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Jahn, Friedrich Ludwig: Deutsches Volksthum. Lübeck, 1810.

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"geschieht auch, daß der Prediger von demVer¬
"storbenen nur das Gute erfahren, andere wis¬
"sen ein böses Stück, das er ehmahls begangen.
"Sagt nun der Prediger Gutes von ihm, so
"sprechen die Andern: Es war eine Lügenpre¬
"digt, der Prediger mag einen guten Recompens
"bekommen haben, darum konnte er den Fuchs¬
"schwanz so streichen."

Gerber (ein alter Prediger zu Halle an der
Saale im Anfang des 18ten Jahrhunderts).

Es scheinen die Leichenpredigten bei Prote¬
stanten ein Nachpäpsteln zu sein, um doch statt
der Seelmessen auch etwas zu haben. Der
Leidträger bezahlt die Leichenpredigt, also meint
er mit Recht zu verlangen, daß der Bepredigte
gerühmt werde. Muß da nicht der Prediger,
der nicht allgemeine Lehren vorbringen will, und
dem Wahrheit nicht bloß eine schönklingende
Redensart, Lüge hingegen nur eine übellanten¬
de bedeutet, in Verlegenheit kommen? Ein al¬
ter Prediger half sich bei solchen Gelegenheiten
mit dem Einfaltsschein durch, und rühmte einst
eine verstorbene Bauerfrau: "Sie konnte so
schönen Käse und so schöne Butter machen, auch

„geſchieht auch, daß der Prediger von demVer¬
„ſtorbenen nur das Gute erfahren, andere wiſ¬
„ſen ein böſes Stück, das er ehmahls begangen.
„Sagt nun der Prediger Gutes von ihm, ſo
„ſprechen die Andern: Es war eine Lügenpre¬
„digt, der Prediger mag einen guten Recompens
„bekommen haben, darum konnte er den Fuchs¬
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Gerber (ein alter Prediger zu Halle an der
Saale im Anfang des 18ten Jahrhunderts).

Es ſcheinen die Leichenpredigten bei Prote¬
ſtanten ein Nachpäpſteln zu ſein, um doch ſtatt
der Seelmeſſen auch etwas zu haben. Der
Leidträger bezahlt die Leichenpredigt, alſo meint
er mit Recht zu verlangen, daß der Bepredigte
gerühmt werde. Muß da nicht der Prediger,
der nicht allgemeine Lehren vorbringen will, und
dem Wahrheit nicht bloß eine ſchönklingende
Redensart, Lüge hingegen nur eine übellanten¬
de bedeutet, in Verlegenheit kommen? Ein al¬
ter Prediger half ſich bei ſolchen Gelegenheiten
mit dem Einfaltsſchein durch, und rühmte einſt
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[143/0173] 143 „geſchieht auch, daß der Prediger von demVer¬ „ſtorbenen nur das Gute erfahren, andere wiſ¬ „ſen ein böſes Stück, das er ehmahls begangen. „Sagt nun der Prediger Gutes von ihm, ſo „ſprechen die Andern: Es war eine Lügenpre¬ „digt, der Prediger mag einen guten Recompens „bekommen haben, darum konnte er den Fuchs¬ „ſchwanz ſo ſtreichen.″ Gerber (ein alter Prediger zu Halle an der Saale im Anfang des 18ten Jahrhunderts). Es ſcheinen die Leichenpredigten bei Prote¬ ſtanten ein Nachpäpſteln zu ſein, um doch ſtatt der Seelmeſſen auch etwas zu haben. Der Leidträger bezahlt die Leichenpredigt, alſo meint er mit Recht zu verlangen, daß der Bepredigte gerühmt werde. Muß da nicht der Prediger, der nicht allgemeine Lehren vorbringen will, und dem Wahrheit nicht bloß eine ſchönklingende Redensart, Lüge hingegen nur eine übellanten¬ de bedeutet, in Verlegenheit kommen? Ein al¬ ter Prediger half ſich bei ſolchen Gelegenheiten mit dem Einfaltsſchein durch, und rühmte einſt eine verſtorbene Bauerfrau: „Sie konnte ſo ſchönen Käſe und ſo ſchöne Butter machen, auch

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Zitationshilfe: Jahn, Friedrich Ludwig: Deutsches Volksthum. Lübeck, 1810, S. 143. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jahn_volksthum_1810/173>, abgerufen am 14.05.2024.