"er kann sogar vor ihnen noch erschrecken. "Nur wird er ihren Umgang eben nicht su- "chen; noch weniger, ihn dem Umgange mit "wirklichen Dingen vorziehen; am allerwe- "nigsten aber wird er ihres Gleichen zu wer- "den trachten."
Du sagst mir etwas Großes, lieber Erhard. Denn, wenn ich Dich recht verstehe, so kannst Du überhaupt Erscheinungen entkleiden, und das an sich Wirkliche allein betrachten. Ich habe mich hieran oft bis zur Verzweiflung ver- sucht, und nur ein neues Räthsel, das Räth- sel meiner unheilbaren Unwissenheit dabey zu- letzt erbeutet. Könnte der Mensch seine An- sprüche an wirkliches Daseyn, an Freyheit und Erkenntniß fahren lassen; längst hätte ich die meinigen, über allen den hart abschlägigen Antworten, die mir von der Natur, von der Geschichte, von meiner Vernunft, meinem Willen, Herzen und Bewußtseyn zu Theil wurden, aufgegeben. Verschwinde ich doch vor mir selbst über dem Forschen nach mir selbst,
„er kann ſogar vor ihnen noch erſchrecken. „Nur wird er ihren Umgang eben nicht ſu- „chen; noch weniger, ihn dem Umgange mit „wirklichen Dingen vorziehen; am allerwe- „nigſten aber wird er ihres Gleichen zu wer- „den trachten.”
Du ſagſt mir etwas Großes, lieber Erhard. Denn, wenn ich Dich recht verſtehe, ſo kannſt Du uͤberhaupt Erſcheinungen entkleiden, und das an ſich Wirkliche allein betrachten. Ich habe mich hieran oft bis zur Verzweiflung ver- ſucht, und nur ein neues Raͤthſel, das Raͤth- ſel meiner unheilbaren Unwiſſenheit dabey zu- letzt erbeutet. Koͤnnte der Menſch ſeine An- ſpruͤche an wirkliches Daſeyn, an Freyheit und Erkenntniß fahren laſſen; laͤngſt haͤtte ich die meinigen, uͤber allen den hart abſchlaͤgigen Antworten, die mir von der Natur, von der Geſchichte, von meiner Vernunft, meinem Willen, Herzen und Bewußtſeyn zu Theil wurden, aufgegeben. Verſchwinde ich doch vor mir ſelbſt uͤber dem Forſchen nach mir ſelbſt,
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„er kann ſogar vor ihnen noch erſchrecken.
„Nur wird er ihren Umgang eben nicht ſu-
„chen; noch weniger, ihn dem Umgange mit
„wirklichen Dingen vorziehen; am allerwe-
„nigſten aber wird er ihres Gleichen zu wer-
„den trachten.”
Du ſagſt mir etwas Großes, lieber Erhard.
Denn, wenn ich Dich recht verſtehe, ſo kannſt
Du uͤberhaupt Erſcheinungen entkleiden, und
das an ſich Wirkliche allein betrachten. Ich
habe mich hieran oft bis zur Verzweiflung ver-
ſucht, und nur ein neues Raͤthſel, das Raͤth-
ſel meiner unheilbaren Unwiſſenheit dabey zu-
letzt erbeutet. Koͤnnte der Menſch ſeine An-
ſpruͤche an wirkliches Daſeyn, an Freyheit und
Erkenntniß fahren laſſen; laͤngſt haͤtte ich die
meinigen, uͤber allen den hart abſchlaͤgigen
Antworten, die mir von der Natur, von der
Geſchichte, von meiner Vernunft, meinem
Willen, Herzen und Bewußtſeyn zu Theil
wurden, aufgegeben. Verſchwinde ich doch vor
mir ſelbſt uͤber dem Forſchen nach mir ſelbſt,
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Jacobi, Friedrich Heinrich: Eduard Allwills Briefsammlung. Mit einer Zugabe von eigenen Briefen. Königsberg, 1792, S. 302. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jacobi_allwill_1792/340>, abgerufen am 23.11.2024.
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