Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ideler, Karl Wilhelm: Der religiöse Wahnsinn, erläutert durch Krankengeschichten. Ein Beitrag zur Geschichte der religiösen Wirren der Gegenwart. Halle (Saale), 1847.

Bild:
<< vorherige Seite

ursprünglich magnetische oder der Inbegriff des positiv und
negativ elektrischen zugleich."

Wie abgeschmackt nun auch alles dies sein mag, so ge¬
währt es doch ein eigenes Interesse, wahrzunehmen, wie ein
über Weltverbesserungsplanen brütender Schwärmer sich mit
hohlen und mißverstandenen metaphysischen Formeln abquält,
um sich vor seinem eigenen Bewußtsein mit einem Klingklang
von Wörtern als ein scharfsinniger Dialektiker auszuweisen,
der die Rechtfertigung seiner hochfliegenden Entwürfe wissen¬
schaftlich zu führen vermag, und um so festeres Vertrauen in
seine Einsicht setzen darf, je mehr er mit derselben das Uni¬
versum zu umfassen glaubt. Der eigentliche Zweck dieser
Schrift spricht sich noch am deutlichsten aus in der Dedication
derselben an Seine kaiserliche Majestät den Großsultan und
wirklichen Nachkommen des Propheten der Osmanen, Mah¬
mud II. Warum er gerade auf diesen sein Augenmerk ge¬
richtet hat, erhellt theils aus der Zuschrift selbst, welche cha¬
rakteristisch genug ist, um hier einen Platz zu finden, theils
wird sich dies noch mehr in der Folge ergeben. Der Verf.
sagt hierin: "Es ist eine glänzende Weisheit, im Glücke nicht
vermessen, und eine glorreiche Macht, im Unglücke nicht verzagt zu
sein. Solche hohe Eigenschaften der Seele erzeugen die unüber¬
windliche Größe, um alle Fürsten und Völker, welche durch Vor¬
urtheile und Aberglauben die Feinde der hohen Pforte sind, be¬
siegen zu können. Es ist eine glorwürdige Gerechtigkeit, welche
im guten Glauben für Wahrheit und Recht streitet, und nach
der Stimme der Vernunft, ohne Ansehen der Person, des
Glaubens und Geschlechts, lohnt und straft und endlich alle
Leidenschaften zum Schweigen bringt. Es ist ein Gefühl im
Menschenfreunde, das sich stolz über alle kleinliche Begierden
erhebt, wenn man verkannt und verfolgt wird. Dasselbe treibt
uns um so mehr zur Langmuth und Großmuth gegen unsere
Feinde an; es offenbart die Größe aller seltenen Menschen.
Aber es ist auch ein Gefühl im Menschenfreunde, welches ihn
Freude und Genugthuung empfinden läßt, sobald unsere Ge¬
danken und Empfindungen von Anderen errathen, mit erkannt
und mitempfunden werden, und hierüber kann sich kein Wei¬
ser und König hinwegsetzen, da es ein Widerspruch in der

urſpruͤnglich magnetiſche oder der Inbegriff des poſitiv und
negativ elektriſchen zugleich.”

Wie abgeſchmackt nun auch alles dies ſein mag, ſo ge¬
waͤhrt es doch ein eigenes Intereſſe, wahrzunehmen, wie ein
uͤber Weltverbeſſerungsplanen bruͤtender Schwaͤrmer ſich mit
hohlen und mißverſtandenen metaphyſiſchen Formeln abquaͤlt,
um ſich vor ſeinem eigenen Bewußtſein mit einem Klingklang
von Woͤrtern als ein ſcharfſinniger Dialektiker auszuweiſen,
der die Rechtfertigung ſeiner hochfliegenden Entwuͤrfe wiſſen¬
ſchaftlich zu fuͤhren vermag, und um ſo feſteres Vertrauen in
ſeine Einſicht ſetzen darf, je mehr er mit derſelben das Uni¬
verſum zu umfaſſen glaubt. Der eigentliche Zweck dieſer
Schrift ſpricht ſich noch am deutlichſten aus in der Dedication
derſelben an Seine kaiſerliche Majeſtaͤt den Großſultan und
wirklichen Nachkommen des Propheten der Osmanen, Mah¬
mud II. Warum er gerade auf dieſen ſein Augenmerk ge¬
richtet hat, erhellt theils aus der Zuſchrift ſelbſt, welche cha¬
rakteriſtiſch genug iſt, um hier einen Platz zu finden, theils
wird ſich dies noch mehr in der Folge ergeben. Der Verf.
ſagt hierin: „Es iſt eine glaͤnzende Weisheit, im Gluͤcke nicht
vermeſſen, und eine glorreiche Macht, im Ungluͤcke nicht verzagt zu
ſein. Solche hohe Eigenſchaften der Seele erzeugen die unuͤber¬
windliche Groͤße, um alle Fuͤrſten und Voͤlker, welche durch Vor¬
urtheile und Aberglauben die Feinde der hohen Pforte ſind, be¬
ſiegen zu koͤnnen. Es iſt eine glorwuͤrdige Gerechtigkeit, welche
im guten Glauben fuͤr Wahrheit und Recht ſtreitet, und nach
der Stimme der Vernunft, ohne Anſehen der Perſon, des
Glaubens und Geſchlechts, lohnt und ſtraft und endlich alle
Leidenſchaften zum Schweigen bringt. Es iſt ein Gefuͤhl im
Menſchenfreunde, das ſich ſtolz uͤber alle kleinliche Begierden
erhebt, wenn man verkannt und verfolgt wird. Daſſelbe treibt
uns um ſo mehr zur Langmuth und Großmuth gegen unſere
Feinde an; es offenbart die Groͤße aller ſeltenen Menſchen.
Aber es iſt auch ein Gefuͤhl im Menſchenfreunde, welches ihn
Freude und Genugthuung empfinden laͤßt, ſobald unſere Ge¬
danken und Empfindungen von Anderen errathen, mit erkannt
und mitempfunden werden, und hieruͤber kann ſich kein Wei¬
ſer und Koͤnig hinwegſetzen, da es ein Widerſpruch in der

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0222" n="214"/>
ur&#x017F;pru&#x0364;nglich magneti&#x017F;che oder der Inbegriff des po&#x017F;itiv und<lb/>
negativ elektri&#x017F;chen zugleich.&#x201D;</p><lb/>
        <p>Wie abge&#x017F;chmackt nun auch alles dies &#x017F;ein mag, &#x017F;o ge¬<lb/>
wa&#x0364;hrt es doch ein eigenes Intere&#x017F;&#x017F;e, wahrzunehmen, wie ein<lb/>
u&#x0364;ber Weltverbe&#x017F;&#x017F;erungsplanen bru&#x0364;tender Schwa&#x0364;rmer &#x017F;ich mit<lb/>
hohlen und mißver&#x017F;tandenen metaphy&#x017F;i&#x017F;chen Formeln abqua&#x0364;lt,<lb/>
um &#x017F;ich vor &#x017F;einem eigenen Bewußt&#x017F;ein mit einem Klingklang<lb/>
von Wo&#x0364;rtern als ein &#x017F;charf&#x017F;inniger Dialektiker auszuwei&#x017F;en,<lb/>
der die Rechtfertigung &#x017F;einer hochfliegenden Entwu&#x0364;rfe wi&#x017F;&#x017F;en¬<lb/>
&#x017F;chaftlich zu fu&#x0364;hren vermag, und um &#x017F;o fe&#x017F;teres Vertrauen in<lb/>
&#x017F;eine Ein&#x017F;icht &#x017F;etzen darf, je mehr er mit der&#x017F;elben das Uni¬<lb/>
ver&#x017F;um zu umfa&#x017F;&#x017F;en glaubt. Der eigentliche Zweck die&#x017F;er<lb/>
Schrift &#x017F;pricht &#x017F;ich noch am deutlich&#x017F;ten aus in der Dedication<lb/>
der&#x017F;elben an Seine kai&#x017F;erliche Maje&#x017F;ta&#x0364;t den Groß&#x017F;ultan und<lb/>
wirklichen Nachkommen des Propheten der Osmanen, Mah¬<lb/>
mud <hi rendition="#aq">II</hi>. Warum er gerade auf die&#x017F;en &#x017F;ein Augenmerk ge¬<lb/>
richtet hat, erhellt theils aus der Zu&#x017F;chrift &#x017F;elb&#x017F;t, welche cha¬<lb/>
rakteri&#x017F;ti&#x017F;ch genug i&#x017F;t, um hier einen Platz zu finden, theils<lb/>
wird &#x017F;ich dies noch mehr in der Folge ergeben. Der Verf.<lb/>
&#x017F;agt hierin: &#x201E;Es i&#x017F;t eine gla&#x0364;nzende Weisheit, im Glu&#x0364;cke nicht<lb/>
verme&#x017F;&#x017F;en, und eine glorreiche Macht, im Unglu&#x0364;cke nicht verzagt zu<lb/>
&#x017F;ein. Solche hohe Eigen&#x017F;chaften der Seele erzeugen die unu&#x0364;ber¬<lb/>
windliche Gro&#x0364;ße, um alle Fu&#x0364;r&#x017F;ten und Vo&#x0364;lker, welche durch Vor¬<lb/>
urtheile und Aberglauben die Feinde der hohen Pforte &#x017F;ind, be¬<lb/>
&#x017F;iegen zu ko&#x0364;nnen. Es i&#x017F;t eine glorwu&#x0364;rdige Gerechtigkeit, welche<lb/>
im guten Glauben fu&#x0364;r Wahrheit und Recht &#x017F;treitet, und nach<lb/>
der Stimme der Vernunft, ohne An&#x017F;ehen der Per&#x017F;on, des<lb/>
Glaubens und Ge&#x017F;chlechts, lohnt und &#x017F;traft und endlich alle<lb/>
Leiden&#x017F;chaften zum Schweigen bringt. Es i&#x017F;t ein Gefu&#x0364;hl im<lb/>
Men&#x017F;chenfreunde, das &#x017F;ich &#x017F;tolz u&#x0364;ber alle kleinliche Begierden<lb/>
erhebt, wenn man verkannt und verfolgt wird. Da&#x017F;&#x017F;elbe treibt<lb/>
uns um &#x017F;o mehr zur Langmuth und Großmuth gegen un&#x017F;ere<lb/>
Feinde an; es offenbart die Gro&#x0364;ße aller &#x017F;eltenen Men&#x017F;chen.<lb/>
Aber es i&#x017F;t auch ein Gefu&#x0364;hl im Men&#x017F;chenfreunde, welches ihn<lb/>
Freude und Genugthuung empfinden la&#x0364;ßt, &#x017F;obald un&#x017F;ere Ge¬<lb/>
danken und Empfindungen von Anderen errathen, mit erkannt<lb/>
und mitempfunden werden, und hieru&#x0364;ber kann &#x017F;ich kein Wei¬<lb/>
&#x017F;er und Ko&#x0364;nig hinweg&#x017F;etzen, da es ein Wider&#x017F;pruch in der<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[214/0222] urſpruͤnglich magnetiſche oder der Inbegriff des poſitiv und negativ elektriſchen zugleich.” Wie abgeſchmackt nun auch alles dies ſein mag, ſo ge¬ waͤhrt es doch ein eigenes Intereſſe, wahrzunehmen, wie ein uͤber Weltverbeſſerungsplanen bruͤtender Schwaͤrmer ſich mit hohlen und mißverſtandenen metaphyſiſchen Formeln abquaͤlt, um ſich vor ſeinem eigenen Bewußtſein mit einem Klingklang von Woͤrtern als ein ſcharfſinniger Dialektiker auszuweiſen, der die Rechtfertigung ſeiner hochfliegenden Entwuͤrfe wiſſen¬ ſchaftlich zu fuͤhren vermag, und um ſo feſteres Vertrauen in ſeine Einſicht ſetzen darf, je mehr er mit derſelben das Uni¬ verſum zu umfaſſen glaubt. Der eigentliche Zweck dieſer Schrift ſpricht ſich noch am deutlichſten aus in der Dedication derſelben an Seine kaiſerliche Majeſtaͤt den Großſultan und wirklichen Nachkommen des Propheten der Osmanen, Mah¬ mud II. Warum er gerade auf dieſen ſein Augenmerk ge¬ richtet hat, erhellt theils aus der Zuſchrift ſelbſt, welche cha¬ rakteriſtiſch genug iſt, um hier einen Platz zu finden, theils wird ſich dies noch mehr in der Folge ergeben. Der Verf. ſagt hierin: „Es iſt eine glaͤnzende Weisheit, im Gluͤcke nicht vermeſſen, und eine glorreiche Macht, im Ungluͤcke nicht verzagt zu ſein. Solche hohe Eigenſchaften der Seele erzeugen die unuͤber¬ windliche Groͤße, um alle Fuͤrſten und Voͤlker, welche durch Vor¬ urtheile und Aberglauben die Feinde der hohen Pforte ſind, be¬ ſiegen zu koͤnnen. Es iſt eine glorwuͤrdige Gerechtigkeit, welche im guten Glauben fuͤr Wahrheit und Recht ſtreitet, und nach der Stimme der Vernunft, ohne Anſehen der Perſon, des Glaubens und Geſchlechts, lohnt und ſtraft und endlich alle Leidenſchaften zum Schweigen bringt. Es iſt ein Gefuͤhl im Menſchenfreunde, das ſich ſtolz uͤber alle kleinliche Begierden erhebt, wenn man verkannt und verfolgt wird. Daſſelbe treibt uns um ſo mehr zur Langmuth und Großmuth gegen unſere Feinde an; es offenbart die Groͤße aller ſeltenen Menſchen. Aber es iſt auch ein Gefuͤhl im Menſchenfreunde, welches ihn Freude und Genugthuung empfinden laͤßt, ſobald unſere Ge¬ danken und Empfindungen von Anderen errathen, mit erkannt und mitempfunden werden, und hieruͤber kann ſich kein Wei¬ ſer und Koͤnig hinwegſetzen, da es ein Widerſpruch in der

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ideler_wahnsinn_1847
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ideler_wahnsinn_1847/222
Zitationshilfe: Ideler, Karl Wilhelm: Der religiöse Wahnsinn, erläutert durch Krankengeschichten. Ein Beitrag zur Geschichte der religiösen Wirren der Gegenwart. Halle (Saale), 1847, S. 214. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ideler_wahnsinn_1847/222>, abgerufen am 21.11.2024.