Die Zeit verwischte zwar den Fürsten Xaverius Nicodemus den Zweiundzwanzigsten, da sie ihn nicht wieder sah, allgemach aus ihrem Herzen, da- gegen setzte sich in ihr die Standesvorstellung, die Vorstellung an sich, daß sie bestimmt sei, mit einem Hechelkramischen Fürsten in zärtliche Verhältnisse zu treten, immer fester in ihr, wobei sie sich durch- aus nichts Arges dachte, woran sie aber mit solcher Innigkeit hing, wie ihr Vater an seinen Geheimen- raths-Gedanken. Weil nun das Herz nicht in das Leere seinen Drang versenden mag, sondern gern an liebevoll-gediegner Wirklichkeit ausruht, so hatte ihre schwärmende Phantasie nach einigem Umher- schweifen im leeren Raume auch bald den sichtbaren Gegenstand gefunden, der ihr den künftigen Lieb- haber unter den Fürsten von Hechelkram vorbilden mußte. In der That war dieser Gegenstand ganz geeignet, die Einbildungskraft eines fühlenden Mädchens zu entzünden. Von schöner, gedrungner, proportionirlicher Gestalt, sprach sich in allen seinen Gliedern männliche Kraft aus, aus seinem glän- zenden, hellrothen Gesichte mit breiten, festen Kinnbacken leuchtete der Entschluß, auch die härteste, vom Geschick ihm vorgelegte Nuß zu knacken, der
Die Zeit verwiſchte zwar den Fürſten Xaverius Nicodemus den Zweiundzwanzigſten, da ſie ihn nicht wieder ſah, allgemach aus ihrem Herzen, da- gegen ſetzte ſich in ihr die Standesvorſtellung, die Vorſtellung an ſich, daß ſie beſtimmt ſei, mit einem Hechelkramiſchen Fürſten in zärtliche Verhältniſſe zu treten, immer feſter in ihr, wobei ſie ſich durch- aus nichts Arges dachte, woran ſie aber mit ſolcher Innigkeit hing, wie ihr Vater an ſeinen Geheimen- raths-Gedanken. Weil nun das Herz nicht in das Leere ſeinen Drang verſenden mag, ſondern gern an liebevoll-gediegner Wirklichkeit ausruht, ſo hatte ihre ſchwärmende Phantaſie nach einigem Umher- ſchweifen im leeren Raume auch bald den ſichtbaren Gegenſtand gefunden, der ihr den künftigen Lieb- haber unter den Fürſten von Hechelkram vorbilden mußte. In der That war dieſer Gegenſtand ganz geeignet, die Einbildungskraft eines fühlenden Mädchens zu entzünden. Von ſchöner, gedrungner, proportionirlicher Geſtalt, ſprach ſich in allen ſeinen Gliedern männliche Kraft aus, aus ſeinem glän- zenden, hellrothen Geſichte mit breiten, feſten Kinnbacken leuchtete der Entſchluß, auch die härteſte, vom Geſchick ihm vorgelegte Nuß zu knacken, der
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Die Zeit verwiſchte zwar den Fürſten Xaverius
Nicodemus den Zweiundzwanzigſten, da ſie ihn
nicht wieder ſah, allgemach aus ihrem Herzen, da-
gegen ſetzte ſich in ihr die Standesvorſtellung, die
Vorſtellung an ſich, daß ſie beſtimmt ſei, mit einem
Hechelkramiſchen Fürſten in zärtliche Verhältniſſe
zu treten, immer feſter in ihr, wobei ſie ſich durch-
aus nichts Arges dachte, woran ſie aber mit ſolcher
Innigkeit hing, wie ihr Vater an ſeinen Geheimen-
raths-Gedanken. Weil nun das Herz nicht in das
Leere ſeinen Drang verſenden mag, ſondern gern
an liebevoll-gediegner Wirklichkeit ausruht, ſo hatte
ihre ſchwärmende Phantaſie nach einigem Umher-
ſchweifen im leeren Raume auch bald den ſichtbaren
Gegenſtand gefunden, der ihr den künftigen Lieb-
haber unter den Fürſten von Hechelkram vorbilden
mußte. In der That war dieſer Gegenſtand ganz
geeignet, die Einbildungskraft eines fühlenden
Mädchens zu entzünden. Von ſchöner, gedrungner,
proportionirlicher Geſtalt, ſprach ſich in allen ſeinen
Gliedern männliche Kraft aus, aus ſeinem glän-
zenden, hellrothen Geſichte mit breiten, feſten
Kinnbacken leuchtete der Entſchluß, auch die härteſte,
vom Geſchick ihm vorgelegte Nuß zu knacken, der
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Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 1. Düsseldorf, 1838, S. 110. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen01_1838/118>, abgerufen am 21.11.2024.
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