Ideler, Karl Wilhelm: Der religiöse Wahnsinn, erläutert durch Krankengeschichten. Ein Beitrag zur Geschichte der religiösen Wirren der Gegenwart. Halle (Saale), 1847.mit welchem sie eine friedliche Ehe führte, da er gegen ihre Sie befand sich daher in einer peinlichen Verlegenheit, als mit welchem ſie eine friedliche Ehe fuͤhrte, da er gegen ihre Sie befand ſich daher in einer peinlichen Verlegenheit, als <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0148" n="140"/> mit welchem ſie eine friedliche Ehe fuͤhrte, da er gegen ihre<lb/> Kinder liebreich war, und ſie gebar ihm uͤberdies noch 3 Kin¬<lb/> der, von denen außer ihrer aͤlteſten unehelichen Tochter nur<lb/> noch eins am Leben iſt. Da ſie immer, ſo viel die Umſtaͤnde<lb/> es geſtatteten, dem fruͤheren Erwerbe nachging, und hierdurch<lb/> ihren Mann unterſtuͤtzte, ſo blieben beide von Sorgen befreit,<lb/> und es war daher fuͤr ſie ein ſehr ſchmerzlicher Verluſt, als je¬<lb/> ner nach zehnjaͤhriger Ehe an der Cholera ſtarb. An anſtren¬<lb/> gende Arbeit gewoͤhnt, erwarb ſie fuͤr ſich und die beiden Kin¬<lb/> der den noͤthigen Lebensunterhalt, bis Anfaͤlle von Rheuma¬<lb/> tismus, zumal unter den Erſcheinungen von heftigem Kopf¬<lb/> ſchmerz und Schwindel in Folge des unaufhoͤrlichen Waſchens<lb/> im Herbſte und Winter ſie noͤthigten, von dieſer Beſchaͤftigung,<lb/> der auch ihre abnehmenden Kraͤfte nicht mehr gewachſen waren,<lb/> abzuſehen, und ſich mit weiblichen Handarbeiten zu ernaͤhren.<lb/> Ihre nun ſchon herangewachſene Tochter unterſtuͤtzte ſie dabei,<lb/> indeß reichte doch der Ertrag ihres Fleißes nicht mehr zur Be¬<lb/> friedigung ihrer Beduͤrfniſſe aus; ſie blieb den Miethzins ſchul¬<lb/> dig, wofuͤr ihr das Hausgeraͤth abgepfaͤndet wurde, und mußte<lb/> ſich durch Anſchaffen neuer Moͤbel wiederum in Schulden<lb/> ſtuͤrzen.</p><lb/> <p>Sie befand ſich daher in einer peinlichen Verlegenheit, als<lb/> ſie zur Bezahlung derſelben ungeſtuͤm aufgefordert wurde, und<lb/> konnte ſich nicht dazu entſchließen, den Rath zu befolgen, daß<lb/> ſie den wohlhabenden Braͤutigam ihrer Tochter um pecuniaͤren<lb/> Beiſtand anſprechen ſolle. Der Huͤlfe und des Troſtes beraubt,<lb/> kam ſie ſich ſehr einſam und verlaſſen vor, und es fiel ihr nun<lb/> beſonders ſchwer auf's Herz, daß ſie weder von ihrer Mutter<lb/> noch von ihrem Bruder, welche ſie beide noch am Leben<lb/> glaubte, etwas wußte. Zu dieſen bangen Gefuͤhlen geſellte<lb/> ſich noch ein wichtiges pathologiſches Moment, naͤmlich das<lb/> allmaͤhlige Aufhoͤren der Menſtruation, wodurch ein ſtarker<lb/> Andrang des Bluts nach dem Kopfe, und hierdurch Anfaͤlle<lb/> von Schwindel und Ohnmacht veranlaßt wurden. Aus dem<lb/> Zuſammentreffen dieſer Bedingungen laͤßt es ſich erklaͤren, daß<lb/> im Jahre 1844 bei ihr ein Gemuͤthsleiden zum Ausbruch kam,<lb/> zu welchem keine anderweitigen Urſachen beigetragen zu haben<lb/> ſcheinen. Wenigſtens laͤßt ſich ein Hang zur religioͤſen Schwaͤr¬<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [140/0148]
mit welchem ſie eine friedliche Ehe fuͤhrte, da er gegen ihre
Kinder liebreich war, und ſie gebar ihm uͤberdies noch 3 Kin¬
der, von denen außer ihrer aͤlteſten unehelichen Tochter nur
noch eins am Leben iſt. Da ſie immer, ſo viel die Umſtaͤnde
es geſtatteten, dem fruͤheren Erwerbe nachging, und hierdurch
ihren Mann unterſtuͤtzte, ſo blieben beide von Sorgen befreit,
und es war daher fuͤr ſie ein ſehr ſchmerzlicher Verluſt, als je¬
ner nach zehnjaͤhriger Ehe an der Cholera ſtarb. An anſtren¬
gende Arbeit gewoͤhnt, erwarb ſie fuͤr ſich und die beiden Kin¬
der den noͤthigen Lebensunterhalt, bis Anfaͤlle von Rheuma¬
tismus, zumal unter den Erſcheinungen von heftigem Kopf¬
ſchmerz und Schwindel in Folge des unaufhoͤrlichen Waſchens
im Herbſte und Winter ſie noͤthigten, von dieſer Beſchaͤftigung,
der auch ihre abnehmenden Kraͤfte nicht mehr gewachſen waren,
abzuſehen, und ſich mit weiblichen Handarbeiten zu ernaͤhren.
Ihre nun ſchon herangewachſene Tochter unterſtuͤtzte ſie dabei,
indeß reichte doch der Ertrag ihres Fleißes nicht mehr zur Be¬
friedigung ihrer Beduͤrfniſſe aus; ſie blieb den Miethzins ſchul¬
dig, wofuͤr ihr das Hausgeraͤth abgepfaͤndet wurde, und mußte
ſich durch Anſchaffen neuer Moͤbel wiederum in Schulden
ſtuͤrzen.
Sie befand ſich daher in einer peinlichen Verlegenheit, als
ſie zur Bezahlung derſelben ungeſtuͤm aufgefordert wurde, und
konnte ſich nicht dazu entſchließen, den Rath zu befolgen, daß
ſie den wohlhabenden Braͤutigam ihrer Tochter um pecuniaͤren
Beiſtand anſprechen ſolle. Der Huͤlfe und des Troſtes beraubt,
kam ſie ſich ſehr einſam und verlaſſen vor, und es fiel ihr nun
beſonders ſchwer auf's Herz, daß ſie weder von ihrer Mutter
noch von ihrem Bruder, welche ſie beide noch am Leben
glaubte, etwas wußte. Zu dieſen bangen Gefuͤhlen geſellte
ſich noch ein wichtiges pathologiſches Moment, naͤmlich das
allmaͤhlige Aufhoͤren der Menſtruation, wodurch ein ſtarker
Andrang des Bluts nach dem Kopfe, und hierdurch Anfaͤlle
von Schwindel und Ohnmacht veranlaßt wurden. Aus dem
Zuſammentreffen dieſer Bedingungen laͤßt es ſich erklaͤren, daß
im Jahre 1844 bei ihr ein Gemuͤthsleiden zum Ausbruch kam,
zu welchem keine anderweitigen Urſachen beigetragen zu haben
ſcheinen. Wenigſtens laͤßt ſich ein Hang zur religioͤſen Schwaͤr¬
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