mit welchem sie eine friedliche Ehe führte, da er gegen ihre Kinder liebreich war, und sie gebar ihm überdies noch 3 Kin¬ der, von denen außer ihrer ältesten unehelichen Tochter nur noch eins am Leben ist. Da sie immer, so viel die Umstände es gestatteten, dem früheren Erwerbe nachging, und hierdurch ihren Mann unterstützte, so blieben beide von Sorgen befreit, und es war daher für sie ein sehr schmerzlicher Verlust, als je¬ ner nach zehnjähriger Ehe an der Cholera starb. An anstren¬ gende Arbeit gewöhnt, erwarb sie für sich und die beiden Kin¬ der den nöthigen Lebensunterhalt, bis Anfälle von Rheuma¬ tismus, zumal unter den Erscheinungen von heftigem Kopf¬ schmerz und Schwindel in Folge des unaufhörlichen Waschens im Herbste und Winter sie nöthigten, von dieser Beschäftigung, der auch ihre abnehmenden Kräfte nicht mehr gewachsen waren, abzusehen, und sich mit weiblichen Handarbeiten zu ernähren. Ihre nun schon herangewachsene Tochter unterstützte sie dabei, indeß reichte doch der Ertrag ihres Fleißes nicht mehr zur Be¬ friedigung ihrer Bedürfnisse aus; sie blieb den Miethzins schul¬ dig, wofür ihr das Hausgeräth abgepfändet wurde, und mußte sich durch Anschaffen neuer Möbel wiederum in Schulden stürzen.
Sie befand sich daher in einer peinlichen Verlegenheit, als sie zur Bezahlung derselben ungestüm aufgefordert wurde, und konnte sich nicht dazu entschließen, den Rath zu befolgen, daß sie den wohlhabenden Bräutigam ihrer Tochter um pecuniären Beistand ansprechen solle. Der Hülfe und des Trostes beraubt, kam sie sich sehr einsam und verlassen vor, und es fiel ihr nun besonders schwer auf's Herz, daß sie weder von ihrer Mutter noch von ihrem Bruder, welche sie beide noch am Leben glaubte, etwas wußte. Zu diesen bangen Gefühlen gesellte sich noch ein wichtiges pathologisches Moment, nämlich das allmählige Aufhören der Menstruation, wodurch ein starker Andrang des Bluts nach dem Kopfe, und hierdurch Anfälle von Schwindel und Ohnmacht veranlaßt wurden. Aus dem Zusammentreffen dieser Bedingungen läßt es sich erklären, daß im Jahre 1844 bei ihr ein Gemüthsleiden zum Ausbruch kam, zu welchem keine anderweitigen Ursachen beigetragen zu haben scheinen. Wenigstens läßt sich ein Hang zur religiösen Schwär¬
mit welchem ſie eine friedliche Ehe fuͤhrte, da er gegen ihre Kinder liebreich war, und ſie gebar ihm uͤberdies noch 3 Kin¬ der, von denen außer ihrer aͤlteſten unehelichen Tochter nur noch eins am Leben iſt. Da ſie immer, ſo viel die Umſtaͤnde es geſtatteten, dem fruͤheren Erwerbe nachging, und hierdurch ihren Mann unterſtuͤtzte, ſo blieben beide von Sorgen befreit, und es war daher fuͤr ſie ein ſehr ſchmerzlicher Verluſt, als je¬ ner nach zehnjaͤhriger Ehe an der Cholera ſtarb. An anſtren¬ gende Arbeit gewoͤhnt, erwarb ſie fuͤr ſich und die beiden Kin¬ der den noͤthigen Lebensunterhalt, bis Anfaͤlle von Rheuma¬ tismus, zumal unter den Erſcheinungen von heftigem Kopf¬ ſchmerz und Schwindel in Folge des unaufhoͤrlichen Waſchens im Herbſte und Winter ſie noͤthigten, von dieſer Beſchaͤftigung, der auch ihre abnehmenden Kraͤfte nicht mehr gewachſen waren, abzuſehen, und ſich mit weiblichen Handarbeiten zu ernaͤhren. Ihre nun ſchon herangewachſene Tochter unterſtuͤtzte ſie dabei, indeß reichte doch der Ertrag ihres Fleißes nicht mehr zur Be¬ friedigung ihrer Beduͤrfniſſe aus; ſie blieb den Miethzins ſchul¬ dig, wofuͤr ihr das Hausgeraͤth abgepfaͤndet wurde, und mußte ſich durch Anſchaffen neuer Moͤbel wiederum in Schulden ſtuͤrzen.
Sie befand ſich daher in einer peinlichen Verlegenheit, als ſie zur Bezahlung derſelben ungeſtuͤm aufgefordert wurde, und konnte ſich nicht dazu entſchließen, den Rath zu befolgen, daß ſie den wohlhabenden Braͤutigam ihrer Tochter um pecuniaͤren Beiſtand anſprechen ſolle. Der Huͤlfe und des Troſtes beraubt, kam ſie ſich ſehr einſam und verlaſſen vor, und es fiel ihr nun beſonders ſchwer auf's Herz, daß ſie weder von ihrer Mutter noch von ihrem Bruder, welche ſie beide noch am Leben glaubte, etwas wußte. Zu dieſen bangen Gefuͤhlen geſellte ſich noch ein wichtiges pathologiſches Moment, naͤmlich das allmaͤhlige Aufhoͤren der Menſtruation, wodurch ein ſtarker Andrang des Bluts nach dem Kopfe, und hierdurch Anfaͤlle von Schwindel und Ohnmacht veranlaßt wurden. Aus dem Zuſammentreffen dieſer Bedingungen laͤßt es ſich erklaͤren, daß im Jahre 1844 bei ihr ein Gemuͤthsleiden zum Ausbruch kam, zu welchem keine anderweitigen Urſachen beigetragen zu haben ſcheinen. Wenigſtens laͤßt ſich ein Hang zur religioͤſen Schwaͤr¬
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mit welchem ſie eine friedliche Ehe fuͤhrte, da er gegen ihre
Kinder liebreich war, und ſie gebar ihm uͤberdies noch 3 Kin¬
der, von denen außer ihrer aͤlteſten unehelichen Tochter nur
noch eins am Leben iſt. Da ſie immer, ſo viel die Umſtaͤnde
es geſtatteten, dem fruͤheren Erwerbe nachging, und hierdurch
ihren Mann unterſtuͤtzte, ſo blieben beide von Sorgen befreit,
und es war daher fuͤr ſie ein ſehr ſchmerzlicher Verluſt, als je¬
ner nach zehnjaͤhriger Ehe an der Cholera ſtarb. An anſtren¬
gende Arbeit gewoͤhnt, erwarb ſie fuͤr ſich und die beiden Kin¬
der den noͤthigen Lebensunterhalt, bis Anfaͤlle von Rheuma¬
tismus, zumal unter den Erſcheinungen von heftigem Kopf¬
ſchmerz und Schwindel in Folge des unaufhoͤrlichen Waſchens
im Herbſte und Winter ſie noͤthigten, von dieſer Beſchaͤftigung,
der auch ihre abnehmenden Kraͤfte nicht mehr gewachſen waren,
abzuſehen, und ſich mit weiblichen Handarbeiten zu ernaͤhren.
Ihre nun ſchon herangewachſene Tochter unterſtuͤtzte ſie dabei,
indeß reichte doch der Ertrag ihres Fleißes nicht mehr zur Be¬
friedigung ihrer Beduͤrfniſſe aus; ſie blieb den Miethzins ſchul¬
dig, wofuͤr ihr das Hausgeraͤth abgepfaͤndet wurde, und mußte
ſich durch Anſchaffen neuer Moͤbel wiederum in Schulden
ſtuͤrzen.
Sie befand ſich daher in einer peinlichen Verlegenheit, als
ſie zur Bezahlung derſelben ungeſtuͤm aufgefordert wurde, und
konnte ſich nicht dazu entſchließen, den Rath zu befolgen, daß
ſie den wohlhabenden Braͤutigam ihrer Tochter um pecuniaͤren
Beiſtand anſprechen ſolle. Der Huͤlfe und des Troſtes beraubt,
kam ſie ſich ſehr einſam und verlaſſen vor, und es fiel ihr nun
beſonders ſchwer auf's Herz, daß ſie weder von ihrer Mutter
noch von ihrem Bruder, welche ſie beide noch am Leben
glaubte, etwas wußte. Zu dieſen bangen Gefuͤhlen geſellte
ſich noch ein wichtiges pathologiſches Moment, naͤmlich das
allmaͤhlige Aufhoͤren der Menſtruation, wodurch ein ſtarker
Andrang des Bluts nach dem Kopfe, und hierdurch Anfaͤlle
von Schwindel und Ohnmacht veranlaßt wurden. Aus dem
Zuſammentreffen dieſer Bedingungen laͤßt es ſich erklaͤren, daß
im Jahre 1844 bei ihr ein Gemuͤthsleiden zum Ausbruch kam,
zu welchem keine anderweitigen Urſachen beigetragen zu haben
ſcheinen. Wenigſtens laͤßt ſich ein Hang zur religioͤſen Schwaͤr¬
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Ideler, Karl Wilhelm: Der religiöse Wahnsinn, erläutert durch Krankengeschichten. Ein Beitrag zur Geschichte der religiösen Wirren der Gegenwart. Halle (Saale), 1847, S. 140. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ideler_wahnsinn_1847/148>, abgerufen am 26.06.2024.
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