Ideler, Karl Wilhelm: Der religiöse Wahnsinn, erläutert durch Krankengeschichten. Ein Beitrag zur Geschichte der religiösen Wirren der Gegenwart. Halle (Saale), 1847.seine Besinnung wieder, zog sich aber wiederholte Rückfälle Hierauf trat er wiederum seine Wanderschaft an, welche ſeine Beſinnung wieder, zog ſich aber wiederholte Ruͤckfaͤlle Hierauf trat er wiederum ſeine Wanderſchaft an, welche <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0158" n="150"/> ſeine Beſinnung wieder, zog ſich aber wiederholte Ruͤckfaͤlle<lb/> ſeines Deliriums dadurch zu, daß er die ihm ertheilte Erlaub¬<lb/> niß zum Beſuch der Stadt zu neuen Exceſſen im Brannt¬<lb/> weintrinken mißbrauchte. Endlich gewann er ſeine Beſinnung<lb/> dauernd wieder, ſo daß er nach Jahresfriſt aus der Anſtalt<lb/> entlaſſen werden konnte.</p><lb/> <p>Hierauf trat er wiederum ſeine Wanderſchaft an, welche<lb/> ihn auch nach Hamburg fuͤhrte. Ungeachtet er von den Aerz¬<lb/> ten wiederholt gegen den Genuß des Branntweins gewarnt<lb/> worden war, deſſen Nachtheile er hinreichend kennen gelernt<lb/> hatte, ſo wurde er doch durch dieſe bittere Erfahrung keines¬<lb/> weges gewitzigt, ſondern fing ſeine alte Lebensweiſe wieder<lb/> an. Von Hamburg aus, wo er laͤngere Zeit verweilte, ſetzte<lb/> er ſeine Wanderung uͤber Mecklenburg und Hannover nach<lb/> Berlin im Spaͤtherbſte 1845 fort, und hatte auf dieſem lan¬<lb/> gen Wege mit vielem Ungemach zu kaͤmpfen, da er Tage lang<lb/> im Regen und auf uͤberſchwemmten Pfaden wandern, und<lb/> gaͤnzlich durchnaͤßt, halb erſtarrt ſeine Naͤchte auf kaltem Stroh¬<lb/> lager zubringen mußte. Seine Kleider waren zerriſſen, ſein<lb/> Geld meiſt verthan, als er in Berlin anlangte, wo er fern<lb/> von der Heimath mit großer Sorge fuͤr ſeinen Lebensunter¬<lb/> halt kaͤmpfen mußte, und in der ihm unertraͤglichen Furcht<lb/> ſchwebte, als Vagabond aus dem Lande verwieſen zu werden.<lb/> Zwar gelang es ihm, einen Dienſt als Geſelle zu finden, aber<lb/> die Erſchoͤpfung durch die Anſtrengungen der Reiſe, die Nach¬<lb/> wirkung durch das uͤble Wetter auf ſeine ausgemergelten Ner¬<lb/> ven, und die Aufregung durch peinliche Gefuͤhle wirkten zu¬<lb/> ſammen, ihn in eine an Verzweiflung grenzende Stimmung<lb/> zu verſetzen, welche durch wiederholten Branntweingenuß in<lb/> voͤllige Geiſtesſtoͤrung verwandelt wurde. Schon hatte er meh¬<lb/> rere Naͤchte faſt ſchlaflos in großer Unruhe zugebracht, und am<lb/> Tage eine große Wuͤſtheit im Kopfe empfunden, als er an<lb/> einem Morgen nach dem Fruͤhſtuͤck in einem Branntweinskeller<lb/> auf die Straße zuruͤckkehrend ploͤtzlich eine Stimme vernahm,<lb/> welche ihm zurief: „Dich ſoll der Teufel holen!” Voll Ent¬<lb/> ſetzen ergriff er die Flucht, ſo daß er betaͤubt den Tag uͤber<lb/> in den Straßen der ihm unbekannten großen Stadt umher¬<lb/> lief, und ſein Schreck erreichte den hoͤchſten Grad, als eine<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [150/0158]
ſeine Beſinnung wieder, zog ſich aber wiederholte Ruͤckfaͤlle
ſeines Deliriums dadurch zu, daß er die ihm ertheilte Erlaub¬
niß zum Beſuch der Stadt zu neuen Exceſſen im Brannt¬
weintrinken mißbrauchte. Endlich gewann er ſeine Beſinnung
dauernd wieder, ſo daß er nach Jahresfriſt aus der Anſtalt
entlaſſen werden konnte.
Hierauf trat er wiederum ſeine Wanderſchaft an, welche
ihn auch nach Hamburg fuͤhrte. Ungeachtet er von den Aerz¬
ten wiederholt gegen den Genuß des Branntweins gewarnt
worden war, deſſen Nachtheile er hinreichend kennen gelernt
hatte, ſo wurde er doch durch dieſe bittere Erfahrung keines¬
weges gewitzigt, ſondern fing ſeine alte Lebensweiſe wieder
an. Von Hamburg aus, wo er laͤngere Zeit verweilte, ſetzte
er ſeine Wanderung uͤber Mecklenburg und Hannover nach
Berlin im Spaͤtherbſte 1845 fort, und hatte auf dieſem lan¬
gen Wege mit vielem Ungemach zu kaͤmpfen, da er Tage lang
im Regen und auf uͤberſchwemmten Pfaden wandern, und
gaͤnzlich durchnaͤßt, halb erſtarrt ſeine Naͤchte auf kaltem Stroh¬
lager zubringen mußte. Seine Kleider waren zerriſſen, ſein
Geld meiſt verthan, als er in Berlin anlangte, wo er fern
von der Heimath mit großer Sorge fuͤr ſeinen Lebensunter¬
halt kaͤmpfen mußte, und in der ihm unertraͤglichen Furcht
ſchwebte, als Vagabond aus dem Lande verwieſen zu werden.
Zwar gelang es ihm, einen Dienſt als Geſelle zu finden, aber
die Erſchoͤpfung durch die Anſtrengungen der Reiſe, die Nach¬
wirkung durch das uͤble Wetter auf ſeine ausgemergelten Ner¬
ven, und die Aufregung durch peinliche Gefuͤhle wirkten zu¬
ſammen, ihn in eine an Verzweiflung grenzende Stimmung
zu verſetzen, welche durch wiederholten Branntweingenuß in
voͤllige Geiſtesſtoͤrung verwandelt wurde. Schon hatte er meh¬
rere Naͤchte faſt ſchlaflos in großer Unruhe zugebracht, und am
Tage eine große Wuͤſtheit im Kopfe empfunden, als er an
einem Morgen nach dem Fruͤhſtuͤck in einem Branntweinskeller
auf die Straße zuruͤckkehrend ploͤtzlich eine Stimme vernahm,
welche ihm zurief: „Dich ſoll der Teufel holen!” Voll Ent¬
ſetzen ergriff er die Flucht, ſo daß er betaͤubt den Tag uͤber
in den Straßen der ihm unbekannten großen Stadt umher¬
lief, und ſein Schreck erreichte den hoͤchſten Grad, als eine
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