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Jahn, Friedrich Ludwig: Deutsches Volksthum. Lübeck, 1810.

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trank ich mit der Mutterliebe, die Liebe zum
Vaterlande. Nie ist sie seitdem an der Hoff¬
nungslosigkeit gestorben, schon als Knaben er¬
weckte sie mich aus dem Schlummerdasein, be¬
schwingte meinen Geist als Jüngling, und be¬
geistert mich noch jetzt unter Trümmern. Deutsch¬
land, wenn es einig mit sich, als Deutsches Ge¬
meinwesen, seine ungeheuern niegebrauchten Kräf¬
te entwickelt, kann einst der Begründer des ewi¬
gen Friedens in Europa, der Schutzengel der
Menschheit sein! -- Das ruht auf seiner Lage
und seinem Volke, und bleibt selbst durch seine
neuern Verhältnisse.

Einst entstanden so zwei Schriften: "Denk¬
buch für Deutsche" (Siehe VIII. 4. f.) und
"Volksthum." Beide sind im unglücklichen
Kriege verloren gegangen, und von dem letztern
habe ich erst nach der Tilsiter Zeit versucht, eine
Art Übersicht, aus dem Gedächtniß wiederherzu¬
stellen, die, wenn sie auch allenfalls auf die eh¬
mahlige vollständige Ausarbeitung hinweiset --
doch nur ein Fachwerk bleibt, und nicht vom
Werke selbst, nur von seinem Gerüste. Der
Geist entfliegt beim Sterben zuerst; am Läng¬
sten überdauert den Tod, das Gerippe.

trank ich mit der Mutterliebe, die Liebe zum
Vaterlande. Nie iſt ſie ſeitdem an der Hoff¬
nungsloſigkeit geſtorben, ſchon als Knaben er¬
weckte ſie mich aus dem Schlummerdaſein, be¬
ſchwingte meinen Geiſt als Jüngling, und be¬
geiſtert mich noch jetzt unter Trümmern. Deutſch¬
land, wenn es einig mit ſich, als Deutſches Ge¬
meinweſen, ſeine ungeheuern niegebrauchten Kräf¬
te entwickelt, kann einſt der Begründer des ewi¬
gen Friedens in Europa, der Schutzengel der
Menſchheit ſein! — Das ruht auf ſeiner Lage
und ſeinem Volke, und bleibt ſelbſt durch ſeine
neuern Verhältniſſe.

Einſt entſtanden ſo zwei Schriften: „Denk¬
buch für Deutſche“ (Siehe VIII. 4. f.) und
„Volksthum.“ Beide ſind im unglücklichen
Kriege verloren gegangen, und von dem letztern
habe ich erſt nach der Tilſiter Zeit verſucht, eine
Art Überſicht, aus dem Gedächtniß wiederherzu¬
ſtellen, die, wenn ſie auch allenfalls auf die eh¬
mahlige vollſtändige Auſarbeitung hinweiſet —
doch nur ein Fachwerk bleibt, und nicht vom
Werke ſelbſt, nur von ſeinem Gerüſte. Der
Geiſt entfliegt beim Sterben zuerſt; am Läng¬
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[XV/0021] XV trank ich mit der Mutterliebe, die Liebe zum Vaterlande. Nie iſt ſie ſeitdem an der Hoff¬ nungsloſigkeit geſtorben, ſchon als Knaben er¬ weckte ſie mich aus dem Schlummerdaſein, be¬ ſchwingte meinen Geiſt als Jüngling, und be¬ geiſtert mich noch jetzt unter Trümmern. Deutſch¬ land, wenn es einig mit ſich, als Deutſches Ge¬ meinweſen, ſeine ungeheuern niegebrauchten Kräf¬ te entwickelt, kann einſt der Begründer des ewi¬ gen Friedens in Europa, der Schutzengel der Menſchheit ſein! — Das ruht auf ſeiner Lage und ſeinem Volke, und bleibt ſelbſt durch ſeine neuern Verhältniſſe. Einſt entſtanden ſo zwei Schriften: „Denk¬ buch für Deutſche“ (Siehe VIII. 4. f.) und „Volksthum.“ Beide ſind im unglücklichen Kriege verloren gegangen, und von dem letztern habe ich erſt nach der Tilſiter Zeit verſucht, eine Art Überſicht, aus dem Gedächtniß wiederherzu¬ ſtellen, die, wenn ſie auch allenfalls auf die eh¬ mahlige vollſtändige Auſarbeitung hinweiſet — doch nur ein Fachwerk bleibt, und nicht vom Werke ſelbſt, nur von ſeinem Gerüſte. Der Geiſt entfliegt beim Sterben zuerſt; am Läng¬ ſten überdauert den Tod, das Gerippe.

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Zitationshilfe: Jahn, Friedrich Ludwig: Deutsches Volksthum. Lübeck, 1810, S. XV. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jahn_volksthum_1810/21>, abgerufen am 29.04.2024.