Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 1. Berlin, 1956.347. An Renate Wirth in Hof. [Schwarzenbach] den 10 Nov. 1790.Mademoiselle, Wenn ich nur das Papier zu einem Briefe an Sie herlege: so wird Der Teufel in der ersten Gehirnkammer .... (Ich fahre heute am10 Der Teufel in der 2ten Gehirnkammer von vorne heraus soufliert Der Satan in dem 3ten Gehirn-Alkove ist der Satan selbst und Der Teufel in der 4ten Bude sagt blos, ich solte das schreiben, was [329]Denn der herliche Engel in der 1ten Herzenskammer räth mir,25 Der 2te Engel, der alle meine Briefe endet, sagt mir, diesen mit der Ihr oder Deroselben oder (welches am meisten ist) Ew. HochEdelgeboren35 gehors. Diener Richter 347. An Renate Wirth in Hof. [Schwarzenbach] den 10 Nov. 1790.Mademoiſelle, Wenn ich nur das Papier zu einem Briefe an Sie herlege: ſo wird Der Teufel in der erſten Gehirnkammer .... (Ich fahre heute am10 Der Teufel in der 2ten Gehirnkammer von vorne heraus ſoufliert Der Satan in dem 3ten Gehirn-Alkove iſt der Satan ſelbſt und Der Teufel in der 4ten Bude ſagt blos, ich ſolte das ſchreiben, was [329]Denn der herliche Engel in der 1ten Herzenskammer räth mir,25 Der 2te Engel, der alle meine Briefe endet, ſagt mir, dieſen mit der Ihr oder Deroſelben oder (welches am meiſten iſt) Ew. HochEdelgeboren35 gehorſ. Diener Richter <TEI> <text> <body> <pb facs="#f0338" n="312"/> <div type="letter" n="1"> <head>347. An <hi rendition="#g">Renate Wirth in Hof.</hi></head><lb/> <dateline> <hi rendition="#right"><metamark>[</metamark>Schwarzenbach<metamark>]</metamark> den 10 Nov. 1790.</hi> </dateline><lb/> <opener> <salute> <hi rendition="#et">Mademoiſelle,</hi> </salute> </opener><lb/> <p>Wenn ich nur das Papier zu einem Briefe an Sie herlege: ſo wird<lb/> in mir alles rebelliſch und rege. Jeder menſchliche Kopf hat nämlich<lb n="5"/> (wie die Anatomiker wiſſen) 4 Kammern, und das Herz hat 2 Kam-<lb/> mern — nun wohnen bei mir in ienen 4 Kammern 4 lebendige Teufel<lb/> und in dieſen 2 Logen 2 prächtige gute Engel. Alle die wollen auf einmal<lb/> reden und diktieren mir etwas zum Briefe an Sie.</p><lb/> <p>Der Teufel in der erſten Gehirnkammer .... (Ich fahre heute am<lb n="10"/> 17 Nov. erſt wieder fort ....) dieſer Teufel alſo bläſet mir am 17 Nov.<lb/> ſo gut wie am 10 N. ein, daß ich einen langen Brief von Ihnen ver-<lb/> langen ſol, weil Sie eben ſo ſchön ſchreiben als tanzen — ich laſſ’ es<lb/> aber bleiben, weil mit Ihnen nichts anzufangen iſt, am wenigſten ein<lb/> Briefwechſel.<lb n="15"/> </p> <p>Der Teufel in der 2<hi rendition="#sup">ten</hi> Gehirnkammer von vorne heraus ſoufliert<lb/> mir 3000 Gloſſen (wie ſie die Fr. Poſtmeiſterin nent); ich laſſ’ es aber<lb/> bleiben, weil Gloſſen ſo wenig meine Sache iemals ſind als Ihre Sache.</p><lb/> <p>Der Satan in dem 3<hi rendition="#sup">ten</hi> Gehirn-Alkove iſt der Satan ſelbſt und<lb/> möchte haben, daß ich Ihnen von H. <hi rendition="#g">Selten</hi> in Sophiens Reiſe<lb n="20"/> abriethe — ich laſſ’ es aber bleiben, weil Sie es ſelber bleiben laſſen<lb/> und den H. S. und ienes Buch ohnehin <hi rendition="#g">ſelten</hi> in die <hi rendition="#g">Hände</hi> nehmen.</p><lb/> <p>Der Teufel in der 4<hi rendition="#sup">ten</hi> Bude ſagt blos, ich ſolte das ſchreiben, was<lb/> mir die 3 andern eingegeben; ich laſſ’ es aber natürlich bleiben.</p><lb/> <p><note place="left"><ref target="1922_Bd#_329">[329]</ref></note>Denn der herliche Engel in der 1<hi rendition="#sup">ten</hi> Herzenskammer räth mir,<lb n="25"/> Ihnen nie ſchlimmer zu ſcheinen als ich bin und in dem Bisgen<lb/> Zwergleben, mit dem man ſobald niederſinket, den armen zerrinnenden<lb/> Schatten, die man Menſchen nent, nichts zu machen als Freude, wie<lb/> Sie mir ſie geben, Sie mögen in der Vorderſtube Verſe oder in der<lb/> Hinterſtube Proſe mit mir reden.<lb n="30"/> </p> <p>Der 2<hi rendition="#sup">te</hi> Engel, der alle meine Briefe endet, ſagt mir, dieſen mit der<lb/> Verſicherung zu ſchlieſſen, daß ich bin der Fr. Poſtmeiſterin, des H.<lb/> Poſtmeiſters und Ihres ganzen Hauſes und</p><lb/> <closer> <salute> <hi rendition="#right">Ihr oder Deroſelben oder (welches am meiſten iſt)<lb/> Ew. HochEdelgeboren<lb n="35"/> gehorſ. Diener<lb/> Richter</hi><lb/> </salute> </closer> </div> </body> </text> </TEI> [312/0338]
347. An Renate Wirth in Hof.
[Schwarzenbach] den 10 Nov. 1790.
Mademoiſelle,
Wenn ich nur das Papier zu einem Briefe an Sie herlege: ſo wird
in mir alles rebelliſch und rege. Jeder menſchliche Kopf hat nämlich 5
(wie die Anatomiker wiſſen) 4 Kammern, und das Herz hat 2 Kam-
mern — nun wohnen bei mir in ienen 4 Kammern 4 lebendige Teufel
und in dieſen 2 Logen 2 prächtige gute Engel. Alle die wollen auf einmal
reden und diktieren mir etwas zum Briefe an Sie.
Der Teufel in der erſten Gehirnkammer .... (Ich fahre heute am 10
17 Nov. erſt wieder fort ....) dieſer Teufel alſo bläſet mir am 17 Nov.
ſo gut wie am 10 N. ein, daß ich einen langen Brief von Ihnen ver-
langen ſol, weil Sie eben ſo ſchön ſchreiben als tanzen — ich laſſ’ es
aber bleiben, weil mit Ihnen nichts anzufangen iſt, am wenigſten ein
Briefwechſel. 15
Der Teufel in der 2ten Gehirnkammer von vorne heraus ſoufliert
mir 3000 Gloſſen (wie ſie die Fr. Poſtmeiſterin nent); ich laſſ’ es aber
bleiben, weil Gloſſen ſo wenig meine Sache iemals ſind als Ihre Sache.
Der Satan in dem 3ten Gehirn-Alkove iſt der Satan ſelbſt und
möchte haben, daß ich Ihnen von H. Selten in Sophiens Reiſe 20
abriethe — ich laſſ’ es aber bleiben, weil Sie es ſelber bleiben laſſen
und den H. S. und ienes Buch ohnehin ſelten in die Hände nehmen.
Der Teufel in der 4ten Bude ſagt blos, ich ſolte das ſchreiben, was
mir die 3 andern eingegeben; ich laſſ’ es aber natürlich bleiben.
Denn der herliche Engel in der 1ten Herzenskammer räth mir, 25
Ihnen nie ſchlimmer zu ſcheinen als ich bin und in dem Bisgen
Zwergleben, mit dem man ſobald niederſinket, den armen zerrinnenden
Schatten, die man Menſchen nent, nichts zu machen als Freude, wie
Sie mir ſie geben, Sie mögen in der Vorderſtube Verſe oder in der
Hinterſtube Proſe mit mir reden. 30
[329] Der 2te Engel, der alle meine Briefe endet, ſagt mir, dieſen mit der
Verſicherung zu ſchlieſſen, daß ich bin der Fr. Poſtmeiſterin, des H.
Poſtmeiſters und Ihres ganzen Hauſes und
Ihr oder Deroſelben oder (welches am meiſten iſt)
Ew. HochEdelgeboren 35
gehorſ. Diener
Richter
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(2016-11-22T14:52:17Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T14:52:17Z)
Weitere Informationen:Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen). Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
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