Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jahn, Friedrich Ludwig: Deutsches Volksthum. Lübeck, 1810.

Bild:
<< vorherige Seite

c) Lesen der mustergültigen volksthüm¬
lichen Schriften.

Bücher giebt es über Alles, von der Göt¬
terhoheit bis zum Teufelsabschaum. Darum
muß die Kunst zu lesen frühzeitig in der
Schule geübt, und lange bis zur Befestigung
des Gemüths fortgesetzt werden; sonst verirren
die Mittelmenschen (und das sind die meisten) im
Bücherdickicht. Überladung gewährt nimmer
Genuß, jede Gesundheit kann man dadurch ein¬
büßen, leibliche, geistige, sittliche. Ohne Plan
und Wahl durcheinander lesen ist eine Strau¬
ßenüberfüllung; und das Gelesene unverdaut
gleich brühwarm wieder anbringen die alte Sa¬
ge vom Vielfraß, der vorne hineinschlingt, und
hinten hinauszwängt. Aus langer Weile und
zum sogenannten Zeitvertreib lesen, bleibt eine
höchstarmselige geschäftige Nichtsthuerei von Mü¬
ßiggängern, die nie das wahre Leben erkannten.
Aber auch die bessere Seele, die sich im Lesen
erhohlen will, naht Gefahren; wenn sie so weg
lieset, was der Zufall in die Hände spielt, Un¬
verstand auspreiset, Gernemitsprechen anlobt, und
des Bücherleihers Garküche anrichtet. Romane

c) Leſen der muſtergültigen volksthüm¬
lichen Schriften.

Bücher giebt es über Alles, von der Göt¬
terhoheit bis zum Teufelsabſchaum. Darum
muß die Kunſt zu leſen frühzeitig in der
Schule geübt, und lange bis zur Befeſtigung
des Gemüths fortgeſetzt werden; ſonſt verirren
die Mittelmenſchen (und das ſind die meiſten) im
Bücherdickicht. Überladung gewährt nimmer
Genuß, jede Geſundheit kann man dadurch ein¬
büßen, leibliche, geiſtige, ſittliche. Ohne Plan
und Wahl durcheinander leſen iſt eine Strau¬
ßenüberfüllung; und das Geleſene unverdaut
gleich brühwarm wieder anbringen die alte Sa¬
ge vom Vielfraß, der vorne hineinſchlingt, und
hinten hinauszwängt. Aus langer Weile und
zum ſogenannten Zeitvertreib leſen, bleibt eine
höchſtarmſelige geſchäftige Nichtsthuerei von Mü¬
ßiggängern, die nie das wahre Leben erkannten.
Aber auch die beſſere Seele, die ſich im Leſen
erhohlen will, naht Gefahren; wenn ſie ſo weg
lieſet, was der Zufall in die Hände ſpielt, Un¬
verſtand auspreiſet, Gernemitſprechen anlobt, und
des Bücherleihers Garküche anrichtet. Romane

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0231" n="201"/>
          <fw type="pageNum" place="top">201<lb/></fw>
          <p> <hi rendition="#c"> <hi rendition="#aq">c)</hi> <hi rendition="#g">Le&#x017F;en der mu&#x017F;tergültigen volksthüm¬<lb/>
lichen Schriften.</hi> </hi> </p><lb/>
          <p>Bücher giebt es über Alles, von der Göt¬<lb/>
terhoheit bis zum Teufelsab&#x017F;chaum. Darum<lb/>
muß <hi rendition="#g">die Kun&#x017F;t zu le&#x017F;en</hi> frühzeitig in der<lb/>
Schule geübt, und lange bis zur Befe&#x017F;tigung<lb/>
des Gemüths fortge&#x017F;etzt werden; &#x017F;on&#x017F;t verirren<lb/>
die Mittelmen&#x017F;chen (und das &#x017F;ind die mei&#x017F;ten) im<lb/>
Bücherdickicht. Überladung gewährt nimmer<lb/>
Genuß, jede Ge&#x017F;undheit kann man dadurch ein¬<lb/>
büßen, leibliche, gei&#x017F;tige, &#x017F;ittliche. Ohne Plan<lb/>
und Wahl durcheinander le&#x017F;en i&#x017F;t eine Strau¬<lb/>
ßenüberfüllung; und das Gele&#x017F;ene unverdaut<lb/>
gleich brühwarm wieder anbringen die alte Sa¬<lb/>
ge vom Vielfraß, der vorne hinein&#x017F;chlingt, und<lb/>
hinten hinauszwängt. Aus langer Weile und<lb/>
zum &#x017F;ogenannten Zeitvertreib le&#x017F;en, bleibt eine<lb/>
höch&#x017F;tarm&#x017F;elige ge&#x017F;chäftige Nichtsthuerei von Mü¬<lb/>
ßiggängern, die nie das wahre Leben erkannten.<lb/>
Aber auch die be&#x017F;&#x017F;ere Seele, die &#x017F;ich im Le&#x017F;en<lb/>
erhohlen will, naht Gefahren; wenn &#x017F;ie &#x017F;o weg<lb/>
lie&#x017F;et, was der Zufall in die Hände &#x017F;pielt, Un¬<lb/>
ver&#x017F;tand ausprei&#x017F;et, Gernemit&#x017F;prechen anlobt, und<lb/>
des Bücherleihers Garküche anrichtet. Romane<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[201/0231] 201 c) Leſen der muſtergültigen volksthüm¬ lichen Schriften. Bücher giebt es über Alles, von der Göt¬ terhoheit bis zum Teufelsabſchaum. Darum muß die Kunſt zu leſen frühzeitig in der Schule geübt, und lange bis zur Befeſtigung des Gemüths fortgeſetzt werden; ſonſt verirren die Mittelmenſchen (und das ſind die meiſten) im Bücherdickicht. Überladung gewährt nimmer Genuß, jede Geſundheit kann man dadurch ein¬ büßen, leibliche, geiſtige, ſittliche. Ohne Plan und Wahl durcheinander leſen iſt eine Strau¬ ßenüberfüllung; und das Geleſene unverdaut gleich brühwarm wieder anbringen die alte Sa¬ ge vom Vielfraß, der vorne hineinſchlingt, und hinten hinauszwängt. Aus langer Weile und zum ſogenannten Zeitvertreib leſen, bleibt eine höchſtarmſelige geſchäftige Nichtsthuerei von Mü¬ ßiggängern, die nie das wahre Leben erkannten. Aber auch die beſſere Seele, die ſich im Leſen erhohlen will, naht Gefahren; wenn ſie ſo weg lieſet, was der Zufall in die Hände ſpielt, Un¬ verſtand auspreiſet, Gernemitſprechen anlobt, und des Bücherleihers Garküche anrichtet. Romane

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/jahn_volksthum_1810
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/jahn_volksthum_1810/231
Zitationshilfe: Jahn, Friedrich Ludwig: Deutsches Volksthum. Lübeck, 1810, S. 201. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jahn_volksthum_1810/231>, abgerufen am 27.11.2024.