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Jahn, Friedrich Ludwig: Deutsches Volksthum. Lübeck, 1810.

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oder ihnen etwa vorkam, nein wie es wohl her¬
aus vernünftelt werden könnte, ist ihre Darstel¬
lung. Die Wirklichkeit ist ihnen nicht schön ge¬
nug, Wahrheit zu nackt, sie müssen erst stutzen
und putzen. So wird das Große zum Gemei¬
nen verzerrt, das Reinmenschliche durch grobe
Pinselzüge verwischt, das Gewöhnliche zum Un¬
ding verschraubt. Auf hochtrabenden, aus aller
Welt Sprachen zusammengeplünderten Wörtern
wollen sie dann durch den Unflath stelzen. Ohne
die Rinde des Bodens zu kennen, auf den sie
fußen, und der Decke Saum, die sie überschwebt,
vermessen sie sich, ein abentheuerlicher Spuk,
Aussprüche der Weltordnung zu verkünden. Sie
stürzen Altäre der ewigen Gottheit, die über die
Menschheit waltet; beten auf Opferhügeln des
blinden Erfolgs eigene Götzen an -- heute diese
-- morgen jene.

Mit unserer Sprache sind wir lange schlecht
umgegangen, schlechter noch mit unserer Ge¬
schichte. "Nichts ist mehr zu wünschen, als daß
Deutschland gute Geschichtschreiber haben möge;
sie allein können machen, daß sich die Auslän¬
der mehr um uns bekümmern" lautet Lichten¬

oder ihnen etwa vorkam, nein wie es wohl her¬
aus vernünftelt werden könnte, iſt ihre Darſtel¬
lung. Die Wirklichkeit iſt ihnen nicht ſchön ge¬
nug, Wahrheit zu nackt, ſie müſſen erſt ſtutzen
und putzen. So wird das Große zum Gemei¬
nen verzerrt, das Reinmenſchliche durch grobe
Pinſelzüge verwiſcht, das Gewöhnliche zum Un¬
ding verſchraubt. Auf hochtrabenden, aus aller
Welt Sprachen zuſammengeplünderten Wörtern
wollen ſie dann durch den Unflath ſtelzen. Ohne
die Rinde des Bodens zu kennen, auf den ſie
fußen, und der Decke Saum, die ſie überſchwebt,
vermeſſen ſie ſich, ein abentheuerlicher Spuk,
Ausſprüche der Weltordnung zu verkünden. Sie
ſtürzen Altäre der ewigen Gottheit, die über die
Menſchheit waltet; beten auf Opferhügeln des
blinden Erfolgs eigene Götzen an — heute dieſe
— morgen jene.

Mit unſerer Sprache ſind wir lange ſchlecht
umgegangen, ſchlechter noch mit unſerer Ge¬
ſchichte. „Nichts iſt mehr zu wünſchen, als daß
Deutſchland gute Geſchichtſchreiber haben möge;
ſie allein können machen, daß ſich die Auslän¬
der mehr um uns bekümmern“ lautet Lichten¬

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[221/0251] 221 oder ihnen etwa vorkam, nein wie es wohl her¬ aus vernünftelt werden könnte, iſt ihre Darſtel¬ lung. Die Wirklichkeit iſt ihnen nicht ſchön ge¬ nug, Wahrheit zu nackt, ſie müſſen erſt ſtutzen und putzen. So wird das Große zum Gemei¬ nen verzerrt, das Reinmenſchliche durch grobe Pinſelzüge verwiſcht, das Gewöhnliche zum Un¬ ding verſchraubt. Auf hochtrabenden, aus aller Welt Sprachen zuſammengeplünderten Wörtern wollen ſie dann durch den Unflath ſtelzen. Ohne die Rinde des Bodens zu kennen, auf den ſie fußen, und der Decke Saum, die ſie überſchwebt, vermeſſen ſie ſich, ein abentheuerlicher Spuk, Ausſprüche der Weltordnung zu verkünden. Sie ſtürzen Altäre der ewigen Gottheit, die über die Menſchheit waltet; beten auf Opferhügeln des blinden Erfolgs eigene Götzen an — heute dieſe — morgen jene. Mit unſerer Sprache ſind wir lange ſchlecht umgegangen, ſchlechter noch mit unſerer Ge¬ ſchichte. „Nichts iſt mehr zu wünſchen, als daß Deutſchland gute Geſchichtſchreiber haben möge; ſie allein können machen, daß ſich die Auslän¬ der mehr um uns bekümmern“ lautet Lichten¬

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Zitationshilfe: Jahn, Friedrich Ludwig: Deutsches Volksthum. Lübeck, 1810, S. 221. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jahn_volksthum_1810/251>, abgerufen am 22.11.2024.