmlichem Behagen zu zweien“ zu
begnügen.

Diese schonungslose und konsequente Ver-
urteilung der modernen Ehe gab auch weiteren
Kreisen zu denken, und die sozial und ethisch Ge-
bildeten mußten schließlich zugeben, daß die Ehe der
Gegenwart tatsächlich in seltensten Fällen eine
wahrhaft sittliche Gemeinschaft darstellt, sondern
nur noch eine soziale Jnstitution, deren ethische
Werte mehr und mehr im Schwinden begriffen sind.

Man heiratet heute als Mann, um auf bequeme
Weise Vermögen zu erwerben, um durch Vetterli-
wirtschaft Stellungen zu erlangen, um eine
unkündbare Haushälterin zu bekommen, in
relativ seltenen Fällen aus reiner Liebe und
aus dem Wunsch nach Kindern. Die Motive
des Gros der Frauen sind auch nicht viel
bessere. Das Verhältnis in der Ehe dem-
entsprechend. Die ökonomische Abhängigkeit und
unwürdige, gesetzliche Stellung der Frau zeitigen
bei ihr Heuchelei, List und Würdelosigkeit, beim
Manne Überhebung und Egoismus. Die dauernde
geistige Abhängigkeit, die sich aus der Vor-
herrschaft des Mannes ergibt, verhindert ihre freie
Entwicklung. Jhre mangelnde sexuelle Erziehung
und das Gebot der ehelichen Pflicht liefern sie

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[261/0265] Gegenwartsfrau nicht entspricht, und sie ver- zichteten lieber auf Ehe- und Liebesglück, statt sich mit solch „erbärmlichem Behagen zu zweien“ zu begnügen. Diese schonungslose und konsequente Ver- urteilung der modernen Ehe gab auch weiteren Kreisen zu denken, und die sozial und ethisch Ge- bildeten mußten schließlich zugeben, daß die Ehe der Gegenwart tatsächlich in seltensten Fällen eine wahrhaft sittliche Gemeinschaft darstellt, sondern nur noch eine soziale Jnstitution, deren ethische Werte mehr und mehr im Schwinden begriffen sind. Man heiratet heute als Mann, um auf bequeme Weise Vermögen zu erwerben, um durch Vetterli- wirtschaft Stellungen zu erlangen, um eine unkündbare Haushälterin zu bekommen, in relativ seltenen Fällen aus reiner Liebe und aus dem Wunsch nach Kindern. Die Motive des Gros der Frauen sind auch nicht viel bessere. Das Verhältnis in der Ehe dem- entsprechend. Die ökonomische Abhängigkeit und unwürdige, gesetzliche Stellung der Frau zeitigen bei ihr Heuchelei, List und Würdelosigkeit, beim Manne Überhebung und Egoismus. Die dauernde geistige Abhängigkeit, die sich aus der Vor- herrschaft des Mannes ergibt, verhindert ihre freie Entwicklung. Jhre mangelnde sexuelle Erziehung und das Gebot der ehelichen Pflicht liefern sie

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Zitationshilfe: Ichenhaeuser, Eliza: Frauenziele. Berlin, 1913, S. 261. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ichenhaeuser_frauenziele_1913/265>, abgerufen am 10.05.2024.