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Ideler, Karl Wilhelm: Der religiöse Wahnsinn, erläutert durch Krankengeschichten. Ein Beitrag zur Geschichte der religiösen Wirren der Gegenwart. Halle (Saale), 1847.

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scheint selbst am Nervenfieber gelitten zu haben, kann jedoch
darüber keine bestimmte Auskunft geben, da seine Geistes¬
kräfte und namentlich sein Gedächtniß in Folge der häufigen
Ausschweifungen geschwächt sind. Deshalb ist er auch unver¬
kennbar in seiner körperlichen Entwickelung zurückgeblieben. Da
eine solche Lebensführung sich nicht zu einer ausführlichen Schil¬
derung eignet, so bemerke ich nur noch, daß er eine Reihe von
Jahren hindurch eine Wanderschaft durch mehrere Städte Dä¬
nemarks, Norwegens und Schwedens antrat, und zuletzt nach
Kopenhagen zurückkehrte, ohne jemals einen festen Plan
für die Zukunft zu fassen, da selbst mehrere Liebesverhältnisse
ihn nicht bestimmen konnten, sich als Meister niederzulassen,
und einen Hausstand zu begründen.

Als Wirkung jener wüsten Lebensweise, welche er na¬
mentlich auch noch nach seiner Rückkehr nach Kopenhagen fort¬
setzte, zum Theil wohl auch in Folge des Kummers über den
durch Sorglosigkeit seiner Mutter bewirkten Verfall des Wohl¬
standes seiner Aeltern, erlitt er schon vor drei Jahren einen
Anfall von Geistesstörung, welche unverkennbar den Charakter
des Säuferwahnsinns an sich trug. Nicht nur hatte er zuvor
sehr viel Branntwein getrunken, sondern sein Irrereden
zeigte auch ganz das Gepräge des Delirium potatorum,
welches sich durch Visionen von allerlei Thieren auszuzeichnen
pflegt. Es dürfte schwer zu erklären sein, warum gedachtes
Delirium so häufig unter dieser Form auftritt, daß ich in den
mehreren Hundert Fällen von Säuferwahnsinn, welche ich zu
beobachten Gelegenheit hatte, immer meine Fragen darauf hin¬
lenkte, und fast immer eine bejahende Antwort erhielt, wenn
auch häufig sich andere Wahnvorstellungen einmischten. Wirk¬
lich wurde H. damals von vielerlei Thiergestalten sehr geneckt
und geängstigt, Ratten liefen um ihn her, Schlangen krochen
über sein Bette, so daß er oft in ein lautes Schreien aus¬
brach. In einer Nacht nahm er auch einen Leichenzug wahr,
und glaubte, sein Vater sei gestorben. Zugleich litt er an
großer Bangigkeit, glaubte nicht essen zu dürfen, und sträubte
sich so sehr gegen den Genuß der Speisen, daß ihm dieselben
wider seinen Willen eingeflößt werden mußten. In die Ir¬
renanstalt zu Roeskilde versetzt, erlangte er nach einiger Zeit

ſcheint ſelbſt am Nervenfieber gelitten zu haben, kann jedoch
daruͤber keine beſtimmte Auskunft geben, da ſeine Geiſtes¬
kraͤfte und namentlich ſein Gedaͤchtniß in Folge der haͤufigen
Ausſchweifungen geſchwaͤcht ſind. Deshalb iſt er auch unver¬
kennbar in ſeiner koͤrperlichen Entwickelung zuruͤckgeblieben. Da
eine ſolche Lebensfuͤhrung ſich nicht zu einer ausfuͤhrlichen Schil¬
derung eignet, ſo bemerke ich nur noch, daß er eine Reihe von
Jahren hindurch eine Wanderſchaft durch mehrere Staͤdte Daͤ¬
nemarks, Norwegens und Schwedens antrat, und zuletzt nach
Kopenhagen zuruͤckkehrte, ohne jemals einen feſten Plan
fuͤr die Zukunft zu faſſen, da ſelbſt mehrere Liebesverhaͤltniſſe
ihn nicht beſtimmen konnten, ſich als Meiſter niederzulaſſen,
und einen Hausſtand zu begruͤnden.

Als Wirkung jener wuͤſten Lebensweiſe, welche er na¬
mentlich auch noch nach ſeiner Ruͤckkehr nach Kopenhagen fort¬
ſetzte, zum Theil wohl auch in Folge des Kummers uͤber den
durch Sorgloſigkeit ſeiner Mutter bewirkten Verfall des Wohl¬
ſtandes ſeiner Aeltern, erlitt er ſchon vor drei Jahren einen
Anfall von Geiſtesſtoͤrung, welche unverkennbar den Charakter
des Saͤuferwahnſinns an ſich trug. Nicht nur hatte er zuvor
ſehr viel Branntwein getrunken, ſondern ſein Irrereden
zeigte auch ganz das Gepraͤge des Delirium potatorum,
welches ſich durch Viſionen von allerlei Thieren auszuzeichnen
pflegt. Es duͤrfte ſchwer zu erklaͤren ſein, warum gedachtes
Delirium ſo haͤufig unter dieſer Form auftritt, daß ich in den
mehreren Hundert Faͤllen von Saͤuferwahnſinn, welche ich zu
beobachten Gelegenheit hatte, immer meine Fragen darauf hin¬
lenkte, und faſt immer eine bejahende Antwort erhielt, wenn
auch haͤufig ſich andere Wahnvorſtellungen einmiſchten. Wirk¬
lich wurde H. damals von vielerlei Thiergeſtalten ſehr geneckt
und geaͤngſtigt, Ratten liefen um ihn her, Schlangen krochen
uͤber ſein Bette, ſo daß er oft in ein lautes Schreien aus¬
brach. In einer Nacht nahm er auch einen Leichenzug wahr,
und glaubte, ſein Vater ſei geſtorben. Zugleich litt er an
großer Bangigkeit, glaubte nicht eſſen zu duͤrfen, und ſtraͤubte
ſich ſo ſehr gegen den Genuß der Speiſen, daß ihm dieſelben
wider ſeinen Willen eingefloͤßt werden mußten. In die Ir¬
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[149/0157] ſcheint ſelbſt am Nervenfieber gelitten zu haben, kann jedoch daruͤber keine beſtimmte Auskunft geben, da ſeine Geiſtes¬ kraͤfte und namentlich ſein Gedaͤchtniß in Folge der haͤufigen Ausſchweifungen geſchwaͤcht ſind. Deshalb iſt er auch unver¬ kennbar in ſeiner koͤrperlichen Entwickelung zuruͤckgeblieben. Da eine ſolche Lebensfuͤhrung ſich nicht zu einer ausfuͤhrlichen Schil¬ derung eignet, ſo bemerke ich nur noch, daß er eine Reihe von Jahren hindurch eine Wanderſchaft durch mehrere Staͤdte Daͤ¬ nemarks, Norwegens und Schwedens antrat, und zuletzt nach Kopenhagen zuruͤckkehrte, ohne jemals einen feſten Plan fuͤr die Zukunft zu faſſen, da ſelbſt mehrere Liebesverhaͤltniſſe ihn nicht beſtimmen konnten, ſich als Meiſter niederzulaſſen, und einen Hausſtand zu begruͤnden. Als Wirkung jener wuͤſten Lebensweiſe, welche er na¬ mentlich auch noch nach ſeiner Ruͤckkehr nach Kopenhagen fort¬ ſetzte, zum Theil wohl auch in Folge des Kummers uͤber den durch Sorgloſigkeit ſeiner Mutter bewirkten Verfall des Wohl¬ ſtandes ſeiner Aeltern, erlitt er ſchon vor drei Jahren einen Anfall von Geiſtesſtoͤrung, welche unverkennbar den Charakter des Saͤuferwahnſinns an ſich trug. Nicht nur hatte er zuvor ſehr viel Branntwein getrunken, ſondern ſein Irrereden zeigte auch ganz das Gepraͤge des Delirium potatorum, welches ſich durch Viſionen von allerlei Thieren auszuzeichnen pflegt. Es duͤrfte ſchwer zu erklaͤren ſein, warum gedachtes Delirium ſo haͤufig unter dieſer Form auftritt, daß ich in den mehreren Hundert Faͤllen von Saͤuferwahnſinn, welche ich zu beobachten Gelegenheit hatte, immer meine Fragen darauf hin¬ lenkte, und faſt immer eine bejahende Antwort erhielt, wenn auch haͤufig ſich andere Wahnvorſtellungen einmiſchten. Wirk¬ lich wurde H. damals von vielerlei Thiergeſtalten ſehr geneckt und geaͤngſtigt, Ratten liefen um ihn her, Schlangen krochen uͤber ſein Bette, ſo daß er oft in ein lautes Schreien aus¬ brach. In einer Nacht nahm er auch einen Leichenzug wahr, und glaubte, ſein Vater ſei geſtorben. Zugleich litt er an großer Bangigkeit, glaubte nicht eſſen zu duͤrfen, und ſtraͤubte ſich ſo ſehr gegen den Genuß der Speiſen, daß ihm dieſelben wider ſeinen Willen eingefloͤßt werden mußten. In die Ir¬ renanſtalt zu Roeskilde verſetzt, erlangte er nach einiger Zeit

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Zitationshilfe: Ideler, Karl Wilhelm: Der religiöse Wahnsinn, erläutert durch Krankengeschichten. Ein Beitrag zur Geschichte der religiösen Wirren der Gegenwart. Halle (Saale), 1847, S. 149. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ideler_wahnsinn_1847/157>, abgerufen am 27.11.2024.