Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ichenhaeuser, Eliza: Frauenziele. Berlin, 1913.

Bild:
<< vorherige Seite

erbarmungslos den sexuellen Begierden des, durch
sein Vorleben häufig korrumpierten und nicht
selten kranken Mannes aus. Die physischen und
psychischen Schäden, die sich daraus ergeben, sind
von unübersehbarer Tragweite. Die zahllosen
kränkelnden und kranken Frauen, die sexuell
überreizten, die kleinlichen, unintellektuellen, die
dem Leben fremd und uninteressiert gegenüber-
stehenden Frauen, von denen ihre Männer mit Ge-
ringschätzung und Überlegenheit sprechen, die sie
für viel zu beschränkt halten, um sie an ihren
wichtigsten Angelegenheiten teilnehmen zu lassen,
sie alle sind das Produkt dieser männlichen Ehe-
auffassung, der Behandlung, die sie ihnen an-
gedeihen lassen, "halb als Engel, halb als Kretin!"

Daß es unter der männlichen Elite auch
Andersdenkende gibt, und daß es starkgeistigen
Frauen gelingt, trotz der niedrigen allgemeinen
Eheausfassung ihre Ehe auf ein höheres Niveau zu
heben, das ändert nichts an dem allgemeinen Übel-
stand.

Die Anschauung, daß dieser in seiner ganzen
Ausdehnung bekämpft werden müsse, drang immer
mehr durch. Am radikalsten versuchten es die Ver-
fechter der neuen Ethik, die das Sexualleben da-
durch läutern wollten, daß sie es von der legitimen
Fessel, die nach ihrer Ansicht schuld an allem Übel
war, befreien, an die Stelle der Legalität Freiheit

erbarmungslos den sexuellen Begierden des, durch
sein Vorleben häufig korrumpierten und nicht
selten kranken Mannes aus. Die physischen und
psychischen Schäden, die sich daraus ergeben, sind
von unübersehbarer Tragweite. Die zahllosen
kränkelnden und kranken Frauen, die sexuell
überreizten, die kleinlichen, unintellektuellen, die
dem Leben fremd und uninteressiert gegenüber-
stehenden Frauen, von denen ihre Männer mit Ge-
ringschätzung und Überlegenheit sprechen, die sie
für viel zu beschränkt halten, um sie an ihren
wichtigsten Angelegenheiten teilnehmen zu lassen,
sie alle sind das Produkt dieser männlichen Ehe-
auffassung, der Behandlung, die sie ihnen an-
gedeihen lassen, „halb als Engel, halb als Kretin!“

Daß es unter der männlichen Elite auch
Andersdenkende gibt, und daß es starkgeistigen
Frauen gelingt, trotz der niedrigen allgemeinen
Eheausfassung ihre Ehe auf ein höheres Niveau zu
heben, das ändert nichts an dem allgemeinen Übel-
stand.

Die Anschauung, daß dieser in seiner ganzen
Ausdehnung bekämpft werden müsse, drang immer
mehr durch. Am radikalsten versuchten es die Ver-
fechter der neuen Ethik, die das Sexualleben da-
durch läutern wollten, daß sie es von der legitimen
Fessel, die nach ihrer Ansicht schuld an allem Übel
war, befreien, an die Stelle der Legalität Freiheit

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0266" n="262"/>
erbarmungslos den sexuellen Begierden des, durch<lb/>
sein Vorleben häufig korrumpierten und nicht<lb/>
selten kranken Mannes aus. Die physischen und<lb/>
psychischen Schäden, die sich daraus ergeben, sind<lb/>
von unübersehbarer Tragweite. Die zahllosen<lb/>
kränkelnden und kranken Frauen, die sexuell<lb/>
überreizten, die kleinlichen, unintellektuellen, die<lb/>
dem Leben fremd und uninteressiert gegenüber-<lb/>
stehenden Frauen, von denen ihre Männer mit Ge-<lb/>
ringschätzung und Überlegenheit sprechen, die sie<lb/>
für viel zu beschränkt halten, um sie an ihren<lb/>
wichtigsten Angelegenheiten teilnehmen zu lassen,<lb/>
sie alle sind das Produkt dieser männlichen Ehe-<lb/>
auffassung, der Behandlung, die sie ihnen an-<lb/>
gedeihen lassen, &#x201E;halb als Engel, halb als Kretin!&#x201C;</p><lb/>
          <p>Daß es unter der männlichen Elite auch<lb/>
Andersdenkende gibt, und daß es starkgeistigen<lb/>
Frauen gelingt, trotz der niedrigen allgemeinen<lb/>
Eheausfassung ihre Ehe auf ein höheres Niveau zu<lb/>
heben, das ändert nichts an dem allgemeinen Übel-<lb/>
stand.</p><lb/>
          <p>Die Anschauung, daß dieser in seiner ganzen<lb/>
Ausdehnung bekämpft werden müsse, drang immer<lb/>
mehr durch. Am radikalsten versuchten es die Ver-<lb/>
fechter der neuen Ethik, die das Sexualleben da-<lb/>
durch läutern wollten, daß sie es von der legitimen<lb/>
Fessel, die nach ihrer Ansicht schuld an allem Übel<lb/>
war, befreien, an die Stelle der Legalität Freiheit<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[262/0266] erbarmungslos den sexuellen Begierden des, durch sein Vorleben häufig korrumpierten und nicht selten kranken Mannes aus. Die physischen und psychischen Schäden, die sich daraus ergeben, sind von unübersehbarer Tragweite. Die zahllosen kränkelnden und kranken Frauen, die sexuell überreizten, die kleinlichen, unintellektuellen, die dem Leben fremd und uninteressiert gegenüber- stehenden Frauen, von denen ihre Männer mit Ge- ringschätzung und Überlegenheit sprechen, die sie für viel zu beschränkt halten, um sie an ihren wichtigsten Angelegenheiten teilnehmen zu lassen, sie alle sind das Produkt dieser männlichen Ehe- auffassung, der Behandlung, die sie ihnen an- gedeihen lassen, „halb als Engel, halb als Kretin!“ Daß es unter der männlichen Elite auch Andersdenkende gibt, und daß es starkgeistigen Frauen gelingt, trotz der niedrigen allgemeinen Eheausfassung ihre Ehe auf ein höheres Niveau zu heben, das ändert nichts an dem allgemeinen Übel- stand. Die Anschauung, daß dieser in seiner ganzen Ausdehnung bekämpft werden müsse, drang immer mehr durch. Am radikalsten versuchten es die Ver- fechter der neuen Ethik, die das Sexualleben da- durch läutern wollten, daß sie es von der legitimen Fessel, die nach ihrer Ansicht schuld an allem Übel war, befreien, an die Stelle der Legalität Freiheit

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Texte der ersten Frauenbewegung, betreut von Anna Pfundt und Thomas Gloning, JLU Gießen: Bereitstellung der Texttranskription. (2020-12-07T10:34:09Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Anna Pfundt, Juliane Nau: Bearbeitung der digitalen Edition. (2020-12-07T10:34:09Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: gekennzeichnet; Druckfehler: gekennzeichnet; fremdsprachliches Material: keine Angabe; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; i/j in Fraktur: keine Angabe; Kolumnentitel: keine Angabe; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: wie Vorlage; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ichenhaeuser_frauenziele_1913
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ichenhaeuser_frauenziele_1913/266
Zitationshilfe: Ichenhaeuser, Eliza: Frauenziele. Berlin, 1913, S. 262. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ichenhaeuser_frauenziele_1913/266>, abgerufen am 10.05.2024.