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Jahn, Friedrich Ludwig: Deutsches Volksthum. Lübeck, 1810.

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Uhr, die ohne Rast zum Nothwerk abruft. Frei
steht der Mensch dann als ein Wesen, das auf
Freude ein öffentliches unveräußerliches Recht
hat, nicht bloß verstohlen sie nippen darf, und
sich knechtischlüstern im Winkel berauscht. Zu¬
rückgeführt aus dem Jrrgewirr der Verkünste¬
lung in die einfachen Lebensverhältnisse, ge¬
winnt er eine wahre Erhöhung der Lebenskräf¬
te, eine nachwürkende Kraftvermehrung. Das
ist anders als eine bloße Erregung, wie sie jede
Art von Rauschmitteln giebt; anders als eine
augenblickliche Stärkungseinnahme, die gleich
darauf mit doppelter Schwäche niederschlägt; es
wird eine Heiligung der Zeit. Darum ist es
ein adelnder Vorzug für Menschen von Geist
und Herzen, Feste zu feiern, die ihnen ausschlie߬
lich heilig sind. Wem das Leben nur ein Kerb¬
stock bleibt um Alltage zusammenzurechnen,
wer aus diesen Zeitmerken nichts weiter heraus¬
bringt als eine große Zahl, der hat sich die
Mühe vergeblich gemacht, der hat in den Tag
und die Welt hineingelebt, als ein großstädtischer
Morgenverschläfer, so die Sonne in ihrer
Schönheit und Pracht niemals aufgehen sah.

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Uhr, die ohne Raſt zum Nothwerk abruft. Frei
ſteht der Menſch dann als ein Weſen, das auf
Freude ein öffentliches unveräußerliches Recht
hat, nicht bloß verſtohlen ſie nippen darf, und
ſich knechtiſchlüſtern im Winkel berauſcht. Zu¬
rückgeführt aus dem Jrrgewirr der Verkünſte¬
lung in die einfachen Lebensverhältniſſe, ge¬
winnt er eine wahre Erhöhung der Lebenskräf¬
te, eine nachwürkende Kraftvermehrung. Das
iſt anders als eine bloße Erregung, wie ſie jede
Art von Rauſchmitteln giebt; anders als eine
augenblickliche Stärkungseinnahme, die gleich
darauf mit doppelter Schwäche niederſchlägt; es
wird eine Heiligung der Zeit. Darum iſt es
ein adelnder Vorzug für Menſchen von Geiſt
und Herzen, Feſte zu feiern, die ihnen ausſchlie߬
lich heilig ſind. Wem das Leben nur ein Kerb¬
ſtock bleibt um Alltage zuſammenzurechnen,
wer aus dieſen Zeitmerken nichts weiter heraus¬
bringt als eine große Zahl, der hat ſich die
Mühe vergeblich gemacht, der hat in den Tag
und die Welt hineingelebt, als ein großſtädtiſcher
Morgenverſchläfer, ſo die Sonne in ihrer
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[339/0369] 339 Uhr, die ohne Raſt zum Nothwerk abruft. Frei ſteht der Menſch dann als ein Weſen, das auf Freude ein öffentliches unveräußerliches Recht hat, nicht bloß verſtohlen ſie nippen darf, und ſich knechtiſchlüſtern im Winkel berauſcht. Zu¬ rückgeführt aus dem Jrrgewirr der Verkünſte¬ lung in die einfachen Lebensverhältniſſe, ge¬ winnt er eine wahre Erhöhung der Lebenskräf¬ te, eine nachwürkende Kraftvermehrung. Das iſt anders als eine bloße Erregung, wie ſie jede Art von Rauſchmitteln giebt; anders als eine augenblickliche Stärkungseinnahme, die gleich darauf mit doppelter Schwäche niederſchlägt; es wird eine Heiligung der Zeit. Darum iſt es ein adelnder Vorzug für Menſchen von Geiſt und Herzen, Feſte zu feiern, die ihnen ausſchlie߬ lich heilig ſind. Wem das Leben nur ein Kerb¬ ſtock bleibt um Alltage zuſammenzurechnen, wer aus dieſen Zeitmerken nichts weiter heraus¬ bringt als eine große Zahl, der hat ſich die Mühe vergeblich gemacht, der hat in den Tag und die Welt hineingelebt, als ein großſtädtiſcher Morgenverſchläfer, ſo die Sonne in ihrer Schönheit und Pracht niemals aufgehen ſah. Y 2

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Zitationshilfe: Jahn, Friedrich Ludwig: Deutsches Volksthum. Lübeck, 1810, S. 339. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jahn_volksthum_1810/369>, abgerufen am 21.11.2024.