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Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 1. Düsseldorf, 1838.

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fangen war. Sie saß verklärten Blicks in einer
Ecke des Zimmers, sah vor sich hin, und ihre
Gedanken schienen abwesend zu seyn. Als der
Vater zu ihr sagte: Renzel, (so nannte er sie,
wenn er besonders guter Laune war) wo kriegen
wir den Nachttisch her für den Fremden? ver-
setzte sie: O Vater, es wird Tag! und als er sie
bat, die Bettung des Gastes zu besorgen, blickte
sie ihm starr in das Antlitz und verstand ihn
nicht. Der Schulmeister, welcher unter sothanen
Umständen sich zum Haushofmeister anerbot, bewies
dagegen eine nicht geringe Anstelligkeit. Er war
während seines Dienstes zu Hackelpfiffelsberg sich
Knecht und Magd gewesen, und hatte dadurch die
genauste Kenntniß aller kleinen häuslichen Geschäfte
erworben. -- Flink räumte er von der Vorraths-
kammer, die der Schloßherr zum Gastzimmer
bestimmt hatte, weil sie das einzige Gelaß war,
welches noch Fenstern hatte, die getrockneten Aepfel,
die Bohnen und Erbsen hinweg, welche für den
Winterbedarf dort aufgeschüttet lagen, sorgte für
das Haupt des Fremden, indem er die lose Gyps-
bekleidung der Decke mit einer Stange abstieß,
fegte den Estrich rein, verjagte die Spinnen aus

fangen war. Sie ſaß verklärten Blicks in einer
Ecke des Zimmers, ſah vor ſich hin, und ihre
Gedanken ſchienen abweſend zu ſeyn. Als der
Vater zu ihr ſagte: Renzel, (ſo nannte er ſie,
wenn er beſonders guter Laune war) wo kriegen
wir den Nachttiſch her für den Fremden? ver-
ſetzte ſie: O Vater, es wird Tag! und als er ſie
bat, die Bettung des Gaſtes zu beſorgen, blickte
ſie ihm ſtarr in das Antlitz und verſtand ihn
nicht. Der Schulmeiſter, welcher unter ſothanen
Umſtänden ſich zum Haushofmeiſter anerbot, bewies
dagegen eine nicht geringe Anſtelligkeit. Er war
während ſeines Dienſtes zu Hackelpfiffelsberg ſich
Knecht und Magd geweſen, und hatte dadurch die
genauſte Kenntniß aller kleinen häuslichen Geſchäfte
erworben. — Flink räumte er von der Vorraths-
kammer, die der Schloßherr zum Gaſtzimmer
beſtimmt hatte, weil ſie das einzige Gelaß war,
welches noch Fenſtern hatte, die getrockneten Aepfel,
die Bohnen und Erbſen hinweg, welche für den
Winterbedarf dort aufgeſchüttet lagen, ſorgte für
das Haupt des Fremden, indem er die loſe Gyps-
bekleidung der Decke mit einer Stange abſtieß,
fegte den Eſtrich rein, verjagte die Spinnen aus

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[185/0193] fangen war. Sie ſaß verklärten Blicks in einer Ecke des Zimmers, ſah vor ſich hin, und ihre Gedanken ſchienen abweſend zu ſeyn. Als der Vater zu ihr ſagte: Renzel, (ſo nannte er ſie, wenn er beſonders guter Laune war) wo kriegen wir den Nachttiſch her für den Fremden? ver- ſetzte ſie: O Vater, es wird Tag! und als er ſie bat, die Bettung des Gaſtes zu beſorgen, blickte ſie ihm ſtarr in das Antlitz und verſtand ihn nicht. Der Schulmeiſter, welcher unter ſothanen Umſtänden ſich zum Haushofmeiſter anerbot, bewies dagegen eine nicht geringe Anſtelligkeit. Er war während ſeines Dienſtes zu Hackelpfiffelsberg ſich Knecht und Magd geweſen, und hatte dadurch die genauſte Kenntniß aller kleinen häuslichen Geſchäfte erworben. — Flink räumte er von der Vorraths- kammer, die der Schloßherr zum Gaſtzimmer beſtimmt hatte, weil ſie das einzige Gelaß war, welches noch Fenſtern hatte, die getrockneten Aepfel, die Bohnen und Erbſen hinweg, welche für den Winterbedarf dort aufgeſchüttet lagen, ſorgte für das Haupt des Fremden, indem er die loſe Gyps- bekleidung der Decke mit einer Stange abſtieß, fegte den Eſtrich rein, verjagte die Spinnen aus

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Zitationshilfe: Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 1. Düsseldorf, 1838, S. 185. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen01_1838/193>, abgerufen am 17.05.2024.