Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jacobi, Friedrich Heinrich: Eduard Allwills Briefsammlung. Mit einer Zugabe von eigenen Briefen. Königsberg, 1792.

Bild:
<< vorherige Seite

ich an ihren Stuhl knieen, um sie zu küssen.
Wir kamen allmählich einander in die Arme,
weinten -- und fanden Worte.

Deine Briefe wurden Stückweise wieder-
holt, und so nach und nach zu einem uns
eigenen Ganzen umgebildet, das wir besser
fassen konnten. Alles drang jetzt weit tiefer
ein, und dennoch wurden wir heiterer. Wir
ahndeten Deinen Zustand; gewannen Theil an
Deinem himmlischen Wesen: Wer wollte
nicht Sylli seyn
? sagten wir. Der bloße
Abglanz -- nur eines Theils ihrer Seele,
und den wir -- ach! nur so schwach aufzu-
nehmen vermögen; wie giebt er uns nicht
Muth und Wonne! Und sie -- besitzt --
sie ist diese Seele selbst; hat in ihrem
eigenen Wesen, was so unbegreiflich entzückt:
den Quell und die Fülle aller dieser Schön-
heit und Größe! -- Wer wollte nicht Sylli
seyn; gäbe nicht alles hin für die Unabhän-
gigkeit dieses hohen Selbstgenusses, für die
helle Wonne, Göttlich zu lieben, die allein

ich an ihren Stuhl knieen, um ſie zu kuͤſſen.
Wir kamen allmaͤhlich einander in die Arme,
weinten — und fanden Worte.

Deine Briefe wurden Stuͤckweiſe wieder-
holt, und ſo nach und nach zu einem uns
eigenen Ganzen umgebildet, das wir beſſer
faſſen konnten. Alles drang jetzt weit tiefer
ein, und dennoch wurden wir heiterer. Wir
ahndeten Deinen Zuſtand; gewannen Theil an
Deinem himmliſchen Weſen: Wer wollte
nicht Sylli ſeyn
? ſagten wir. Der bloße
Abglanz — nur eines Theils ihrer Seele,
und den wir — ach! nur ſo ſchwach aufzu-
nehmen vermoͤgen; wie giebt er uns nicht
Muth und Wonne! Und ſie — beſitzt —
ſie iſt dieſe Seele ſelbſt; hat in ihrem
eigenen Weſen, was ſo unbegreiflich entzuͤckt:
den Quell und die Fuͤlle aller dieſer Schoͤn-
heit und Groͤße! — Wer wollte nicht Sylli
ſeyn; gaͤbe nicht alles hin fuͤr die Unabhaͤn-
gigkeit dieſes hohen Selbſtgenuſſes, fuͤr die
helle Wonne, Goͤttlich zu lieben, die allein

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0101" n="63"/>
ich an ihren Stuhl knieen, um &#x017F;ie zu ku&#x0364;&#x017F;&#x017F;en.<lb/>
Wir kamen allma&#x0364;hlich einander in die Arme,<lb/>
weinten &#x2014; und fanden Worte.</p><lb/>
            <p>Deine Briefe wurden Stu&#x0364;ckwei&#x017F;e wieder-<lb/>
holt, und &#x017F;o nach und nach zu einem uns<lb/>
eigenen Ganzen umgebildet, das wir be&#x017F;&#x017F;er<lb/>
fa&#x017F;&#x017F;en konnten. Alles drang jetzt weit tiefer<lb/>
ein, und dennoch wurden wir heiterer. Wir<lb/>
ahndeten Deinen Zu&#x017F;tand; gewannen Theil an<lb/>
Deinem himmli&#x017F;chen We&#x017F;en: <hi rendition="#g">Wer wollte<lb/>
nicht Sylli &#x017F;eyn</hi>? &#x017F;agten wir. Der bloße<lb/>
Abglanz &#x2014; nur eines Theils ihrer Seele,<lb/>
und den <hi rendition="#fr">wir</hi> &#x2014; ach! nur &#x017F;o &#x017F;chwach aufzu-<lb/>
nehmen vermo&#x0364;gen; wie giebt er uns nicht<lb/>
Muth und Wonne! Und &#x017F;ie &#x2014; be&#x017F;itzt &#x2014;<lb/><hi rendition="#g"><hi rendition="#fr">&#x017F;ie i&#x017F;t die&#x017F;e Seele &#x017F;elb&#x017F;t</hi></hi>; hat in ihrem<lb/>
eigenen We&#x017F;en, was &#x017F;o unbegreiflich entzu&#x0364;ckt:<lb/>
den Quell und die Fu&#x0364;lle aller die&#x017F;er Scho&#x0364;n-<lb/>
heit und Gro&#x0364;ße! &#x2014; Wer wollte nicht Sylli<lb/>
&#x017F;eyn; ga&#x0364;be nicht alles hin fu&#x0364;r die Unabha&#x0364;n-<lb/>
gigkeit die&#x017F;es hohen Selb&#x017F;tgenu&#x017F;&#x017F;es, fu&#x0364;r die<lb/><hi rendition="#g">helle Wonne</hi>, <hi rendition="#fr">Go&#x0364;ttlich</hi> zu lieben, die allein<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[63/0101] ich an ihren Stuhl knieen, um ſie zu kuͤſſen. Wir kamen allmaͤhlich einander in die Arme, weinten — und fanden Worte. Deine Briefe wurden Stuͤckweiſe wieder- holt, und ſo nach und nach zu einem uns eigenen Ganzen umgebildet, das wir beſſer faſſen konnten. Alles drang jetzt weit tiefer ein, und dennoch wurden wir heiterer. Wir ahndeten Deinen Zuſtand; gewannen Theil an Deinem himmliſchen Weſen: Wer wollte nicht Sylli ſeyn? ſagten wir. Der bloße Abglanz — nur eines Theils ihrer Seele, und den wir — ach! nur ſo ſchwach aufzu- nehmen vermoͤgen; wie giebt er uns nicht Muth und Wonne! Und ſie — beſitzt — ſie iſt dieſe Seele ſelbſt; hat in ihrem eigenen Weſen, was ſo unbegreiflich entzuͤckt: den Quell und die Fuͤlle aller dieſer Schoͤn- heit und Groͤße! — Wer wollte nicht Sylli ſeyn; gaͤbe nicht alles hin fuͤr die Unabhaͤn- gigkeit dieſes hohen Selbſtgenuſſes, fuͤr die helle Wonne, Goͤttlich zu lieben, die allein

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/jacobi_allwill_1792
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/jacobi_allwill_1792/101
Zitationshilfe: Jacobi, Friedrich Heinrich: Eduard Allwills Briefsammlung. Mit einer Zugabe von eigenen Briefen. Königsberg, 1792, S. 63. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jacobi_allwill_1792/101>, abgerufen am 22.11.2024.