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Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 1. Berlin, 1956.

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Den Erasmus, dessen sanfter Geist dem des Melanchthons so
ähnlich sieht wie Feigheit der Bescheidenheit, kont' ich von jeher so
wenig goutieren als er Fische; weder sein Gesicht noch seinen Spas
noch sein tausendseitiges schillerndes Leben. Er war ein Museums-Raz;
und da diese Thiere alzeit vor einem Erdbeben aus den Häusern laufen:5
so wolt' er seiner Stube wegen kein Erdbeben. Alles was er hier an-
räth, war ja eben vor Luther alles geschehen; wie bei uns die ähnlichen
Kabinetspredigten gegen die Fürsten; aber da sie die ihrem Stande
eigne Unverschämtheit besizen, Thorheiten und Ungerechtigkeiten zu
gleicher Zeit zu begehen und einzusehen: so bringt sie kein Licht, so10
wenig wie den Papst, sondern nur das Schütteln von ihren Thron-
gipfeln herab. -- Leb wol und mache mir die doppelte aus der Gabe
und aus dem Geber zusammengesezte Freude öfter.

[Beilage]
1. Da man in unserer Sprache wie in unserer Regierungsform nie15
recht weiß, wer regiert: so nehm ich lieber das Passivum oder den
Singular.
2. Kürzer.
3. Damit der Styl selber nicht über Abhänge fliesse, sage lieber:
ihre Spekulazionen und ihre Handlungen waren durch die Mauern20
der Hörsääle von einander abgetrent; endlich traten sie wie zwei
Ströme, über den Weg der Überschwemmungen und in Katarakten
zu Einem ruhigen [See] zusammen.
4. Bei Vergleichungen mit bekanten Gegenständen ist die Alle-[397]
gorie besser als das Gleichnis, weil jene kürzer und lebhafter und25
dieses nur ein Behelf für deutsche Leser ist, denen man in der Regel
nicht über 6 Bogen aus dem Zeitungslexikon zutrauen darf.
5. Ich ruhe bei mir nicht eher als bis ich 2 Verba die einerlei
Substantiv regieren, gefunden habe, oder 2 Substantiva für 1 Ver-
bum. Z. B. ich sage nicht: "man muß das Frauenzimmer mit ge-30
bognem Rücken ehren, aber nicht das Knie vor ihm beugen" --
Sondern: "man muß vor ihm den Rücken, aber nicht die Knie beugen".
6. Daher duldete man damals in Rom Atheisten, aber nicht Kezer.
Die Scholastiker thaten im Ernste (wie Kant in andrer Rüksicht)
was Bayle aus Satire that: sie demonstrierten die sogenante natür-35
liche Religion weg, um die geschriebne aufzustellen; sie bewiesen den

Den Eraſmus, deſſen ſanfter Geiſt dem des Melanchthons ſo
ähnlich ſieht wie Feigheit der Beſcheidenheit, kont’ ich von jeher ſo
wenig goutieren als er Fiſche; weder ſein Geſicht noch ſeinen Spas
noch ſein tauſendſeitiges ſchillerndes Leben. Er war ein Muſeums-Raz;
und da dieſe Thiere alzeit vor einem Erdbeben aus den Häuſern laufen:5
ſo wolt’ er ſeiner Stube wegen kein Erdbeben. Alles was er hier an-
räth, war ja eben vor Luther alles geſchehen; wie bei uns die ähnlichen
Kabinetspredigten gegen die Fürſten; aber da ſie die ihrem Stande
eigne Unverſchämtheit beſizen, Thorheiten und Ungerechtigkeiten zu
gleicher Zeit zu begehen und einzuſehen: ſo bringt ſie kein Licht, ſo10
wenig wie den Papſt, ſondern nur das Schütteln von ihren Thron-
gipfeln herab. — Leb wol und mache mir die doppelte aus der Gabe
und aus dem Geber zuſammengeſezte Freude öfter.

[Beilage]
1. Da man in unſerer Sprache wie in unſerer Regierungsform nie15
recht weiß, wer regiert: ſo nehm ich lieber das Paſſivum oder den
Singular.
2. Kürzer.
3. Damit der Styl ſelber nicht über Abhänge flieſſe, ſage lieber:
ihre Spekulazionen und ihre Handlungen waren durch die Mauern20
der Hörſääle von einander abgetrent; endlich traten ſie wie zwei
Ströme, über den Weg der Überſchwemmungen und in Katarakten
zu Einem ruhigen [See] zuſammen.
4. Bei Vergleichungen mit bekanten Gegenſtänden iſt die Alle-[397]
gorie beſſer als das Gleichnis, weil jene kürzer und lebhafter und25
dieſes nur ein Behelf für deutſche Leſer iſt, denen man in der Regel
nicht über 6 Bogen aus dem Zeitungslexikon zutrauen darf.
5. Ich ruhe bei mir nicht eher als bis ich 2 Verba die einerlei
Subſtantiv regieren, gefunden habe, oder 2 Subſtantiva für 1 Ver-
bum. Z. B. ich ſage nicht: „man muß das Frauenzimmer mit ge-30
bognem Rücken ehren, aber nicht das Knie vor ihm beugen“ —
Sondern: „man muß vor ihm den Rücken, aber nicht die Knie beugen“.
6. Daher duldete man damals in Rom Atheiſten, aber nicht Kezer.
Die Scholaſtiker thaten im Ernſte (wie Kant in andrer Rükſicht)
was Bayle aus Satire that: ſie demonſtrierten die ſogenante natür-35
liche Religion weg, um die geſchriebne aufzuſtellen; ſie bewieſen den
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[377/0405] Den Eraſmus, deſſen ſanfter Geiſt dem des Melanchthons ſo ähnlich ſieht wie Feigheit der Beſcheidenheit, kont’ ich von jeher ſo wenig goutieren als er Fiſche; weder ſein Geſicht noch ſeinen Spas noch ſein tauſendſeitiges ſchillerndes Leben. Er war ein Muſeums-Raz; und da dieſe Thiere alzeit vor einem Erdbeben aus den Häuſern laufen: 5 ſo wolt’ er ſeiner Stube wegen kein Erdbeben. Alles was er hier an- räth, war ja eben vor Luther alles geſchehen; wie bei uns die ähnlichen Kabinetspredigten gegen die Fürſten; aber da ſie die ihrem Stande eigne Unverſchämtheit beſizen, Thorheiten und Ungerechtigkeiten zu gleicher Zeit zu begehen und einzuſehen: ſo bringt ſie kein Licht, ſo 10 wenig wie den Papſt, ſondern nur das Schütteln von ihren Thron- gipfeln herab. — Leb wol und mache mir die doppelte aus der Gabe und aus dem Geber zuſammengeſezte Freude öfter. 1. Da man in unſerer Sprache wie in unſerer Regierungsform nie 15 recht weiß, wer regiert: ſo nehm ich lieber das Paſſivum oder den Singular. 2. Kürzer. 3. Damit der Styl ſelber nicht über Abhänge flieſſe, ſage lieber: ihre Spekulazionen und ihre Handlungen waren durch die Mauern 20 der Hörſääle von einander abgetrent; endlich traten ſie wie zwei Ströme, über den Weg der Überſchwemmungen und in Katarakten zu Einem ruhigen [See] zuſammen. 4. Bei Vergleichungen mit bekanten Gegenſtänden iſt die Alle- gorie beſſer als das Gleichnis, weil jene kürzer und lebhafter und 25 dieſes nur ein Behelf für deutſche Leſer iſt, denen man in der Regel nicht über 6 Bogen aus dem Zeitungslexikon zutrauen darf. 5. Ich ruhe bei mir nicht eher als bis ich 2 Verba die einerlei Subſtantiv regieren, gefunden habe, oder 2 Subſtantiva für 1 Ver- bum. Z. B. ich ſage nicht: „man muß das Frauenzimmer mit ge- 30 bognem Rücken ehren, aber nicht das Knie vor ihm beugen“ — Sondern: „man muß vor ihm den Rücken, aber nicht die Knie beugen“. 6. Daher duldete man damals in Rom Atheiſten, aber nicht Kezer. Die Scholaſtiker thaten im Ernſte (wie Kant in andrer Rükſicht) was Bayle aus Satire that: ſie demonſtrierten die ſogenante natür- 35 liche Religion weg, um die geſchriebne aufzuſtellen; ſie bewieſen den

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-11-22T14:52:17Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-11-22T14:52:17Z)

Weitere Informationen:

Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).

Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.




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Zitationshilfe: Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 1. Berlin, 1956, S. 377. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe01_1956/405>, abgerufen am 29.11.2024.