Bringe mich, bevor der Tag sinkt, nach dem Klo- ster am Odenwald zur frommen Aebtissin, sie wird mich unter Schirm nehmen, dort will ich zwischen stillen Mauern harren, ob du kommen und mich heimführen willst. Sie wollte aufstehen, der junge Ritter hielt sie aber sanft zurück und sagte: Laß uns an diesem Platze, wo meine Seligkeit wie ein goldenes Mährchen emporsproßte, noch einige Augen- blicke verweilen. Fürchte ich doch noch immer, daß du mir, gleich einer reizenden Waldnymphe ver- schwindest! Hilf mir, daß ich an dich glaube und an deine holde Sterblichkeit. Wie bist du herge- kommen? Was war mit dir?
Ich war, versetzte die Schöne, heute Morgen zu Walde geflohen vor meinem Vormunde, dem Grafen Archimbald, dessen Absichten plötzlich, ich weiß nicht ob auf mich, oder auf meine Güter, bös und erschreckend hervorgetreten waren. Was hilft der Jugend und dem Weibe reiches Erbe? Es ist immerdar schutzlos und verlassen. Ich wollte mich zur Aebtissin flüchten, ich wollte den Kaiser in Maynz antreten, kaum wußte ich selbst, was ich wollte. So kam ich in diese grünen Baum- hallen. Mein Herz war nicht auf den Helfer
Bringe mich, bevor der Tag ſinkt, nach dem Klo- ſter am Odenwald zur frommen Aebtiſſin, ſie wird mich unter Schirm nehmen, dort will ich zwiſchen ſtillen Mauern harren, ob du kommen und mich heimführen willſt. Sie wollte aufſtehen, der junge Ritter hielt ſie aber ſanft zurück und ſagte: Laß uns an dieſem Platze, wo meine Seligkeit wie ein goldenes Mährchen emporſproßte, noch einige Augen- blicke verweilen. Fürchte ich doch noch immer, daß du mir, gleich einer reizenden Waldnymphe ver- ſchwindeſt! Hilf mir, daß ich an dich glaube und an deine holde Sterblichkeit. Wie biſt du herge- kommen? Was war mit dir?
Ich war, verſetzte die Schöne, heute Morgen zu Walde geflohen vor meinem Vormunde, dem Grafen Archimbald, deſſen Abſichten plötzlich, ich weiß nicht ob auf mich, oder auf meine Güter, bös und erſchreckend hervorgetreten waren. Was hilft der Jugend und dem Weibe reiches Erbe? Es iſt immerdar ſchutzlos und verlaſſen. Ich wollte mich zur Aebtiſſin flüchten, ich wollte den Kaiſer in Maynz antreten, kaum wußte ich ſelbſt, was ich wollte. So kam ich in dieſe grünen Baum- hallen. Mein Herz war nicht auf den Helfer
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Bringe mich, bevor der Tag ſinkt, nach dem Klo-
ſter am Odenwald zur frommen Aebtiſſin, ſie wird
mich unter Schirm nehmen, dort will ich zwiſchen
ſtillen Mauern harren, ob du kommen und mich
heimführen willſt. Sie wollte aufſtehen, der junge
Ritter hielt ſie aber ſanft zurück und ſagte: Laß
uns an dieſem Platze, wo meine Seligkeit wie ein
goldenes Mährchen emporſproßte, noch einige Augen-
blicke verweilen. Fürchte ich doch noch immer, daß
du mir, gleich einer reizenden Waldnymphe ver-
ſchwindeſt! Hilf mir, daß ich an dich glaube und
an deine holde Sterblichkeit. Wie biſt du herge-
kommen? Was war mit dir?
Ich war, verſetzte die Schöne, heute Morgen
zu Walde geflohen vor meinem Vormunde, dem
Grafen Archimbald, deſſen Abſichten plötzlich, ich
weiß nicht ob auf mich, oder auf meine Güter,
bös und erſchreckend hervorgetreten waren. Was
hilft der Jugend und dem Weibe reiches Erbe?
Es iſt immerdar ſchutzlos und verlaſſen. Ich wollte
mich zur Aebtiſſin flüchten, ich wollte den Kaiſer
in Maynz antreten, kaum wußte ich ſelbſt, was
ich wollte. So kam ich in dieſe grünen Baum-
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Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 3. Düsseldorf, 1839, S. 178. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen03_1839/192>, abgerufen am 09.11.2024.
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