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Ideler, Karl Wilhelm: Der religiöse Wahnsinn, erläutert durch Krankengeschichten. Ein Beitrag zur Geschichte der religiösen Wirren der Gegenwart. Halle (Saale), 1847.

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14. Jahre erfolgten Einsegnung eine Stadtschule, in welcher
er außer den Elementarkenntnissen auch noch in der deutschen
Sprache, welche er geläufig spricht, und in der Geschichte und
Geographie Unterricht erhielt, dem er ohne Mühe folgen konnte.
Der Vater hielt die Kinder zum fleißigen Besuch der Kirche
an, nahm mit ihnen gewöhnlich noch an jedem Sonntag Abend
Theil an dem Gottesdienste der dortigen Herrenhuter Ge¬
meinde, und bemühte sich, ihnen besonders dadurch die reli¬
giösen Begriffe tief einzuprägen, daß er sie jedesmal über den
Inhalt der gehörten Predigt befragte. Die in diesem Kreise
herrschende Glaubensrichtung scheint eine streng orthodoxe ge¬
wesen zu sein, da in den Predigten und in den herrenhuti¬
schen Andachtsübungen sehr häufig auf den Teufel Bezug ge¬
nommen wurde, welcher wie ein brüllender Löwe die Menschen
umschleiche, daher Jeder gegen seine Verführung und gegen
den Zorn Gottes gewarnt werden müsse. Indeß war der da¬
durch in dem Gemüth des H. hervorgebrachte Eindruck nicht
groß, und trübte namentlich nicht seinen lebensfrohen Sinn.

Nach erfolgter Einsegnung trat er als Lehrling bei einem
Schneider ein, bei welchem er eine harte Behandlung erfuhr,
so daß er für leichte Vergehungen gezüchtigt wurde, und gern
seine Lage mit einer anderen vertauscht hätte, wenn ihm da¬
zu von seinem Vater die Bewilligung gegeben wäre. Es ist
nicht unwahrscheinlich, daß der Druck, welchen er eine Reihe
von Jahren hindurch erdulden mußte, wesentlich dazu beitrug,
seine sinnlichen Neigungen um so stärker hervorzurufen, als er
Geselle geworden war, und dadurch eine hinreichende Unab¬
hängigkeit erlangte. Denn er mißbrauchte seinem Geständniß
nach dieselbe zu Ausschweifungen im Branntweintrinken und
in der Wollust, war dem Tanzen in einem hohen Grade erge¬
geben, vergeudete meist seinen reichlichen Erwerb, so daß er
nicht selten in Geldverlegenheit gerieth, aus welcher er sich indeß
durch fleißige Arbeit leicht wieder befreien konnte. In ruhi¬
gen Stunden empfand er nicht selten eine lebhafte Reue über
sein leichtfertiges Leben, ohne sich jedoch dadurch zu einer Bes¬
serung bewegen zu lassen, daher er selbst durch wiederholte
syphilitische Ansteckungen, von deren Folgen er von geschickten
Aerzten bald wieder befreit wurde, nicht gewitzigt wurde. Er

14. Jahre erfolgten Einſegnung eine Stadtſchule, in welcher
er außer den Elementarkenntniſſen auch noch in der deutſchen
Sprache, welche er gelaͤufig ſpricht, und in der Geſchichte und
Geographie Unterricht erhielt, dem er ohne Muͤhe folgen konnte.
Der Vater hielt die Kinder zum fleißigen Beſuch der Kirche
an, nahm mit ihnen gewoͤhnlich noch an jedem Sonntag Abend
Theil an dem Gottesdienſte der dortigen Herrenhuter Ge¬
meinde, und bemuͤhte ſich, ihnen beſonders dadurch die reli¬
gioͤſen Begriffe tief einzupraͤgen, daß er ſie jedesmal uͤber den
Inhalt der gehoͤrten Predigt befragte. Die in dieſem Kreiſe
herrſchende Glaubensrichtung ſcheint eine ſtreng orthodoxe ge¬
weſen zu ſein, da in den Predigten und in den herrenhuti¬
ſchen Andachtsuͤbungen ſehr haͤufig auf den Teufel Bezug ge¬
nommen wurde, welcher wie ein bruͤllender Loͤwe die Menſchen
umſchleiche, daher Jeder gegen ſeine Verfuͤhrung und gegen
den Zorn Gottes gewarnt werden muͤſſe. Indeß war der da¬
durch in dem Gemuͤth des H. hervorgebrachte Eindruck nicht
groß, und truͤbte namentlich nicht ſeinen lebensfrohen Sinn.

Nach erfolgter Einſegnung trat er als Lehrling bei einem
Schneider ein, bei welchem er eine harte Behandlung erfuhr,
ſo daß er fuͤr leichte Vergehungen gezuͤchtigt wurde, und gern
ſeine Lage mit einer anderen vertauſcht haͤtte, wenn ihm da¬
zu von ſeinem Vater die Bewilligung gegeben waͤre. Es iſt
nicht unwahrſcheinlich, daß der Druck, welchen er eine Reihe
von Jahren hindurch erdulden mußte, weſentlich dazu beitrug,
ſeine ſinnlichen Neigungen um ſo ſtaͤrker hervorzurufen, als er
Geſelle geworden war, und dadurch eine hinreichende Unab¬
haͤngigkeit erlangte. Denn er mißbrauchte ſeinem Geſtaͤndniß
nach dieſelbe zu Ausſchweifungen im Branntweintrinken und
in der Wolluſt, war dem Tanzen in einem hohen Grade erge¬
geben, vergeudete meiſt ſeinen reichlichen Erwerb, ſo daß er
nicht ſelten in Geldverlegenheit gerieth, aus welcher er ſich indeß
durch fleißige Arbeit leicht wieder befreien konnte. In ruhi¬
gen Stunden empfand er nicht ſelten eine lebhafte Reue uͤber
ſein leichtfertiges Leben, ohne ſich jedoch dadurch zu einer Beſ¬
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[148/0156] 14. Jahre erfolgten Einſegnung eine Stadtſchule, in welcher er außer den Elementarkenntniſſen auch noch in der deutſchen Sprache, welche er gelaͤufig ſpricht, und in der Geſchichte und Geographie Unterricht erhielt, dem er ohne Muͤhe folgen konnte. Der Vater hielt die Kinder zum fleißigen Beſuch der Kirche an, nahm mit ihnen gewoͤhnlich noch an jedem Sonntag Abend Theil an dem Gottesdienſte der dortigen Herrenhuter Ge¬ meinde, und bemuͤhte ſich, ihnen beſonders dadurch die reli¬ gioͤſen Begriffe tief einzupraͤgen, daß er ſie jedesmal uͤber den Inhalt der gehoͤrten Predigt befragte. Die in dieſem Kreiſe herrſchende Glaubensrichtung ſcheint eine ſtreng orthodoxe ge¬ weſen zu ſein, da in den Predigten und in den herrenhuti¬ ſchen Andachtsuͤbungen ſehr haͤufig auf den Teufel Bezug ge¬ nommen wurde, welcher wie ein bruͤllender Loͤwe die Menſchen umſchleiche, daher Jeder gegen ſeine Verfuͤhrung und gegen den Zorn Gottes gewarnt werden muͤſſe. Indeß war der da¬ durch in dem Gemuͤth des H. hervorgebrachte Eindruck nicht groß, und truͤbte namentlich nicht ſeinen lebensfrohen Sinn. Nach erfolgter Einſegnung trat er als Lehrling bei einem Schneider ein, bei welchem er eine harte Behandlung erfuhr, ſo daß er fuͤr leichte Vergehungen gezuͤchtigt wurde, und gern ſeine Lage mit einer anderen vertauſcht haͤtte, wenn ihm da¬ zu von ſeinem Vater die Bewilligung gegeben waͤre. Es iſt nicht unwahrſcheinlich, daß der Druck, welchen er eine Reihe von Jahren hindurch erdulden mußte, weſentlich dazu beitrug, ſeine ſinnlichen Neigungen um ſo ſtaͤrker hervorzurufen, als er Geſelle geworden war, und dadurch eine hinreichende Unab¬ haͤngigkeit erlangte. Denn er mißbrauchte ſeinem Geſtaͤndniß nach dieſelbe zu Ausſchweifungen im Branntweintrinken und in der Wolluſt, war dem Tanzen in einem hohen Grade erge¬ geben, vergeudete meiſt ſeinen reichlichen Erwerb, ſo daß er nicht ſelten in Geldverlegenheit gerieth, aus welcher er ſich indeß durch fleißige Arbeit leicht wieder befreien konnte. In ruhi¬ gen Stunden empfand er nicht ſelten eine lebhafte Reue uͤber ſein leichtfertiges Leben, ohne ſich jedoch dadurch zu einer Beſ¬ ſerung bewegen zu laſſen, daher er ſelbſt durch wiederholte ſyphilitiſche Anſteckungen, von deren Folgen er von geſchickten Aerzten bald wieder befreit wurde, nicht gewitzigt wurde. Er

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Zitationshilfe: Ideler, Karl Wilhelm: Der religiöse Wahnsinn, erläutert durch Krankengeschichten. Ein Beitrag zur Geschichte der religiösen Wirren der Gegenwart. Halle (Saale), 1847, S. 148. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ideler_wahnsinn_1847/156>, abgerufen am 27.11.2024.