Ideler, Karl Wilhelm: Der religiöse Wahnsinn, erläutert durch Krankengeschichten. Ein Beitrag zur Geschichte der religiösen Wirren der Gegenwart. Halle (Saale), 1847.behandet wurden, wie sie denn auch von Seiten ihres Vaters Ein Bäckergeselle verleitete sie durch ein Eheversprechen behandet wurden, wie ſie denn auch von Seiten ihres Vaters Ein Baͤckergeſelle verleitete ſie durch ein Eheverſprechen <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0147" n="139"/> behandet wurden, wie ſie denn auch von Seiten ihres Vaters<lb/> einer zaͤrtlichen Liebe ſich zu erfreuen hatten. Die Kindheit<lb/> der G. verſtrich daher unter freundlichen Verhaͤltniſſen, zu de¬<lb/> ren Gluͤck ihre ungeſtoͤrte Koͤrperentwickelung weſentlich beitrug.<lb/> Indeß noch waͤhrend ihres Schulbeſuchs traf ſie das harte<lb/> Loos, daß ihr Vater ſeinen Poſten verlor, und aller Subſi¬<lb/> ſtenzmittel beraubt, ſich von ihr trennen, und ſie der Sorge<lb/> eines Freundes uͤberlaſſen mußte. Tief betruͤbt, ſchon im fruͤ¬<lb/> hen Alter, noch bei Lebzeiten ihrer Aeltern, eine Waiſe ge¬<lb/> worden zu ſein, fuͤhlte ſie das Druͤckende ihrer Lage um ſo pein¬<lb/> licher, als ihr dieſelbe durch Noͤthigung zu laͤſtigen Arbeiten<lb/> noch mehr erſchwert wurde. Nach erfolgter Einſegnung kam<lb/> ſie im 15. Jahre nach Berlin, wo ſie 4 Jahre lang unter er¬<lb/> traͤglichen Verhaͤltniſſen Dienſte bei verſchiedenen Familien nahm,<lb/> und ſie wuͤrde ſich wohl gefuͤhlt haben, wenn nicht ihr Vater<lb/> wegen Verdacht auf Falſchmuͤnzerei verhaftet worden, und im<lb/> Gefaͤngniſſe geſtorben waͤre. Die bittere Erinnerung an ſein<lb/> klaͤgliches Ende, die Trauer um ihre Mutter, von welcher ſie<lb/> nur ſo viel erfuhr, daß dieſelbe nicht geſtorben ſei, die Tren¬<lb/> nung von ihrem Bruder, alles dies truͤbte ihren Sinn, und<lb/> ließ einen Hang zur Schwermuth zuruͤck, welcher zwar ihre<lb/> koͤrperliche Geſundheit nicht truͤbte, aber im ſpaͤteren Leben<lb/> weſentlich zur Entſtehung ihres Wahns beitrug.</p><lb/> <p>Ein Baͤckergeſelle verleitete ſie durch ein Eheverſprechen<lb/> zum Concubinat, in welchem ſie auf laͤngere Zeit mit ihm lebte,<lb/> ſo daß ſie ihm 2 Kinder gebar. Nachdem er ſie lange mit<lb/> eiteln Hoffnungen vertroͤſtet hatte, war ſie endlich genoͤthigt,<lb/> ſich von ihm zu trennen; ja ſie mußte den Beiſtand der Ge¬<lb/> richte aufrufen, um von ihm fuͤr die Erziehung beider Kinder<lb/> eine Summe von 140 Thalern zu erlangen. Hierdurch wurde<lb/> ſie in den Stand geſetzt, ſich bei einer Frau einzumiethen,<lb/> welche die Pflege der Kinder uͤbernahm, waͤhrend ſie ſelbſt<lb/> ihren Unterhalt durch Waſchen und Scheuern ſich erwarb.<lb/> Leichtſinnig, wie ſo Viele unter aͤhnlichen Verhaͤltniſſen, ſchlug<lb/> ſie ſich dies verſchuldete Mißgeſchick aus dem Sinn, beſaß aber<lb/> doch Muttergefuͤhl genug, um ſich in der Naͤhe ihrer Kinder<lb/> gluͤcklich zu fuͤhlen, und auf jede andere Erheiterung Verzicht<lb/> zu leiſten. Im 30. Jahre heirathete ſie einen Schuhmacher,<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [139/0147]
behandet wurden, wie ſie denn auch von Seiten ihres Vaters
einer zaͤrtlichen Liebe ſich zu erfreuen hatten. Die Kindheit
der G. verſtrich daher unter freundlichen Verhaͤltniſſen, zu de¬
ren Gluͤck ihre ungeſtoͤrte Koͤrperentwickelung weſentlich beitrug.
Indeß noch waͤhrend ihres Schulbeſuchs traf ſie das harte
Loos, daß ihr Vater ſeinen Poſten verlor, und aller Subſi¬
ſtenzmittel beraubt, ſich von ihr trennen, und ſie der Sorge
eines Freundes uͤberlaſſen mußte. Tief betruͤbt, ſchon im fruͤ¬
hen Alter, noch bei Lebzeiten ihrer Aeltern, eine Waiſe ge¬
worden zu ſein, fuͤhlte ſie das Druͤckende ihrer Lage um ſo pein¬
licher, als ihr dieſelbe durch Noͤthigung zu laͤſtigen Arbeiten
noch mehr erſchwert wurde. Nach erfolgter Einſegnung kam
ſie im 15. Jahre nach Berlin, wo ſie 4 Jahre lang unter er¬
traͤglichen Verhaͤltniſſen Dienſte bei verſchiedenen Familien nahm,
und ſie wuͤrde ſich wohl gefuͤhlt haben, wenn nicht ihr Vater
wegen Verdacht auf Falſchmuͤnzerei verhaftet worden, und im
Gefaͤngniſſe geſtorben waͤre. Die bittere Erinnerung an ſein
klaͤgliches Ende, die Trauer um ihre Mutter, von welcher ſie
nur ſo viel erfuhr, daß dieſelbe nicht geſtorben ſei, die Tren¬
nung von ihrem Bruder, alles dies truͤbte ihren Sinn, und
ließ einen Hang zur Schwermuth zuruͤck, welcher zwar ihre
koͤrperliche Geſundheit nicht truͤbte, aber im ſpaͤteren Leben
weſentlich zur Entſtehung ihres Wahns beitrug.
Ein Baͤckergeſelle verleitete ſie durch ein Eheverſprechen
zum Concubinat, in welchem ſie auf laͤngere Zeit mit ihm lebte,
ſo daß ſie ihm 2 Kinder gebar. Nachdem er ſie lange mit
eiteln Hoffnungen vertroͤſtet hatte, war ſie endlich genoͤthigt,
ſich von ihm zu trennen; ja ſie mußte den Beiſtand der Ge¬
richte aufrufen, um von ihm fuͤr die Erziehung beider Kinder
eine Summe von 140 Thalern zu erlangen. Hierdurch wurde
ſie in den Stand geſetzt, ſich bei einer Frau einzumiethen,
welche die Pflege der Kinder uͤbernahm, waͤhrend ſie ſelbſt
ihren Unterhalt durch Waſchen und Scheuern ſich erwarb.
Leichtſinnig, wie ſo Viele unter aͤhnlichen Verhaͤltniſſen, ſchlug
ſie ſich dies verſchuldete Mißgeſchick aus dem Sinn, beſaß aber
doch Muttergefuͤhl genug, um ſich in der Naͤhe ihrer Kinder
gluͤcklich zu fuͤhlen, und auf jede andere Erheiterung Verzicht
zu leiſten. Im 30. Jahre heirathete ſie einen Schuhmacher,
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