Jacobi, Johann Friedrich: Betrachtungen über die Weisen Absichten Gottes, bey denen Dingen, die wir in der menschlichen Gesellschaft und der Offenbahrung antreffen. Bd. 2. Göttingen, 1745.der menschliche Verstand übereilen etwas für einen wahrhaften Widerspruch anzu- nehmen, was doch keiner ist, besonders, da man bisher noch keine Merckmale ange- geben, durch welche man einen Schein- Widerspruch, ehe er aufgelöset wird, von einem wahren Widerspruche unterscheiden könnte. Wie oft sich Gelehrte hiebey ver- gangen, beweiset abermals so wohl die Philosophische als Kirchen-Geschichte. Man hat aus gewissen unleugbaren Wahr- heiten solche widersprechende Sätze gezo- gen, welche man erst nach vielen hundert Jahren hat aufheben können. Zum Ex- empel mögen dienen die Widersprüche, welche Zweifler aus dieser Wahrheit gezo- gen: Es giebt Bewegungen, und wel- che man in des Bailen Wörter-Buche unter dem Artickel Zeno finden kan. Wenn darf man völlig trauen, daß der eine Satz dem andern wahrhaftig widerspreche? Meiner Einsicht nach sehr selten. Denn ich hoffe, ich werde nicht viel Gegner fin- den, wenn ich behaupte, daß die mehresten Widersprüche, die ein Gelehrter dem an- dern vorwirft, mehrentheils Wortstreite und unrichtige Folgerungen sind. Soll- ten
der menſchliche Verſtand uͤbereilen etwas fuͤr einen wahrhaften Widerſpruch anzu- nehmen, was doch keiner iſt, beſonders, da man bisher noch keine Merckmale ange- geben, durch welche man einen Schein- Widerſpruch, ehe er aufgeloͤſet wird, von einem wahren Widerſpruche unterſcheiden koͤnnte. Wie oft ſich Gelehrte hiebey ver- gangen, beweiſet abermals ſo wohl die Philoſophiſche als Kirchen-Geſchichte. Man hat aus gewiſſen unleugbaren Wahr- heiten ſolche widerſprechende Saͤtze gezo- gen, welche man erſt nach vielen hundert Jahren hat aufheben koͤnnen. Zum Ex- empel moͤgen dienen die Widerſpruͤche, welche Zweifler aus dieſer Wahrheit gezo- gen: Es giebt Bewegungen, und wel- che man in des Bailen Woͤrter-Buche unter dem Artickel Zeno finden kan. Wenn darf man voͤllig trauen, daß der eine Satz dem andern wahrhaftig widerſpreche? Meiner Einſicht nach ſehr ſelten. Denn ich hoffe, ich werde nicht viel Gegner fin- den, wenn ich behaupte, daß die mehreſten Widerſpruͤche, die ein Gelehrter dem an- dern vorwirft, mehrentheils Wortſtreite und unrichtige Folgerungen ſind. Soll- ten
<TEI> <text> <front> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0061" n="43"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> der menſchliche Verſtand uͤbereilen etwas<lb/> fuͤr einen wahrhaften Widerſpruch anzu-<lb/> nehmen, was doch keiner iſt, beſonders, da<lb/> man bisher noch keine Merckmale ange-<lb/> geben, durch welche man einen Schein-<lb/> Widerſpruch, ehe er aufgeloͤſet wird, von<lb/> einem wahren Widerſpruche unterſcheiden<lb/> koͤnnte. Wie oft ſich Gelehrte hiebey ver-<lb/> gangen, beweiſet abermals ſo wohl die<lb/> Philoſophiſche als Kirchen-Geſchichte.<lb/> Man hat aus gewiſſen unleugbaren Wahr-<lb/> heiten ſolche widerſprechende Saͤtze gezo-<lb/> gen, welche man erſt nach vielen hundert<lb/> Jahren hat aufheben koͤnnen. Zum Ex-<lb/> empel moͤgen dienen die Widerſpruͤche,<lb/> welche Zweifler aus dieſer Wahrheit gezo-<lb/> gen: <hi rendition="#fr">Es giebt Bewegungen,</hi> und wel-<lb/> che man in des <hi rendition="#fr">Bailen</hi> Woͤrter-Buche<lb/> unter dem Artickel <hi rendition="#fr">Zeno</hi> finden kan. Wenn<lb/> darf man voͤllig trauen, daß der eine Satz<lb/> dem andern wahrhaftig widerſpreche?<lb/> Meiner Einſicht nach ſehr ſelten. Denn<lb/> ich hoffe, ich werde nicht viel Gegner fin-<lb/> den, wenn ich behaupte, daß die mehreſten<lb/> Widerſpruͤche, die ein Gelehrter dem an-<lb/> dern vorwirft, mehrentheils Wortſtreite<lb/> und unrichtige Folgerungen ſind. Soll-<lb/> <fw place="bottom" type="catch">ten</fw><lb/></p> </div> </div> </front> </text> </TEI> [43/0061]
der menſchliche Verſtand uͤbereilen etwas
fuͤr einen wahrhaften Widerſpruch anzu-
nehmen, was doch keiner iſt, beſonders, da
man bisher noch keine Merckmale ange-
geben, durch welche man einen Schein-
Widerſpruch, ehe er aufgeloͤſet wird, von
einem wahren Widerſpruche unterſcheiden
koͤnnte. Wie oft ſich Gelehrte hiebey ver-
gangen, beweiſet abermals ſo wohl die
Philoſophiſche als Kirchen-Geſchichte.
Man hat aus gewiſſen unleugbaren Wahr-
heiten ſolche widerſprechende Saͤtze gezo-
gen, welche man erſt nach vielen hundert
Jahren hat aufheben koͤnnen. Zum Ex-
empel moͤgen dienen die Widerſpruͤche,
welche Zweifler aus dieſer Wahrheit gezo-
gen: Es giebt Bewegungen, und wel-
che man in des Bailen Woͤrter-Buche
unter dem Artickel Zeno finden kan. Wenn
darf man voͤllig trauen, daß der eine Satz
dem andern wahrhaftig widerſpreche?
Meiner Einſicht nach ſehr ſelten. Denn
ich hoffe, ich werde nicht viel Gegner fin-
den, wenn ich behaupte, daß die mehreſten
Widerſpruͤche, die ein Gelehrter dem an-
dern vorwirft, mehrentheils Wortſtreite
und unrichtige Folgerungen ſind. Soll-
ten
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |