Ihre Konzilien-Akten der Illuminanden hab' ich fast durch, aber mit dem alten Schmerze, daß nur das Laster in Compagnie und die Tugend blos auf eigne Rechnung handelt. Der empörendsten Gräuel -- z. B. der Seeräuberei, des Krieg[s] -- erdreisteten sich nie Individuen, nur Völker. Aber die Tugend hatte nie mehr -- wenn ich den pythago-5 räischen Bund ausnehme -- als zwei Hände. Wenn ich an den Enthusiasmus denke, in den mich das royalistische Vivat eines be- trunknen Volks oder das klatschende Applaudieren eines Parterre zuweilen sezte: so fühl' ich, wie leicht alle Aufopferungen -- die eines Leonidas, eines Kato, eines Generals -- unter und vor der10 Menge sind, kurz wie leicht das Gute ist unter Guten, und wie -- verdienstloser eben deswegen. Es ist zehnmal schwerer, blos im eignen Hause, das man beherschen kan, gut zu handeln als vor einer ganzen Republik, die uns beherscht.
Das Illuminatensystem zerfiel durch zuviel Kleinliches, Eigen-15 süchtiges, Jugendliches -- sie hatten nur einen guten Man an der Spizze, aber ein grosser hätte sie gerettet.
Schreiben Sie mir: Leben, Thaten und Meinungen oder vielmehr lezte Stunden der (fürstlichen) Mutter und ihres Sohnes. Die Weiber, zumal gekrönte, sind nicht wie Männer a jour gefasset, sondern wie20 andere Demanten in Folien: folglich möcht ich mehr wissen von ihr.
Ach wenn Ihnen das Schiksal ein Flugwerk ansezte, das Sie in[94] Emanuels Geselschaft in die Gassen Hofs hereintrüge? --
Ich danke Ihnen nochmals für Ihre zu uneigennüzige Trans- substanziazion meines Silbers in Gold; und bitte Sie mir es zu25 schreiben, wenn mein Silber nicht richtig gezählet war.
Leben Sie wol. Zum Lohne Ihrer Güte würd ich Ihnen Ihre -- Gemahlin wünschen, wenn Sie sie nicht schon hätten. Der Himmel belohne jene durch Ihr Glük, und Sie durch ihres und mache zum Zuschauer von beiden Ihren30
ewigen Freund J. P. F. Richter.
139. An Emanuel.
Hof. d. 11 Jul. 95.
Mein lieber Emanuel,35
Seit dem längsten Tage hab' ich Bayreuth und meine schönsten Tage verlassen -- und eben so lange hör' und seh' ich nichts mehr von
7*
Ihre Konzilien-Akten der Illuminanden hab’ ich faſt durch, aber mit dem alten Schmerze, daß nur das Laſter in Compagnie und die Tugend blos auf eigne Rechnung handelt. Der empörendſten Gräuel — z. B. der Seeräuberei, des Krieg[s] — erdreiſteten ſich nie Individuen, nur Völker. Aber die Tugend hatte nie mehr — wenn ich den pythago-5 räiſchen Bund ausnehme — als zwei Hände. Wenn ich an den Enthuſiaſmus denke, in den mich das royaliſtiſche Vivat eines be- trunknen Volks oder das klatſchende Applaudieren eines Parterre zuweilen ſezte: ſo fühl’ ich, wie leicht alle Aufopferungen — die eines Leonidas, eines Kato, eines Generals — unter und vor der10 Menge ſind, kurz wie leicht das Gute iſt unter Guten, und wie — verdienſtloſer eben deswegen. Es iſt zehnmal ſchwerer, blos im eignen Hauſe, das man beherſchen kan, gut zu handeln als vor einer ganzen Republik, die uns beherſcht.
Das Illuminatenſyſtem zerfiel durch zuviel Kleinliches, Eigen-15 ſüchtiges, Jugendliches — ſie hatten nur einen guten Man an der Spizze, aber ein groſſer hätte ſie gerettet.
Schreiben Sie mir: Leben, Thaten und Meinungen oder vielmehr lezte Stunden der (fürſtlichen) Mutter und ihres Sohnes. Die Weiber, zumal gekrönte, ſind nicht wie Männer à jour gefaſſet, ſondern wie20 andere Demanten in Folien: folglich möcht ich mehr wiſſen von ihr.
Ach wenn Ihnen das Schikſal ein Flugwerk anſezte, das Sie in[94] Emanuels Geſelſchaft in die Gaſſen Hofs hereintrüge? —
Ich danke Ihnen nochmals für Ihre zu uneigennüzige Trans- ſubſtanziazion meines Silbers in Gold; und bitte Sie mir es zu25 ſchreiben, wenn mein Silber nicht richtig gezählet war.
Leben Sie wol. Zum Lohne Ihrer Güte würd ich Ihnen Ihre — Gemahlin wünſchen, wenn Sie ſie nicht ſchon hätten. Der Himmel belohne jene durch Ihr Glük, und Sie durch ihres und mache zum Zuſchauer von beiden Ihren30
ewigen Freund J. P. F. Richter.
139. An Emanuel.
Hof. d. 11 Jul. 95.
Mein lieber Emanuel,35
Seit dem längſten Tage hab’ ich Bayreuth und meine ſchönſten Tage verlaſſen — und eben ſo lange hör’ und ſeh’ ich nichts mehr von
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Ihre Konzilien-Akten der Illuminanden hab’ ich faſt durch, aber
mit dem alten Schmerze, daß nur das Laſter in Compagnie und die
Tugend blos auf eigne Rechnung handelt. Der empörendſten Gräuel —
z. B. der Seeräuberei, des Krieg[s] — erdreiſteten ſich nie Individuen,
nur Völker. Aber die Tugend hatte nie mehr — wenn ich den pythago- 5
räiſchen Bund ausnehme — als zwei Hände. Wenn ich an den
Enthuſiaſmus denke, in den mich das royaliſtiſche Vivat eines be-
trunknen Volks oder das klatſchende Applaudieren eines Parterre
zuweilen ſezte: ſo fühl’ ich, wie leicht alle Aufopferungen — die
eines Leonidas, eines Kato, eines Generals — unter und vor der 10
Menge ſind, kurz wie leicht das Gute iſt unter Guten, und wie —
verdienſtloſer eben deswegen. Es iſt zehnmal ſchwerer, blos im
eignen Hauſe, das man beherſchen kan, gut zu handeln als vor einer
ganzen Republik, die uns beherſcht.
Das Illuminatenſyſtem zerfiel durch zuviel Kleinliches, Eigen- 15
ſüchtiges, Jugendliches — ſie hatten nur einen guten Man an der
Spizze, aber ein groſſer hätte ſie gerettet.
Schreiben Sie mir: Leben, Thaten und Meinungen oder vielmehr
lezte Stunden der (fürſtlichen) Mutter und ihres Sohnes. Die Weiber,
zumal gekrönte, ſind nicht wie Männer à jour gefaſſet, ſondern wie 20
andere Demanten in Folien: folglich möcht ich mehr wiſſen von ihr.
Ach wenn Ihnen das Schikſal ein Flugwerk anſezte, das Sie in
Emanuels Geſelſchaft in die Gaſſen Hofs hereintrüge? —
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Ich danke Ihnen nochmals für Ihre zu uneigennüzige Trans-
ſubſtanziazion meines Silbers in Gold; und bitte Sie mir es zu 25
ſchreiben, wenn mein Silber nicht richtig gezählet war.
Leben Sie wol. Zum Lohne Ihrer Güte würd ich Ihnen Ihre —
Gemahlin wünſchen, wenn Sie ſie nicht ſchon hätten. Der Himmel
belohne jene durch Ihr Glük, und Sie durch ihres und mache zum
Zuſchauer von beiden Ihren 30
ewigen Freund
J. P. F. Richter.
139. An Emanuel.
Hof. d. 11 Jul. 95.
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Seit dem längſten Tage hab’ ich Bayreuth und meine ſchönſten
Tage verlaſſen — und eben ſo lange hör’ und ſeh’ ich nichts mehr von
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
Weitere Informationen …
Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:02:06Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:02:06Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 2. Berlin, 1958, S. 99. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe02_1958/110>, abgerufen am 15.08.2024.
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