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Jacobi, Johann Friedrich: Betrachtungen über die Weisen Absichten Gottes, bey denen Dingen, die wir in der menschlichen Gesellschaft und der Offenbarung antreffen. Bd. 4. Hannover, 1766.

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Ach Gott! du wirst uns ja hören.
Wir sind doch deine Geschöpfe. Dein
unerforschlicher Rath hat uns zu Zeugen
werden lassen, welche die Sünden ihrer
Eltern verrathen müssen, die sonst eine
ewige Nacht bedeckte. Die Furcht für
unserm Leben und Zeugniß soll einem Laster
einige Gränzen setzen, welches sonst deine
Welt verwüsten würde. Ach Gott ver-
gieb es uns, wenn wir dieses Schicksal
traurig nennen, und dein Herz breche ge-
gen uns, da alle Menschen hart, unmensch-
lich hart gegen uns sind. Vater und Mut-
ter, und alle, die wir um Mitleiden und
Hülfe anrufen, verlassen uns. Gott,
nimm du uns auf. Nimm doch unser
Seelchen wieder zu dir, welches nur zur
Schmach und Leiden gebohren ist. Ach
sollen wir auch Zeugen einer höchsten und
unüberwindlichen Grausamkeit der Men-
schen seyn? Sollen wir etwa beweisen, daß
du gerecht, wenn du ein unbarmherziges
Gericht über solche Grausame ergehen läs-
sest? Sollen wir etwa dereinsten unsere
Eltern verdammen, und diejenigen, wel-
che uns einen billigen Beystand versaget?
Ach nein, wir wollen lieber für sie bitten.
Ende nur unsere Quaal. Ach Frost! Ach
Hunger! Ach Schmerz! Ach - - - - -!
O Gott, erbarme dich!

§. 22.

Ach Gott! du wirſt uns ja hoͤren.
Wir ſind doch deine Geſchoͤpfe. Dein
unerforſchlicher Rath hat uns zu Zeugen
werden laſſen, welche die Suͤnden ihrer
Eltern verrathen muͤſſen, die ſonſt eine
ewige Nacht bedeckte. Die Furcht fuͤr
unſerm Leben und Zeugniß ſoll einem Laſter
einige Graͤnzen ſetzen, welches ſonſt deine
Welt verwuͤſten wuͤrde. Ach Gott ver-
gieb es uns, wenn wir dieſes Schickſal
traurig nennen, und dein Herz breche ge-
gen uns, da alle Menſchen hart, unmenſch-
lich hart gegen uns ſind. Vater und Mut-
ter, und alle, die wir um Mitleiden und
Huͤlfe anrufen, verlaſſen uns. Gott,
nimm du uns auf. Nimm doch unſer
Seelchen wieder zu dir, welches nur zur
Schmach und Leiden gebohren iſt. Ach
ſollen wir auch Zeugen einer hoͤchſten und
unuͤberwindlichen Grauſamkeit der Men-
ſchen ſeyn? Sollen wir etwa beweiſen, daß
du gerecht, wenn du ein unbarmherziges
Gericht uͤber ſolche Grauſame ergehen laͤſ-
ſeſt? Sollen wir etwa dereinſten unſere
Eltern verdammen, und diejenigen, wel-
che uns einen billigen Beyſtand verſaget?
Ach nein, wir wollen lieber fuͤr ſie bitten.
Ende nur unſere Quaal. Ach Froſt! Ach
Hunger! Ach Schmerz! Ach ‒ ‒ ‒ ‒ ‒!
O Gott, erbarme dich!

§. 22.
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[319/0339] Ach Gott! du wirſt uns ja hoͤren. Wir ſind doch deine Geſchoͤpfe. Dein unerforſchlicher Rath hat uns zu Zeugen werden laſſen, welche die Suͤnden ihrer Eltern verrathen muͤſſen, die ſonſt eine ewige Nacht bedeckte. Die Furcht fuͤr unſerm Leben und Zeugniß ſoll einem Laſter einige Graͤnzen ſetzen, welches ſonſt deine Welt verwuͤſten wuͤrde. Ach Gott ver- gieb es uns, wenn wir dieſes Schickſal traurig nennen, und dein Herz breche ge- gen uns, da alle Menſchen hart, unmenſch- lich hart gegen uns ſind. Vater und Mut- ter, und alle, die wir um Mitleiden und Huͤlfe anrufen, verlaſſen uns. Gott, nimm du uns auf. Nimm doch unſer Seelchen wieder zu dir, welches nur zur Schmach und Leiden gebohren iſt. Ach ſollen wir auch Zeugen einer hoͤchſten und unuͤberwindlichen Grauſamkeit der Men- ſchen ſeyn? Sollen wir etwa beweiſen, daß du gerecht, wenn du ein unbarmherziges Gericht uͤber ſolche Grauſame ergehen laͤſ- ſeſt? Sollen wir etwa dereinſten unſere Eltern verdammen, und diejenigen, wel- che uns einen billigen Beyſtand verſaget? Ach nein, wir wollen lieber fuͤr ſie bitten. Ende nur unſere Quaal. Ach Froſt! Ach Hunger! Ach Schmerz! Ach ‒ ‒ ‒ ‒ ‒! O Gott, erbarme dich! §. 22.

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Zitationshilfe: Jacobi, Johann Friedrich: Betrachtungen über die Weisen Absichten Gottes, bey denen Dingen, die wir in der menschlichen Gesellschaft und der Offenbarung antreffen. Bd. 4. Hannover, 1766, S. 319. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jacobi_betrachtungen04_1766/339>, abgerufen am 22.11.2024.