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Ichenhaeuser, Eliza: Die politische Gleichberechtigung der Frau. Berlin, 1898.

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Eliza Ichenhaeuser.

Der Katholicismus benutzte den Mysticismus, der
ihm innewohnt, um die Frau als das böse Princip hin-
zustellen, als die Ursache des Sündenfalls der Menschheit,
als die gefährliche Species, vor der man sich in Acht
nehmen müsse, mit der Geistliche nicht unter einem Dach
wohnen dürften, die ohne zwei Zeugen nicht ihr Zimmer
betreten dürfen. Das Mittelalter stand ganz unter diesem
Einfluss, der die Frau immer tiefer und tiefer hinabzu-
drücken versuchte.

Inzwischen waren den Frauen allerdings auch wieder
neue Vertheidiger entstanden, die grossen Verdienste, die
sich Diejenigen errangen, die trotz ihrer Unterdrückung
durch Zufall oder durch geniale Energie die Barriere,
hinter die sie verbannt waren, niedergeworfen hatten,
konnten nicht unbemerkt bleiben. Im Jahre 1588 schrieb
Baldassare Castiglione*), dass, wenn man in den ver-
schiedenen Epochen den Werth der Frauen mit dem-
jenigen der Männer vergleichen wolle, man finden würde,
dass sie den Männern durchaus nicht inferior sind. Er
erinnert an all die Frauen, die ihre Königreiche mit weiser
Vorsicht und grossem Gerechtigkeitssinn regiert haben,
die Krieg erklärt und Siege errungen haben, die alles
gethan haben, was Männer nur thun können; er erinnert
an all die Frauen, die sich in der Philosophie, in der
Poesie ausgezeichnet haben; an diejenigen, die in
Prozessen plaidirten und mit Beredsamkeit und Ge-

*) Baldassare Castiglione, Il cortigiano, Venezia, Imberti 1588.
Eliza Ichenhaeuser.

Der Katholicismus benutzte den Mysticismus, der
ihm innewohnt, um die Frau als das böse Princip hin-
zustellen, als die Ursache des Sündenfalls der Menschheit,
als die gefährliche Species, vor der man sich in Acht
nehmen müsse, mit der Geistliche nicht unter einem Dach
wohnen dürften, die ohne zwei Zeugen nicht ihr Zimmer
betreten dürfen. Das Mittelalter stand ganz unter diesem
Einfluss, der die Frau immer tiefer und tiefer hinabzu-
drücken versuchte.

Inzwischen waren den Frauen allerdings auch wieder
neue Vertheidiger entstanden, die grossen Verdienste, die
sich Diejenigen errangen, die trotz ihrer Unterdrückung
durch Zufall oder durch geniale Energie die Barrière,
hinter die sie verbannt waren, niedergeworfen hatten,
konnten nicht unbemerkt bleiben. Im Jahre 1588 schrieb
Baldassare Castiglione*), dass, wenn man in den ver-
schiedenen Epochen den Werth der Frauen mit dem-
jenigen der Männer vergleichen wolle, man finden würde,
dass sie den Männern durchaus nicht inferior sind. Er
erinnert an all die Frauen, die ihre Königreiche mit weiser
Vorsicht und grossem Gerechtigkeitssinn regiert haben,
die Krieg erklärt und Siege errungen haben, die alles
gethan haben, was Männer nur thun können; er erinnert
an all die Frauen, die sich in der Philosophie, in der
Poesie ausgezeichnet haben; an diejenigen, die in
Prozessen plaidirten und mit Beredsamkeit und Ge-

*) Baldassare Castiglione, Il cortigiano, Venezia, Imberti 1588.
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[26/0039] Eliza Ichenhaeuser. Der Katholicismus benutzte den Mysticismus, der ihm innewohnt, um die Frau als das böse Princip hin- zustellen, als die Ursache des Sündenfalls der Menschheit, als die gefährliche Species, vor der man sich in Acht nehmen müsse, mit der Geistliche nicht unter einem Dach wohnen dürften, die ohne zwei Zeugen nicht ihr Zimmer betreten dürfen. Das Mittelalter stand ganz unter diesem Einfluss, der die Frau immer tiefer und tiefer hinabzu- drücken versuchte. Inzwischen waren den Frauen allerdings auch wieder neue Vertheidiger entstanden, die grossen Verdienste, die sich Diejenigen errangen, die trotz ihrer Unterdrückung durch Zufall oder durch geniale Energie die Barrière, hinter die sie verbannt waren, niedergeworfen hatten, konnten nicht unbemerkt bleiben. Im Jahre 1588 schrieb Baldassare Castiglione *), dass, wenn man in den ver- schiedenen Epochen den Werth der Frauen mit dem- jenigen der Männer vergleichen wolle, man finden würde, dass sie den Männern durchaus nicht inferior sind. Er erinnert an all die Frauen, die ihre Königreiche mit weiser Vorsicht und grossem Gerechtigkeitssinn regiert haben, die Krieg erklärt und Siege errungen haben, die alles gethan haben, was Männer nur thun können; er erinnert an all die Frauen, die sich in der Philosophie, in der Poesie ausgezeichnet haben; an diejenigen, die in Prozessen plaidirten und mit Beredsamkeit und Ge- *) Baldassare Castiglione, Il cortigiano, Venezia, Imberti 1588.

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Zitationshilfe: Ichenhaeuser, Eliza: Die politische Gleichberechtigung der Frau. Berlin, 1898, S. 26. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ichenhaeuser_gleichberechtigung_1898/39>, abgerufen am 29.04.2024.