Einige Jahrtausende ist bereits die Geschichte alt; Afrika ausgenommen, können gegenwärtig nur noch unbedeutende Völker leben, die der ent¬ deckungsgeistige Europäer nicht aufgespürt hätte. Erd- und Völkerkunde könnten sich nunmehr zu einer höhern wissenschaftlichen Ansicht erheben, die ersten Pinselzüge eines menschheitlichen Ge¬ mähldes versuchen. Will man nur Völker er¬ kunden, wie man Steine aufsammelt, und Pflan¬ zen einlegt, dann ist das Hergebrachte genug: Volk nach Volk und unter- und mit- und ne¬ ben-einander, und eingeschachtelt herzuerzählen. Nur dem, der in dem Menschengeschlechte wei¬ ter nichts finden kann, als die am Meisten ver¬ breitete, und ausgezeichnete Thierart unserer Erde, können die Völker nicht wichtiger erscheinen, als zur Hetzlust bestimmte Rudel des Wildes. Je¬ dem Andern müssen sich die Fragen aufdringen: Was ist ein Volk? Gilt dafür schon die Men¬ schenmenge einer großen Erdscholle? oder erst die Wohnerzahl eines Riesenstaats und Zwerg¬ stätchens? oder bloß die Gesammtheit gleicher Stamm- und Sprachgenossen? Der Forscher¬ geist wird Aufschlüsse darüber suchen: Was
Einige Jahrtauſende iſt bereits die Geſchichte alt; Afrika ausgenommen, können gegenwärtig nur noch unbedeutende Völker leben, die der ent¬ deckungsgeiſtige Europäer nicht aufgeſpürt hätte. Erd- und Völkerkunde könnten ſich nunmehr zu einer höhern wiſſenſchaftlichen Anſicht erheben, die erſten Pinſelzüge eines menſchheitlichen Ge¬ mähldes verſuchen. Will man nur Völker er¬ kunden, wie man Steine aufſammelt, und Pflan¬ zen einlegt, dann iſt das Hergebrachte genug: Volk nach Volk und unter- und mit- und ne¬ ben-einander, und eingeſchachtelt herzuerzählen. Nur dem, der in dem Menſchengeſchlechte wei¬ ter nichts finden kann, als die am Meiſten ver¬ breitete, und ausgezeichnete Thierart unſerer Erde, können die Völker nicht wichtiger erſcheinen, als zur Hetzluſt beſtimmte Rudel des Wildes. Je¬ dem Andern müſſen ſich die Fragen aufdringen: Was iſt ein Volk? Gilt dafür ſchon die Men¬ ſchenmenge einer großen Erdſcholle? oder erſt die Wohnerzahl eines Rieſenſtaats und Zwerg¬ ſtätchens? oder bloß die Geſammtheit gleicher Stamm- und Sprachgenoſſen? Der Forſcher¬ geiſt wird Aufſchlüſſe darüber ſuchen: Was
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Einige Jahrtauſende iſt bereits die Geſchichte
alt; Afrika ausgenommen, können gegenwärtig
nur noch unbedeutende Völker leben, die der ent¬
deckungsgeiſtige Europäer nicht aufgeſpürt hätte.
Erd- und Völkerkunde könnten ſich nunmehr zu
einer höhern wiſſenſchaftlichen Anſicht erheben,
die erſten Pinſelzüge eines menſchheitlichen Ge¬
mähldes verſuchen. Will man nur Völker er¬
kunden, wie man Steine aufſammelt, und Pflan¬
zen einlegt, dann iſt das Hergebrachte genug:
Volk nach Volk und unter- und mit- und ne¬
ben-einander, und eingeſchachtelt herzuerzählen.
Nur dem, der in dem Menſchengeſchlechte wei¬
ter nichts finden kann, als die am Meiſten ver¬
breitete, und ausgezeichnete Thierart unſerer Erde,
können die Völker nicht wichtiger erſcheinen, als
zur Hetzluſt beſtimmte Rudel des Wildes. Je¬
dem Andern müſſen ſich die Fragen aufdringen:
Was iſt ein Volk? Gilt dafür ſchon die Men¬
ſchenmenge einer großen Erdſcholle? oder erſt
die Wohnerzahl eines Rieſenſtaats und Zwerg¬
ſtätchens? oder bloß die Geſammtheit gleicher
Stamm- und Sprachgenoſſen? Der Forſcher¬
geiſt wird Aufſchlüſſe darüber ſuchen: Was
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Jahn, Friedrich Ludwig: Deutsches Volksthum. Lübeck, 1810, S. 4. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jahn_volksthum_1810/34>, abgerufen am 03.12.2024.
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