lesungen, wobei er sich dachte, daß sein Erscheinen auf die ganze Universität einen reinigenden und erhebenden Einfluß ausübe, daß aber auch er hinwiederum auf eine mystisch ver¬ borgene Weise eigenthümliche Geistes- und Leibeskräfte dabei gewinne. Er sah alle Menschen in einem wechselseitigen Pro¬ ceß mit ihm und unter sich begriffen, woraus eine neue wun¬ derherrliche Schöpfung, Sonne, Mond und Sterne mit ein¬ begriffen, hervorgehen werde. Er träumte sich in den Besitz einer so großen Macht hinein, daß er nur Worte in wüthen¬ der oder befehlender Form auszusprechen brauche, um auf das Ganze der Welt zu wirken. Besonders fühlte er sich durch das königliche Schloß angezogen, auf dessen Höfen er Se¬ genswünsche in lateinischer, deutscher und französischer Sprache über das königliche Haus aussprach, indem er die Diener des¬ selben zum Eifer und treuen Gehorsam, zur weisen und kräf¬ tigen Beförderung der Wohlfahrt des Vaterlandes ermahnte. Jeder Stand, jedes Gewerbe, jede Kunst und Wissenschaft suchte er durch exorcisirende Formeln zu reinigen, welche er auch unter Gebeten und Bekreuzigungen und über die Badewanne aussprach, deren sein kranker Bruder sich bediente, dem er durch seine persönliche Nähe vollständige Heilung zu bringen glaubte. Dabei gerieth er aber mit demselben oft in heftigen Streit, indem er dessen Denk- und Handlungsweise berichti¬ gen wollte. Einer dieser Controverspunkte betraf die Lehre vom Teufel, welche er früher im orthodoxen Sinne aufgefaßt hatte. Beim Ausbruch seiner Krankheit ging ihm aber die ewige Unseeligkeit des Teufels und seines Anhanges zu Her¬ zen, er konnte die ewige Höllenpein nicht mit der allbarmher¬ zigen und allmächtigen Liebe in Einklang bringen, und glaubte daher, daß dieselbe nur eine gewisse Zeit dauern werde. Hiermit brachte er in Berlin die Vorstellung in Verbindung, daß die Existenz des Teufels bei der Entstehung und Fortbil¬ dung des Christenthums von großer Bedeutung gewesen sei. Die Versuchung durch den Satan habe erst den Erlöser zur vollkräftigen Erkenntniß seines Berufs, zur entschiedenen Fe¬ stigkeit seines Willens geführt. Das dem Christenthume ent¬ gegengetretene Heiden- und Judenthum habe erst durch seine kräftige Opposition den Geist der Apostel und aller Glaubens¬
leſungen, wobei er ſich dachte, daß ſein Erſcheinen auf die ganze Univerſitaͤt einen reinigenden und erhebenden Einfluß ausuͤbe, daß aber auch er hinwiederum auf eine myſtiſch ver¬ borgene Weiſe eigenthuͤmliche Geiſtes- und Leibeskraͤfte dabei gewinne. Er ſah alle Menſchen in einem wechſelſeitigen Pro¬ ceß mit ihm und unter ſich begriffen, woraus eine neue wun¬ derherrliche Schoͤpfung, Sonne, Mond und Sterne mit ein¬ begriffen, hervorgehen werde. Er traͤumte ſich in den Beſitz einer ſo großen Macht hinein, daß er nur Worte in wuͤthen¬ der oder befehlender Form auszuſprechen brauche, um auf das Ganze der Welt zu wirken. Beſonders fuͤhlte er ſich durch das koͤnigliche Schloß angezogen, auf deſſen Hoͤfen er Se¬ genswuͤnſche in lateiniſcher, deutſcher und franzoͤſiſcher Sprache uͤber das koͤnigliche Haus ausſprach, indem er die Diener deſ¬ ſelben zum Eifer und treuen Gehorſam, zur weiſen und kraͤf¬ tigen Befoͤrderung der Wohlfahrt des Vaterlandes ermahnte. Jeder Stand, jedes Gewerbe, jede Kunſt und Wiſſenſchaft ſuchte er durch exorciſirende Formeln zu reinigen, welche er auch unter Gebeten und Bekreuzigungen und uͤber die Badewanne ausſprach, deren ſein kranker Bruder ſich bediente, dem er durch ſeine perſoͤnliche Naͤhe vollſtaͤndige Heilung zu bringen glaubte. Dabei gerieth er aber mit demſelben oft in heftigen Streit, indem er deſſen Denk- und Handlungsweiſe berichti¬ gen wollte. Einer dieſer Controverspunkte betraf die Lehre vom Teufel, welche er fruͤher im orthodoxen Sinne aufgefaßt hatte. Beim Ausbruch ſeiner Krankheit ging ihm aber die ewige Unſeeligkeit des Teufels und ſeines Anhanges zu Her¬ zen, er konnte die ewige Hoͤllenpein nicht mit der allbarmher¬ zigen und allmaͤchtigen Liebe in Einklang bringen, und glaubte daher, daß dieſelbe nur eine gewiſſe Zeit dauern werde. Hiermit brachte er in Berlin die Vorſtellung in Verbindung, daß die Exiſtenz des Teufels bei der Entſtehung und Fortbil¬ dung des Chriſtenthums von großer Bedeutung geweſen ſei. Die Verſuchung durch den Satan habe erſt den Erloͤſer zur vollkraͤftigen Erkenntniß ſeines Berufs, zur entſchiedenen Fe¬ ſtigkeit ſeines Willens gefuͤhrt. Das dem Chriſtenthume ent¬ gegengetretene Heiden- und Judenthum habe erſt durch ſeine kraͤftige Oppoſition den Geiſt der Apoſtel und aller Glaubens¬
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leſungen, wobei er ſich dachte, daß ſein Erſcheinen auf die
ganze Univerſitaͤt einen reinigenden und erhebenden Einfluß
ausuͤbe, daß aber auch er hinwiederum auf eine myſtiſch ver¬
borgene Weiſe eigenthuͤmliche Geiſtes- und Leibeskraͤfte dabei
gewinne. Er ſah alle Menſchen in einem wechſelſeitigen Pro¬
ceß mit ihm und unter ſich begriffen, woraus eine neue wun¬
derherrliche Schoͤpfung, Sonne, Mond und Sterne mit ein¬
begriffen, hervorgehen werde. Er traͤumte ſich in den Beſitz
einer ſo großen Macht hinein, daß er nur Worte in wuͤthen¬
der oder befehlender Form auszuſprechen brauche, um auf das
Ganze der Welt zu wirken. Beſonders fuͤhlte er ſich durch
das koͤnigliche Schloß angezogen, auf deſſen Hoͤfen er Se¬
genswuͤnſche in lateiniſcher, deutſcher und franzoͤſiſcher Sprache
uͤber das koͤnigliche Haus ausſprach, indem er die Diener deſ¬
ſelben zum Eifer und treuen Gehorſam, zur weiſen und kraͤf¬
tigen Befoͤrderung der Wohlfahrt des Vaterlandes ermahnte.
Jeder Stand, jedes Gewerbe, jede Kunſt und Wiſſenſchaft
ſuchte er durch exorciſirende Formeln zu reinigen, welche er auch
unter Gebeten und Bekreuzigungen und uͤber die Badewanne
ausſprach, deren ſein kranker Bruder ſich bediente, dem er
durch ſeine perſoͤnliche Naͤhe vollſtaͤndige Heilung zu bringen
glaubte. Dabei gerieth er aber mit demſelben oft in heftigen
Streit, indem er deſſen Denk- und Handlungsweiſe berichti¬
gen wollte. Einer dieſer Controverspunkte betraf die Lehre
vom Teufel, welche er fruͤher im orthodoxen Sinne aufgefaßt
hatte. Beim Ausbruch ſeiner Krankheit ging ihm aber die
ewige Unſeeligkeit des Teufels und ſeines Anhanges zu Her¬
zen, er konnte die ewige Hoͤllenpein nicht mit der allbarmher¬
zigen und allmaͤchtigen Liebe in Einklang bringen, und glaubte
daher, daß dieſelbe nur eine gewiſſe Zeit dauern werde.
Hiermit brachte er in Berlin die Vorſtellung in Verbindung,
daß die Exiſtenz des Teufels bei der Entſtehung und Fortbil¬
dung des Chriſtenthums von großer Bedeutung geweſen ſei.
Die Verſuchung durch den Satan habe erſt den Erloͤſer zur
vollkraͤftigen Erkenntniß ſeines Berufs, zur entſchiedenen Fe¬
ſtigkeit ſeines Willens gefuͤhrt. Das dem Chriſtenthume ent¬
gegengetretene Heiden- und Judenthum habe erſt durch ſeine
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Ideler, Karl Wilhelm: Der religiöse Wahnsinn, erläutert durch Krankengeschichten. Ein Beitrag zur Geschichte der religiösen Wirren der Gegenwart. Halle (Saale), 1847, S. 206. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ideler_wahnsinn_1847/214>, abgerufen am 16.02.2025.
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