Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 1. Düsseldorf, 1838.

Bild:
<< vorherige Seite

cratie des Daseyns mitangeboren ist, welche außer-
halb der Mittelverhältnisse liegt, und von der wir
uns, ohne an der Natürlichkeit unseres Wesens
Einbuße zu leiden, nicht losmachen können, aber
ich muß doch Folgendes aus meiner eigenen Ge-
schichte hier anführen. Ich war, da ich jenen jun-
gen Vornehmen zu führen hatte, während ich noch
selbst der Führung gar sehr bedürftig war, unter
allen den geistreichen, eleganten, schillernden und
schimmernden Gestalten der Kreise, die mir durch
mein damaliges Amt zugewiesen waren, eben so
geistreich, halbirt, kritisch und ironisch geworden,
wie Viele; genial in meinen Ansprüchen, wenn
auch nicht in dem, was ich leistete, unbefriedigt
von irgend etwas Vorkommendem, und immer in
eine blaue Weite strebend; kurz ich war dem schlim-
meren Theile meines Wesens zu Folge, ein Neuer,
hatte Weltschmerz, wünschte eine andere Bibel,
ein anderes Christenthum, einen andern Staat,
eine andere Familie, und mich selbst anders mit
Haut und Haar. Mit einem Worte, ich war auf
dem Wege zum Tollhaus, oder zur insipidesten Phi-
listerei; denn diese beiden Ziele liegen meistens
vor den Füßen der modernen Wanderer. Und da

cratie des Daſeyns mitangeboren iſt, welche außer-
halb der Mittelverhältniſſe liegt, und von der wir
uns, ohne an der Natürlichkeit unſeres Weſens
Einbuße zu leiden, nicht losmachen können, aber
ich muß doch Folgendes aus meiner eigenen Ge-
ſchichte hier anführen. Ich war, da ich jenen jun-
gen Vornehmen zu führen hatte, während ich noch
ſelbſt der Führung gar ſehr bedürftig war, unter
allen den geiſtreichen, eleganten, ſchillernden und
ſchimmernden Geſtalten der Kreiſe, die mir durch
mein damaliges Amt zugewieſen waren, eben ſo
geiſtreich, halbirt, kritiſch und ironiſch geworden,
wie Viele; genial in meinen Anſprüchen, wenn
auch nicht in dem, was ich leiſtete, unbefriedigt
von irgend etwas Vorkommendem, und immer in
eine blaue Weite ſtrebend; kurz ich war dem ſchlim-
meren Theile meines Weſens zu Folge, ein Neuer,
hatte Weltſchmerz, wünſchte eine andere Bibel,
ein anderes Chriſtenthum, einen andern Staat,
eine andere Familie, und mich ſelbſt anders mit
Haut und Haar. Mit einem Worte, ich war auf
dem Wege zum Tollhaus, oder zur inſipideſten Phi-
liſterei; denn dieſe beiden Ziele liegen meiſtens
vor den Füßen der modernen Wanderer. Und da

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0405" n="397"/>
cratie des Da&#x017F;eyns mitangeboren i&#x017F;t, welche außer-<lb/>
halb der Mittelverhältni&#x017F;&#x017F;e liegt, und von der wir<lb/>
uns, ohne an der Natürlichkeit un&#x017F;eres We&#x017F;ens<lb/>
Einbuße zu leiden, nicht losmachen können, aber<lb/>
ich muß doch Folgendes aus meiner eigenen Ge-<lb/>
&#x017F;chichte hier anführen. Ich war, da ich jenen jun-<lb/>
gen Vornehmen zu führen hatte, während ich noch<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t der Führung gar &#x017F;ehr bedürftig war, unter<lb/>
allen den gei&#x017F;treichen, eleganten, &#x017F;chillernden und<lb/>
&#x017F;chimmernden Ge&#x017F;talten der Krei&#x017F;e, die mir durch<lb/>
mein damaliges Amt zugewie&#x017F;en waren, eben &#x017F;o<lb/>
gei&#x017F;treich, halbirt, kriti&#x017F;ch und ironi&#x017F;ch geworden,<lb/>
wie Viele; genial in meinen An&#x017F;prüchen, wenn<lb/>
auch nicht in dem, was ich lei&#x017F;tete, unbefriedigt<lb/>
von irgend etwas Vorkommendem, und immer in<lb/>
eine blaue Weite &#x017F;trebend; kurz ich war dem &#x017F;chlim-<lb/>
meren Theile meines We&#x017F;ens zu Folge, ein Neuer,<lb/>
hatte Welt&#x017F;chmerz, wün&#x017F;chte eine andere Bibel,<lb/>
ein anderes Chri&#x017F;tenthum, einen andern Staat,<lb/>
eine andere Familie, und mich &#x017F;elb&#x017F;t anders mit<lb/>
Haut und Haar. Mit einem Worte, ich war auf<lb/>
dem Wege zum Tollhaus, oder zur in&#x017F;ipide&#x017F;ten Phi-<lb/>
li&#x017F;terei; denn die&#x017F;e beiden Ziele liegen mei&#x017F;tens<lb/>
vor den Füßen der modernen Wanderer. Und da<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[397/0405] cratie des Daſeyns mitangeboren iſt, welche außer- halb der Mittelverhältniſſe liegt, und von der wir uns, ohne an der Natürlichkeit unſeres Weſens Einbuße zu leiden, nicht losmachen können, aber ich muß doch Folgendes aus meiner eigenen Ge- ſchichte hier anführen. Ich war, da ich jenen jun- gen Vornehmen zu führen hatte, während ich noch ſelbſt der Führung gar ſehr bedürftig war, unter allen den geiſtreichen, eleganten, ſchillernden und ſchimmernden Geſtalten der Kreiſe, die mir durch mein damaliges Amt zugewieſen waren, eben ſo geiſtreich, halbirt, kritiſch und ironiſch geworden, wie Viele; genial in meinen Anſprüchen, wenn auch nicht in dem, was ich leiſtete, unbefriedigt von irgend etwas Vorkommendem, und immer in eine blaue Weite ſtrebend; kurz ich war dem ſchlim- meren Theile meines Weſens zu Folge, ein Neuer, hatte Weltſchmerz, wünſchte eine andere Bibel, ein anderes Chriſtenthum, einen andern Staat, eine andere Familie, und mich ſelbſt anders mit Haut und Haar. Mit einem Worte, ich war auf dem Wege zum Tollhaus, oder zur inſipideſten Phi- liſterei; denn dieſe beiden Ziele liegen meiſtens vor den Füßen der modernen Wanderer. Und da

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen01_1838
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen01_1838/405
Zitationshilfe: Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 1. Düsseldorf, 1838, S. 397. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen01_1838/405>, abgerufen am 22.11.2024.