von ihr hinweg an das andere Fenster. Nach eini- gen Secunden hörte er hinter sich tief athmen und dann leise schluchzen. Rasch wandte er sich und hatte den rührendsten Anblick. Lisbeth stand, etwas gebeugt, als drücke sie die Verehrung, welche sie empfangen, und hielt das Blatt in der reizendsten Unbehülflichkeit mit beiden Händen vor sich hin, wie ein Kind, das die glänzende Weihnachtbeschee- rung sich noch gar nicht anzueignen wagt. Die hellen Thränen flossen ihr unter den Wimpern, dabei lächelte sie, und sah den Jäger mit dem gläu- bigsten Vertrauen an, als wollte sie sagen: Wenn du einen armen Findling so hübsch besingen kannst, so mußt du es wohl recht herzlich mit ihm meinen. -- Endlich fand ihre Empfindung ein lautes Wort und sie lispelte: Sie machen zu viel aus mir und ich werde noch ganz eitel durch Sie werden.
Er trat, fest seinen flammenden und doch so sanften Blick auf sie heftend, ihr entgegen und wollte ihre Hand küssen. Sie war küssenswerth, diese Hand. Es ist, als ob Manchem nichts scha- den könne. Trotz aller Arbeit war die Hand weich und zart geblieben. Lisbeth entzog sie seinem Munde und bot ihm, die Augen schließend, die
von ihr hinweg an das andere Fenſter. Nach eini- gen Secunden hörte er hinter ſich tief athmen und dann leiſe ſchluchzen. Raſch wandte er ſich und hatte den rührendſten Anblick. Lisbeth ſtand, etwas gebeugt, als drücke ſie die Verehrung, welche ſie empfangen, und hielt das Blatt in der reizendſten Unbehülflichkeit mit beiden Händen vor ſich hin, wie ein Kind, das die glänzende Weihnachtbeſchee- rung ſich noch gar nicht anzueignen wagt. Die hellen Thränen floſſen ihr unter den Wimpern, dabei lächelte ſie, und ſah den Jäger mit dem gläu- bigſten Vertrauen an, als wollte ſie ſagen: Wenn du einen armen Findling ſo hübſch beſingen kannſt, ſo mußt du es wohl recht herzlich mit ihm meinen. — Endlich fand ihre Empfindung ein lautes Wort und ſie lispelte: Sie machen zu viel aus mir und ich werde noch ganz eitel durch Sie werden.
Er trat, feſt ſeinen flammenden und doch ſo ſanften Blick auf ſie heftend, ihr entgegen und wollte ihre Hand küſſen. Sie war küſſenswerth, dieſe Hand. Es iſt, als ob Manchem nichts ſcha- den könne. Trotz aller Arbeit war die Hand weich und zart geblieben. Lisbeth entzog ſie ſeinem Munde und bot ihm, die Augen ſchließend, die
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von ihr hinweg an das andere Fenſter. Nach eini-
gen Secunden hörte er hinter ſich tief athmen und
dann leiſe ſchluchzen. Raſch wandte er ſich und
hatte den rührendſten Anblick. Lisbeth ſtand, etwas
gebeugt, als drücke ſie die Verehrung, welche ſie
empfangen, und hielt das Blatt in der reizendſten
Unbehülflichkeit mit beiden Händen vor ſich hin,
wie ein Kind, das die glänzende Weihnachtbeſchee-
rung ſich noch gar nicht anzueignen wagt. Die
hellen Thränen floſſen ihr unter den Wimpern,
dabei lächelte ſie, und ſah den Jäger mit dem gläu-
bigſten Vertrauen an, als wollte ſie ſagen: Wenn
du einen armen Findling ſo hübſch beſingen kannſt,
ſo mußt du es wohl recht herzlich mit ihm meinen.
— Endlich fand ihre Empfindung ein lautes Wort
und ſie lispelte: Sie machen zu viel aus mir
und ich werde noch ganz eitel durch Sie werden.
Er trat, feſt ſeinen flammenden und doch ſo
ſanften Blick auf ſie heftend, ihr entgegen und
wollte ihre Hand küſſen. Sie war küſſenswerth,
dieſe Hand. Es iſt, als ob Manchem nichts ſcha-
den könne. Trotz aller Arbeit war die Hand
weich und zart geblieben. Lisbeth entzog ſie ſeinem
Munde und bot ihm, die Augen ſchließend, die
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Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 3. Düsseldorf, 1839, S. 55. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen03_1839/69>, abgerufen am 09.11.2024.
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